2021 etwas Anderes machen? Anton Palzer (27) geht es radikal an, lässt seine Karriere im Skibergsteigen hinter sich und wechselt in den Profiradsport. Winter zu Sommer, Einzelkämpfer zu Teamplayer. Der Bayer im Interview über seine (De-)Motivation, das „Konstrukt  Toni“ und seine „vom Herrgott geschenkte Pump’n“. 

Christoph Heigl
Christoph Heigl


Ohne viel Anlaufzeit. So steigt man in ein Gespräch mit Toni Palzer ein, auch wenn es als Telefoninterview zwischen Homeoffice und Gardasee stattfindet, wo er gerade auf Trainingslager weilt. Der Draht zum Bayern ist sofort da, null Stargehabe, wohltuend authentisch. „Der Palzer-Toni, bloß a junga Bua“, sagt der 27-Jährige oft schelmisch über sich selbst. Der Schmäh rennt. Ohne viel Anlaufzeit. So wird Toni Palzer im April auch seinen spektakulären Wechsel in den Radsport vollziehen. Zwei Tage nach unserem Gespräch: Während einer Trainingsausfahrt am Gardasee knallt ein Auto in die Trainingsgruppe des deutschen Teams. Drei Radprofis müssen schwer verletzt ins Spital, Gehirnerschütterungen, Frakturen bei Rückenwirbel-, Halswirbel- und Brustwirbelsäule. Trainingsgast Palzer stürzt auch, kommt aber mit leichten Blessuren davon. So schnell hätte der Traum schon wieder vorbei sein können. Mitten im Profileben. Ohne viel Anlaufzeit. 

Das Angebot Lebenstraum: Warum Toni Palzer von den Bergen aufs Rennrad steigt

Viele Menschen ändern in diesen Zeiten ihre Gewohnheiten, fangen Neues an, lassen Lästiges weg. War Corona bei deinem Umstieg auch ein Thema? Der letzte Schupfer?
Nein, gar nicht. Ich bin 27 Jahre alt und seit 13 Jahren in der deutschen Nationalmannschaft der Skibergsteiger. Ich habe viel gesehen und kann auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken. Was ich alles gewonnen hab? Mei, das weiß i jetzt gar nit genau (lacht) – aber für mich persönlich war ich sehr erfolgreich. Und ich war bereit für etwas Neues. Skibergsteigen ist meine Leidenschaft und das wird es auch immer bleiben. Das ist eine so tolle Sportart, da werden unglaubliche Leistungen erbracht, aber ich sehe für mich keine große Entwicklung mehr im Sport. Ich denk mir, der Herrgott hat mir eine massive „Pump’n“ geschenkt, und warum sollte ich die nicht in einer anderen Sportart ausprobieren? (lacht) 

Bis zum Unfall mit dem Auto lief im ersten BORA-hansgrohe-Teamcamp alles bestens. Wie ist es für einen Skibergsteiger, plötzlich neben Radstars wie Peter Sagan und Emanuel Buchmann Rennrad zu fahren?
Supergut. Fast alles ist neu für mich und ich versuche, alles aufzusaugen. Wir sitzen fünf Stunden täglich am Rad und spulen unsere Programme ab. Macht mega Spaß, so hab ich mir das vorgestellt. Und jeden Tag wird mir mehr bewusst, dass es die richtige Entscheidung war. Meine Motivation für den Wintersport ist einfach nicht mehr die gleiche wie vor fünf Jahren. Diesen Winter ziehe ich die Weltcupsaison aber noch durch, auch weil im März die Weltmeisterschaften in Andorra auf dem Programm stehen. Der Deal mit BORA-­hansgrohe wird offiziell mit 1. April schlagend, auch für meine Partner und Sponsoren eine saubere Lösung, das war mir wichtig.

