Was genau ist eigentlich Trittsicherheit und wie erkennt man sie? Welche Rolle spielt der Kopf dabei und warum gibt es eigentlich keine Höhenangst? Eine Grat-Wanderung der begrifflichen Art mit Berg-Philosoph Stephan Skrobar.

Klaus Molidor
Klaus Molidor


Wer schon einmal im Internet nach einer Wander- oder Bergtour gesucht hat (und wer hat das in Zeiten wie diesen nicht), der ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch schon über den Begriff der „Trittsicherheit“ gestolpert. Als Voraussetzung für Touren steht der Begriff in den Beschreibungen der Portale herum. Was aber bedeutet Trittsicherheit genau. Wie ist sie definiert? Wie verbessere ich sie und vor allem: Woran erkenne ich, dass ich Trittsicherheit mein Eigen nennen darf.

Stephan Skrobar: der Philosoph und sein Berg

Hmmmmm, sagt Stephan Skrobar dazu erst einmal und blickt aus seinem Garten Richtung Grimming, der isoliert zwischen Ennstal und Hinterberger Tal in der Obersteiermark in den Himmel ragt. „Trittsicherheit ist die Selbsteinschätzung und das Wissen, dass ich mich in Geländeformen sicher bewegen kann, ohne die Balance zu verlieren.“ So weit, so technisch. Allumfassend erklärt ist die Sache damit aber nicht. Denn die Trittsicherheit wird nicht in festgelegten Skalen wie etwa bei Klettersteigen bewertet. Und Geländeformen können ja auch unterschiedlich schwierig sein. Ergo wird es schon schwer, was die Tauglichkeit der Fähigkeit Trittsicherheit als Voraussetzung für eine Tour betrifft. „Denn eine Geländeform kann schwer sein, die Konsequenzen der fehlenden Trittsicherheit aber gering. Oder ein Weg kann leicht sein, die Folge mangelnder Trittsicherheit aber ein Sturz über eine steile Felswand in Hunderte Meter Tiefe.“

Für ein Beispiel springt Skrobar auf. Sagen wir diese Holzbank, etwa fünfzig Zentimeter breit, ist unser Weg. In der Ebene denkst du nicht darüber nach, ob du es schaffst, fünf Schritte darauf zu gehen, ohne den Korridor zu verlassen. Das schaffst’ wahrscheinlich mit geschlossenen Augen. Wenn der gleiche Weg aber auf einem Grat ist und links und rechts geht es Hunderte Meter runter, schaut die Sache schon anders aus.“ Da kommt die mentale Komponente dazu, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Und die äußeren Umstände – auf einem ausgesetzten Grat wäre das zum Beispiel der Wind. Rein vom technischen Schwierigkeitsgrad reichen die Fähigkeiten also leicht aus. „Da kann es helfen, den Instinkt auszuschalten und die Sache ganz rational anzugehen.“

Also sich die Stelle anschauen und geistig vergleichen mit dem, was man in der Ebene kann oder ebendort trainiert hat. Nur ist eben gerade das so schwer, weil wir in Stress-Situationen viel eher instinktiv handeln und nicht rational. Stress beeinflusst ja auch unsere Konzentration und damit auch die Leistung. Bei Gefahr schütten wir Adrenalin aus, sind für kurze Zeit schneller, stärker, fokussierter als sonst. Das hat der Spezies Mensch das Überleben gesichert. Stress kann aber auch Angst bedeuten und Angst könnte unsere Leistung auch negativ beeinflussen. „Die Angst kommt nach dem Zweifel. Der Zweifel lässt mich wachsam werden für die Gefahr. Wenn ich Angst habe, ist das ein Zeichen, dass ich da nicht weitergehen sollte“, sagt Skrobar.

Für ihn bringt der nackte Begriff der Trittsicherheit in einer Tourenbeschreibung also wenig. „Es müsste der Weg konkreter beschrieben sein, damit man auch die Selbsteinschätzung besser treffen kann. Zum Beispiel könnte da stehen, dass man an gewissen Stellen eine Hand zum Abstützen braucht.“ Generell kann man Trittsicherheit aber üben. „Wenn man mehr Balance haben will, gibt es zwei Möglichkeiten das zu erreichen: die Auflagefläche vergrößern und den Schwerpunkt absenken. Zum Training kann ich das Gegenteil machen. Also nicht breitbeinig gehen, sondern auf einem Bein hüpfen zum Beispiel.“ Auch kann und sollte man schwere Geländeformen begehen, wenn die Konsequenzen aus Fehlern gering sind. „Auf Spielplätzen kann man Balance wunderbar üben oder auf Slacklines. Es geht auch nicht darum eine ganz schwierige Übung möglichst oft zu schaffen, sondern es einfach ­sieben, acht, neun, zehn Mal zu probieren. Und am Ende verbesserst du dich damit.“ Er selbst trainiert mit Skischuhen auf der Slackline im Garten. „Aber wenn ich im Winter da oben am Grimming in einer schwierigen Stelle stehe, hilft mir das, weil ich weiß, dass ich ausreichend Balance habe.“

