Während seiner aktiven Karriere als nordischer Kombinierer jagte David Kreiner Medaillen auf Olympianiveau. Heute findet er als Bergführer Zufriedenheit in den Bergen seiner Heimat.

Lara Wulz
Lara Wulz

David, du bist aus Kitzbühel, lebst und arbeitest auch dort?
Ja, ich sage immer: Ich muss im letzten Leben etwas richtig gemacht haben. Als Österreicher haben wir bei der Geburtenlotterie das große Los gezogen. Wenn man viel reist oder den Blick über den Tellerrand hinaus richtet, merkt man das. Ob die Wertschätzung dafür immer gegeben ist, ist eine andere Frage. Ich schätze es sehr, in der Natur oder am Berg zu sein – weil dort andere Dinge zählen und wichtig sind.

Du hast dein Leben dem Sport gewidmet. Wie kam es dazu? 
Ich fasse das gerne unter den Begriff Bewegung zusammen – den Drang dazu hatte ich schon immer. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das erste Mal auf Skiern gestanden bin. Mit sechs Jahren habe ich dann mit dem Skispringen angefangen und bin dabeigeblieben, weil ich schon mit den Alpinskiern am liebsten von Schanze zu Schanze und von Buckel zu Buckel gefahren bin. Auch das Messen mit anderen war mir immer wichtig, das habe ich im Sport gefunden. Ich bin dann in die Skihauptschule nach Saalfelden und später ins Skigymnasium Stams gegangen. Mir war klar: Wenn ich gut werden will, ist das der Weg. Das hat mir gefallen, weil man dort auf Gleichgesinnte trifft und sich austauschen kann.

Dieses Sich-Messen hat dich zum Spitzensport geführt. Heute führst du Menschen durch die Berge. Was ist dir auf dem Weg besonders bewusst geworden?
Da fällt mir immer das geflügelte Wort ein: Lebensuniversität Spitzensport. Am Anfang war es eine „Freudenschaft“, dann habe ich mir auch viel Leiden damit geschaffen – jetzt versuche ich, dass es wieder mehr „Freudenschaft“ ist. Im Spitzensport lernt man Sätze wie „Schmerz vergeht, Stolz besteht“ oder „Aufgeben tut man einen Brief“. Das hilft im Rennen, ist aber im Leben nicht immer die 
beste Haltung.

Wie meinst du das?
Mit 20 hatte ich einen Kletterunfall am Wilden Kaiser, bei dem ich mir zwei Wirbel brach. Da wurde mir bewusst, dass es schon ein Luxus ist, aufrecht gehen zu können. Sechs Monate später waren mir Meter und Sekunden aber wieder wichtiger. Dann kamen einige Darm­entzündungen – irgendwann habe ich es verstanden. Laut TCM stehen der 3. und 4. Lendenwirbel, die ich gebrochen hatte, in Verbindung mit dem Dickdarm. Es hat also wieder in dieselbe Kerbe geschlagen. Mein damaliger Trainer Günther Chromecek, einer der weisesten Menschen, die ich kenne, hat mich gefragt: „Musst du gewinnen, damit du dich magst?“ Diese Frage stellt man sich sonst nicht. Ich war mein größter Kritiker. 

Deshalb der Weg zum Bergführer? 
Nach meinem Karriereende wollte ich etwas Sinnvolles mit der Ausbildungszeit machen und dachte: Bergführer – das wäre etwas. Ich liebe die Berge. Dann habe ich erlebt, wie schön es ist, die eigene Passion zu teilen. Nicht mehr der Erste oben zu sein ist das Ziel, sondern gemeinsam einen genussvollen Tag zu erleben.

Hast du dir aus dem Spitzensport noch etwas behalten oder komplett losgelassen?
Sehr viel habe ich mir behalten. Wir haben durch Günther zum Beispiel mit Qi Gong begonnen: Atemübungen, Visualisieren, Regulieren – eine Stunde vor dem Frühstück. Ich musste mir eingestehen, dass ich danach besser aufgestanden bin. Ich habe den Tag bewusster begonnen, war schneller bei 100 Prozent. Das versuche ich bis heute. Die Atmung ist eine vergessene Superkraft. Sie hilft zu regulieren, zu aktivieren, zu regenerieren.

Gerade bei Olympia war das hilfreich. Ich bin im Training nicht gut gesprungen. Die Bauchatmung hat mich zu mir selbst zurückgeführt – das Vertrauen: Ich habe trainiert. Der beste Sprung kam dann auch. Aber das muss dir jemand zeigen und du musst es geübt haben – denn am Balken bei Olympia ist der Druck ein anderer. Diese Ruhe-Kompetenz nutze ich bis heute – zum Beispiel beim Klettern in Patagonien oder in Lawinensituationen.

Wie war dein Übergang vom ­Leistungssport zum „Leben danach“?
Ich habe es eher untypisch gemacht und mitten im Winter in Seefeld aufgehört. Beim Aufwärmen habe ich gespürt: Das bin ich nicht mehr. Wettkämpfe, dieses Gegeneinander – das brauche ich nicht mehr. Für mich war der Beschluss schnell gefasst. Ich habe es als Auszeit formuliert, falls ich es mir anders überlege. Beim letzten Rennen konnte ich mich dann auch nicht mehr überwinden – also war Auf­hören für mich nicht allzu schmerzhaft.