Du musst 100 % für den Wintersport trainieren und gleichzeitig 100 % für den Sommer. Wie kann das klappen?
Weil ich mit Helmut Dollinger aus Tirol für beides denselben Trainer habe, ist das kein Problem. Mit ihm habe ich im Vorjahr schon begonnen, mich gezielt auf die Skibergsteiger-Weltmeisterschaften vorzubereiten. Weil er auch Trainer im BORA-hansgrohe Team ist, begann die Idee des Umstieges zu reifen. Ab Sommer wurde es immer konkreter und da habe ich schon viele Stunden am Rennrad trainiert – von April bis Oktober 15.000 km und 600 Stunden. Radtraining ist fürs Skibergsteigen gut und umgekehrt, wir stimmen das gut ab. Durch das strukturierte Training werde ich von Monat zu Monat stärker, auch wenn es am Anfang schon etwas gedauert hat. 

Was hattest du bislang mit dem Straßenradsport zu tun?
Radfahren im TV habe ich schon immer geschaut, die letzten zwei Jahre ganz intensiv, weil etwa Emanuel Buchmann und Lennard Kämna so erfolgreich wurden. Da hat es mich noch mehr gefesselt. Wahrscheinlich gibt es keinen härteren Sport als den Straßenradsport. Wo gibt es Rennen über drei Wochen wie bei einer Grand Tour? Das hat mich immer fasziniert. Und Hobbyrennen wie den Glocknerkönig oder aufs Kitzbüheler Horn bin ich selber schon gefahren. Wettkämpfe im Skibergsteigen waren zunehmend mehr Beruf als Herzblut. Das ist falsch. Man muss es machen, weil Leidenschaft und Motivation dahinterstecken. Beim Rekord der Watzmann-Überschreitung im Sommer (siehe Infokasten) habe ich gemerkt, dass ich mich verwirklichen kann. Was ich an diesem Tag geleistet habe, war möglicherweise meine beste Performance überhaupt. Da bin ich in der Früh wach geworden und hab gewusst, das mach ich heute und das schaff ich heute. Aber nur die Schiene mit eigenen Projekten, wie Kilian Jornet etwa, das wollte ich dann auf Dauer auch nicht machen. Das Angebot Lebenstraum ist genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.

Gibt es Bedenken, dass Talent, Wille und Körper doch nicht reichen?
Klar, ich habe immer noch Bedenken, ob ich es schaffe, weil es die höchste Liga im Radsport ist, wo ich einsteige. Aber im BORA-hansgrohe-Team sind genauso „Buam“ wie ich, einfach, freundlich und ich werde super aufgenommen. Sie wollen mir helfen und ich bin extrem dankbar dafür. Wenn ein Peter Sagan oder Emanuel Buchmann mir erklären, wie Radfahren abläuft, dann glaube ich an den Traum noch umso mehr.

Stichwort Herrgott und die „Pumpe“: Es heißt, du hast jetzt schon Daten wie die besten Radprofis. Was kannst du verraten?
Über meine Daten darf ich eigentlich nicht reden. Auf Ski hatte ich mal einen Test zur maximalen Sauerstoffaufnahme und hatte VO2max-Werte von 92 ml/kg/min (Anm.: Im Profibereich gelten Werte zwischen 75 und 90 als Weltklasse, von Tour-Seriensieger Chris Froome sind Werte um 84 bis 88 bekannt). Aber das ist auf Ski nicht so vergleichbar. Meine Power muss ich halt aufs Rad bringen. Ich habe die letzten acht Jahre extrem viel und extrem hart trainiert, ich vertrage sehr hohe Umfänge und kann sehr hart zu mir sein. Vielleicht zu hart, ich war doch ab und zu krank. Mit strukturiertem Training kann ich sicher noch einen Schritt nach vorne kommen. Ich bin 1,78 Meter groß und hab in Wettkampfform 60 Kilogramm. Das ist eine gute Basis, das sind Daten, die Leistung tatsächlich zu bringen, ist die Challenge.