Eng verbunden mit der Trittsicherheit ist auch die Höhenangst. Wobei: Die gibt es eigentlich gar nicht. „Zwei Ängste sind dem Menschen angeboren“, sagt Skrobar, der auch Psychologie studiert hat. „Die Angst vor Lärm und die Angst vor dem Fallen.“ Letztere bezeichnen wir gerne als Höhenangst. „Weil Menschen, die von sich sagen, dass sie Höhenangst haben, steigen ohne Bedenken in ein Flugzeug. Insofern haben sie nicht Angst vor der Höhe, sondern vorm Runterfallen und den damit verbundenen Konsequenzen“, erklärt Skrobar. So weit zur Begrifflichkeit. 

Ausgelöst oder verstärkt wird diese Angst wieder vom fehlenden Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und/oder dem fehlenden Vertrauen in Sicherungssysteme, sprich Seil, Sitzgeschirr oder die sichernde Person. Wie die Trittsicherheit lässt sich auch das Vertrauen in die Systeme im sicheren, harmlosen Umfeld trainieren. In einem Kletterpark zum Beispiel. Da würde man vor allem erfahren, dass die Sicherungssysteme funktionieren. „Wenn man einmal gespürt hat, dass einen das Kletterset und das Seil halten und man nicht runterfällt, hilft das.“ Denn für das Sicherungssystem ist es ja egal, wie viel Luft der Mensch unterm Hintern hat. „Natürlich reicht es auch da nicht, so etwas einmal auszuprobieren, sondern wieder und wieder, damit die Rille in der Platte des Autopiloten tiefer wird und die Nadel nicht mehr bei kleiner Erschütterung schon heraushüpft“, erklärt Skrobar. 

Die Angst kommt nach dem Zweifel. Der Zweifel lässt mich wachsam werden für die Gefahr. Wenn ich Angst habe, ist das ein Zeichen, dass ich da nicht weitergehen sollte.

Stephan Skrobar

Passiert es auf einer Tour, dass eine Person Zweifel und Angst hat und sich über eine gewisse Stelle nicht traut, hilft Skrobar in der Not. „Geht es steil bergauf und du hast Angst, gehe ich zum Beispiel ganz dicht hinter dir, sodass du mich spürst.“ Für eine weitere Erklärung bemüht er ein anderes, verwittertes Holzbankerl. Das ist nur noch 30 Zentimeter breit „Sagen wir, das ist ein schmaler Steig. Dann“, sagt er, stellt sich parallel zum Bankerl und streckt den rechten Arm aus, „dann gehe ich ganz knapp hinter dir und seitlich versetzt und fange dich im Notfall auf.“ Denn stürzen, das passiert ja nicht völlig unvorbereitet. „Das kündigt sich an und dauert eine Sekunde. Klingt wenig, ist aber lang“, sagt Skrobar. Mit jahrelanger Erfahrung merkt er rechtzeitig, wenn es brenzlig wird.

Auch Fingerspitzengefühl ist gefragt. „Was ich sicher nicht mache, ist laut und mit einem Lachen zu sagen: Ah komm, des is ja gar kein Problem.“ Er nimmt die Sorgen und Zweifel ernst und erläutert ruhig die Optionen. „Außerdem erkennt man, ob jemand wirklich Angst hat oder nur ein wenig unsicher ist. Leute, die zum Beispiel ständig vor sich hersagen ‚Das schaff ich nicht, das schaff ich nicht‘, sind meistens einfach unsicher. Wer wirklich Angst hat, redet nicht mehr viel.“ Und auch hier rät er wieder dazu, den Instinkt auszuschalten und rational zu handeln. „Das ist schwer, ich weiß. Darum muss man gewisse Dinge eben wieder und wieder und wieder üben, bis die rationalen Dinge so in Fleisch und Blut übergehen, dass sie schon fast wieder funktionieren wie ein Instinkt.“

Schnee
Stephan Skrobar

ist staatlich geprüfter Skilehrer und Skiführer und Alpinausbildner für den steirischen Skilehrerverband. Gemeinsam mit Peter Perhab leitet er das ‚Die Bergstation Freeride & Alpin Center‘. Stephan betreibt außerdem eine Kommunikationsagentur und ist Gründungsmitglied des Thinktank Neowise. 
WEB:  www.bergstation.at