Schwieriger war der Umgang der anderen damit. Viele fragten: „Bist du noch aktiv?“ Ich antwortete: „Hoffentlich bis zum letzten Atemzug! Aber Wettkämpfe? Nein, das interessiert mich nicht mehr.“ 

Felix Gottwald bezeichnet dich als Freigeist und Philosophen der Berge – findest du dich darin wieder?
Freigeist auf jeden Fall – und ich hoffe, dass jeder ein Stück Philosoph ist. Wenn du nicht führst, wirst du geführt. In Bereichen, in denen ich mich nicht auskenne, lasse ich mich gerne führen – etwa bei Technik. Ich bin lieber draußen und analog. Unterhaltung ist nicht mein Ziel – Herausforderung schon eher.

Ich bin sehr freiheitsliebend. Freiheit bedeutet für mich auch Verantwortung. Eine Seilschaft etwa bindet – aber genau das schafft Freiheit. So kommt man ­gemeinsam dorthin, wo jemand allein nicht hinkäme. Jeder sollte so leben dürfen, wie es für ihn passt.

Wie würdest du dein Leben mit den Bergen beschreiben?
Die Berge sind ein Raum der Freiheit. Ob immer gegenseitige Akzeptanz herrscht, ist fraglich – aber es gibt viele Spielarten und genug Platz für alle. Was ich am Berg schätze: Er urteilt nicht. Unabhängig von Geschlecht oder Herkunft – entweder du kannst es oder nicht. Die Natur hat immer recht, nie Schuld. Wir dürfen uns ins Gefüge einfügen.

Gibst du diese Einstellung als Bergführer auch weiter?
Ja, ich glaube schon (lacht).

Ist dir das ein Anliegen? Viele Menschen werden ja oft einfach nur zum „Gipfelglück“ geführt. Ich schätze dich da anders ein …
In der Bewegung spricht es sich leicht. Am Berg ist man schnell in guten Gesprächen. Für Smalltalk bin ich nicht gemacht. Dieses „Mei, der Mai war so kalt und der Juni so heiß“ – ja, ja, Wetter ist. Mich interessieren andere Themen. Ich glaube, das schätzen die Leute. Und wenn ich mal den Mund halten soll, dann bin ich halt ruhig (lacht). Aber ehrlich – das ist noch nie ­vorgekommen.

Wenn man nur auf den Gipfel starrt, übersieht man die Walderdbeeren am Wegrand – und stolpert vielleicht.

David Kreiner

Wenn wir über das Berggehen sprechen – was ist deiner Meinung nach das größte Missverständnis unserer Gesellschaft dazu?
Der Standardspruch lautet ja immer: „Der Weg ist das Ziel.“ Ich dachte mir früher oft: Ja, ja … Viele verwechseln das mit dem Gipfel. Für mich geht es eher darum: Wie viel Qualität packe ich in den Weg hinein? Der Klettersteig ist für viele der Erstkontakt mit dem Fels – das ist mit dem Umhängen etc. mehr wie Arbeiten. Beim Seilklettern spielen Kreativität, Routenführung und Umwege eine Rolle – da wird es dann interessant. 

Man darf auch sagen: „Heute seilen wir ab“, denn wir wohnen nicht oben, wir wohnen im Tal. Heimkommen ist das Wichtigste. Der Ehrgeiz, etwas erreichen zu müssen, ist für viele zentral – dabei kann das Ziel ganz woanders liegen.

Günther Chromecek hat immer gesagt: Es gibt einen Unterschied zwischen fokussiert und aufmerksam sein. Fokussiert heißt punktuell, aufmerksam heißt: das große Ganze sehen. Wenn man nur auf den Gipfel starrt, übersieht man die Walderdbeeren am Wegrand – und stolpert vielleicht. Im Jetzt zu sein, präsent zu sein – das ist das Wichtigste.

Dieses „Aufmerksamsein“ in der Natur führt zum Thema Naturbewusstsein. Der Bergsport hat sich stark verändert. Wie nimmst du das wahr?
Bei leicht erreichbaren Zielen ist mittlerweile viel los. Aber links und rechts davon hat man meist seine Ruhe. Ich finde es gut, wenn mehr Menschen draußen sind. Denn alles, was man liebt, will man auch schützen. Ich komme aber oft auch mit mehr Müll nach Hause, als ich mitgenommen habe. Es fehlt meiner Meinung das Bewusstsein – und ­Bewusstsein muss geschaffen werden. Auch ich bin ein Tourist. Wer entscheidet, wer wo hingehen darf? Ich glaube: Es gibt genug Platz für alle. Und wer kreativ ist, findet Orte, wo man ganz für sich ist.

Was macht für dich die perfekte Zeit in den Bergen aus? 
Jede Bergtour ist für mich perfekt – weil ich mit dem Bewusstsein unterwegs bin, dass es gerade gut ist. Und wie wir schon gesagt haben: „Präsenz“ heißt im Englischen auch „present“ – Geschenk. Wenn du ­präsent bist, bist du ein Geschenk, auch für andere.

Was sind deine Gedanken zur Zukunft des Bergsports?
Ich hoffe auf einen respektvollen Umgang. Wenn man auf etwas verzichtet, soll das etwas geben – nicht nehmen. Das bedeutet meist: Ich selbst muss besser werden. Je fitter und erfahrener ich bin, desto mehr kann ich genießen. Der Weg dorthin darf Freude machen. Und der respektvolle Umgang mit der Natur: Es heißt nicht umsonst „Mutter Natur“. Die Mama haben wir doch alle gern – hoffentlich. So versuche ich es zu leben. 

David Kreiner
David Kreiner

wurde am 8. März 1981 in Kitzbühel geboren, wo er auch heute lebt. Der Tiroler gehörte viele Jahre zur Weltspitze in der Nordischen Kombination. Sein größter Erfolg war die Goldmedaille im Teambewerb bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver. Heute lebt er seine Leidenschaft als staatlich geprüfter Berg- und Skiführer.

WEB: www.david-kreiner.at