Dir steht ein Rhythmuswechsel bevor, wenn du den Fokus von Winter auf Sommer legst. Wie krempelst du das im Kopf um?
Die Umstellung von Wintersport auf Sommersport sehe ich nicht als Problem. Durch Corona finden nur wenige Wettkämpfe statt, ich hab heuer im Winter gerade mal 15 Rennen. Der Umstieg in den Sommer wird nach einer kurzen Pause sanft, ich fahre nicht gleich 60 oder 70 Renntage, sondern vielleicht 25 oder 30. Dann wird man sehen: Fahre ich mehr Rennen? Oder investiere ich mehr ins Training, damit ich besser werde? Der Sommer wird ein Kennenlernsommer, das Jahr 2021 ein Schnupperjahr. Dann folgt der gezielte Aufbau für 2022, mein erstes richtiges Jahr im Profiradsport. 

Du wirst auch vom Einzelsportler zum Teamsportler umgeschult. 
Darauf freue ich mich extrem. Ich will nicht arrogant klingen, aber den jungen Bergsport in Deutschland und in den Alpen habe ich sicher mitgeprägt. Als junger, lustiger Bua habe ich vielen gezeigt, dass der Bergsport nix Altmodisches ist, sondern ein junger, dynamischer Sport sein kann. Dadurch habe ich gemerkt, dass viele Leute auf mich schauen und viel von mir erwartet wird. Ich bin aber einer, der gerne auch seine Ruhe hat. Jetzt bin ich ein kleiner Teil in einem großen Team, bin voll integriert und muss meinen Teil der Arbeit machen. Ich hab gewisse Rollen, hole die Wasserflaschen, bringe den einen oder anderen in den Anstieg hinein. Ich stehe weniger im ­Fokus.

Sind die ersten Renneinsätze schon fixiert?
Anfangen wird es mit der Tour of the Alps, geplant für 19. bis 23. April, dann könnte die Norwegen-Rundfahrt im Mai kommen. 

Wann wird man den Toni Palzer bei der Tour de France oder beim Giro sehen?
(Lacht) Nicht so schnell. Da haben das Team um Ralph Denk und ich sehr viel Geduld. Ein Riesen-Riesen-Erfolg wäre, wenn ich in zwei oder drei Jahren bei einer Grand Tour wie Tour de France, Giro oder Vuelta überhaupt am Start stehen könnte. Ich bin erst 27 Jahre alt, Stress habe ich keinen. Die Toursieger werden zwar immer jünger, aber im Radsport und im Ausdauersport geht es auch darum, wie viele Stunden man in seinem Leben ins Training investiert hat. Und ich hab viel trainiert.  

Vieles gebe ich für einen neuen Lebenstraum auf, weil ich sonst nimmer glücklich bin.

Toni Palzer

Primoz Roglic und Michael Woods kamen auch als Quereinsteiger in den Radsport. Taugen sie als Vorbilder?
Ich gehe meinen eigenen Weg, wie schon die letzten Jahre auch. Das „Konstrukt Toni“ funktioniert ganz gut, weil ich immer so bin, wie ich bin. Auf Social Media und in der Öffentlichkeit. Und es ist mir wichtig, dass ich keine Kopie von wem anderen werde. Auch der Vergleich zu Ex-Skispringer Roglic passt nicht, das ist Schwachsinn, auch wenn ich das jetzt 100 Mal gehört habe. Ich will meine eigene Geschichte erzählen. Hoffentlich klappt es, vielleicht bin ich aber auch in zwei Jahren wieder Skibergsteiger. 

Welche Geschichte soll von Toni Palzer später einmal erzählt werden?
Mit Mut und Fleiß kann man viel schaffen. Ich gebe extrem viel auf, einen sicheren Job als Skibergsteiger, einen staatlichen Sportförderplatz, brutal gute Sponsoren. Vieles gebe ich für einen neuen Lebenstraum auf, weil ich sonst nimmer glücklich bin. Mutig sein, fleißig sein. Auf den neuen Abschnitt freue ich mich.

Watzmannrekord, Dolomitenmann, Großglocknerlauf? Hast du eine Sonderstellung, die dir solche Events weiterhin erlaubt?
Das fällt alles flach. Ich bin jetzt bezahlter Radsportler und muss körperlich maximal bereit sein für Radrennen. Bei einem dichten Rennkalender mit extremer Rennbelastung hätte ich auch gar nicht mehr die Zeit dafür. Für den neuen Beruf muss ich Abstriche machen und das ist okay so.

Du wirst als Einziger mit einem Helm mit Red-Bull-Logo fahren und bringst deinen jahrelangen Partner mit ins Team ein. Wie kann Red Bull dem Radsport Flügel verleihen?
Teamchef Ralph Denk hatte immer schon Pläne, Red Bull in den Radsport zu holen. Wir haben eine super Partnerschaft und die wollten wir weiterführen. Da hat es aber noch den Segen der Obrigkeit gebraucht, vom „Chef“ ganz oben. Und auch einiger Papierkram war zu erledigen. Und jetzt fahrt der kleine Palzer-Toni aus der Ramsau mit einem Red-Bull-Helm in der World Tour! Mit dem Helm kann ich mich wohl nicht im Feld verstecken (lacht). Für uns alle eine super Chance, wenn wir ein österreichisches Unternehmen mit so einer Strahlkraft und Power wie Red Bull kriegen – wir haben ja auch sehr viele starke Österreicher im Kader – und da schließt sich ja auch irgendwie ein Kreis.

Das Angebot Lebenstraum: Warum Toni Palzer von den Bergen aufs Rennrad steigt

Ralph Denk
Teammanager, BORA-hansgrohe
„Es mag nach einem gewagten Unterfangen aussehen und ein gewisses Risiko ist sicher dabei, aber wir verfolgen Toni schon länger und sind von seinen körperlichen Voraussetzungen überzeugt. An Beispielen wie Roglic oder Woods sieht man, dass so ein Experiment auch klappen kann, und wir haben immer gesagt, dass wir in unterschiedlichen Sportarten scouten. Ich will damit nicht sagen, dass Toni in zwei Jahren um den Toursieg fahren wird. Aber wir sehen bei ihm viel Potenzial, besonders was das Hochgebirge betrifft. Wir werden ihn zu Beginn der Saison vermehrt bei schweren Eintagesrennen und bergigen Wochenrundfahrten einsetzen. Dort muss er lernen, wie Radsport funktioniert, und vor allem auch Aufgaben fürs Team übernehmen. Wo die Reise dann hingeht, werden wir sehen, aber wir werden das Schritt für Schritt angehen.“ 
www.bora-hansgrohe.com

Das Angebot Lebenstraum: Warum Toni Palzer von den Bergen aufs Rennrad steigt
Anton "Toni" Palzer

​​​​​​​Fakten:

  • Geboren: am 11. März 1993 in Berchtesgaden (GER)
  • Wohnort: Ramsau bei Berchtesgaden
  • Beruf: Profisportler, Sportsoldat, gelernter Feinwerkmechaniker, ab 1. April 2021 Radprofi
  • Sportarten: Skibergsteigen, Berglauf, Radsport

Erfolge als Skibergsteiger:

  • 2. Platz im Gesamtweltcup (2019)
  • Gesamtweltcupsieger in der Disziplin Vertical (2018)
  • WM-Silber im Sprint (2017) und im Vertical (2015), WM-Bronze im Individual (2017)
  • zahlreiche Weltcupsiege in allen drei Einzeldisziplinen, Siege bei der Mountain Attack und Sella Ronda (jeweils mit Streckenrekord)

Erfolge im Berglauf:

  • 2. Platz Großglockner Berglauf 2018
  • Sieg beim adidas Infinite Trails 15k (2019)
  • Teamsieg beim Red Bull Dolomitenmann (2017), Vize-Weltmeister beim Red Bull 400 (2017)

Besonders aufsehenerregend war Palzers Rekord bei der „Watzmann-Überschreitung“ auf seinem Hausberg. Angeschrieben als Zweitagestour in 12 bis 14 Stunden, schaffte er die 22,5 km und 2380 hm im teils hochalpinen Gelände mit Kletterpassagen im Sommer 2020 in der Rekordzeit von 2:47 Stunden.

WEB: www.antonpalzer.de