In den Bergen ist die Zeit der Leichtigkeit angebrochen – der Wanderschuh von heute ist kein klobiger Treter wie einst, sondern ein leichter High-Tech-Begleiter. Was moderne Bergschuhe können – und wie du das richtige Modell für deine Touren und Füße findest. 

Christof Domenig
Christof Domenig

Wer draußen unterwegs ist, weiß: Kein Ausrüstungsteil beeinflusst das Tourenerlebnis so sehr wie der Schuh. Ob Genusswanderung oder anspruchsvolle Gipfeltour – ohne passende Begleiter an den Füßen geht es nicht. Ein guter Wanderschuh schützt nicht nur vor Umknicken, Blasen oder Druckstellen – er sorgt auch für ein sicheres, ermüdungsarmes und freudvolles Wandererlebnis.

Die gute Nachricht: Die Zeiten schwerer „Geländetreter“ sind vorbei. „Die Entwicklung von Wander- und Bergschuhen hat in den letzten zehn Jahren eine bemerkenswerte Dynamik erfahren“, erklärt Alexander Würtinger von LOWA. „Während früher Robustheit und Trittsicherheit im Fokus standen, ist der moderne Outdoorschuh heute ein technologisches Multitalent – funktional, komfortabel und vielseitig.“ William Starka von Salewa pflichtet bei: „Hersteller nutzen heute moderne, leichte Materialien und Dämpfungsschäume, die dieselbe Unterstützung bieten wie früher – jedoch bei geringerem Gewicht. Unser Fokus liegt auf einem ‚Fast & Light‘-Ansatz: hybride Modelle, die Merkmale von Trailrunningschuhen, Zustiegsschuhen und klassischen Wanderschuhen miteinander verbinden.“ Thorsten Steiner von Tecnica sagt: „Komfort, Passform und Gewicht der Schuhe wurden in den letzten Jahren erheblich verbessert. Tecnica setzt auf eine anatomische Leistenkonstruktion für eine perfekte Passform. Moderne Materialien wie leichtes Nubukleder, atmungsaktives Mesh und synthetisches Hightech-Gewebe reduzieren das Gewicht, ohne an Haltbarkeit und Schutz einzubüßen. Zwischensohlenschäume dämpfen nicht nur, sondern geben aktiv Energie zurück – ein klarer Vorteil auf langen, anspruchsvollen Wandertouren.“ 

Viele Marken – darunter auch die für diesen Artikel befragten – setzen darüber hinaus auf nachhaltige Materialien, recycelbare Komponenten und langlebige Designs. „Ein guter Schuh soll dich viele Jahre begleiten – das ist echte Nachhaltigkeit“, sagt Würtinger.
 

Der moderne Outdoorschuh ist ein technologisches Multitalent – ­funktional, komfortabel und vielseitig.

Lowcut, Midcut, alpinen Schuhe
Ein Großteil der Wanderer bewegt sich auf gut angelegten, nicht übermäßig anspruchsvollen Natur- und Wanderwegen. Viele greifen dabei zu Lowcut- oder Midcut-Modellen. „Low-Cut-Schuhe bieten maximale Bewegungsfreiheit“, weiß Starka. „Sie sind leicht, gut belüftet und fühlen sich fast wie sportliche Sneaker an. Sie erfordern jedoch stabile Knöchel und Trittsicherheit – der Schutz ist entsprechend geringer.“ Midcut-Modelle hingegen bieten mehr Halt: „Sie schützen besser, geben Sicherheit in unwegsamerem Gelände und mit schwerem Gepäck“, erklärt der Salewa-Experte. Insgesamt rät er, zwischen Beweglichkeit und Unterstützung abzuwägen. Würtinger ergänzt: „Low-Cuts sind angenehmer bei heißen Sommertemperaturen – die geringere Stabilität kann aber, vor allem beim Bergabgehen mit bereits ermüdeter Muskulatur, zu erhöhter Verletzungsgefahr führen.“

Für alpine Herausforderungen braucht es mehr: „Stabile Bergschuhe sind für alpines Gelände, Schnee, Eis und steile Touren gemacht“, so Starka. „Sie haben steife Sohlen – oft steigeisenfest –, hohe Schäfte und robuste Materialien. Ideal für Gletscher, Hochtouren und Wintereinsätze. Für normale Wanderungen sind sie aber zu schwer und unflexibel.“

Am anderen Ende der Skala sieht man immer häufiger leichte Trailrunningschuhe im Gebirge – und das nicht nur an Läuferfüßen. Der Übergang zu „Speed Hiking“-Modellen ist hier außerdem fließend. „Sie bieten hohen Tragekomfort, aber weniger Schutz und Stabilität – daher sind sie eher für erfahrene Wanderer mit sicherem Tritt geeignet“, sagt Starka. Zustiegsschuhe als weitere Option sind ebenfalls niedrig geschnitten, jedoch mit steifen, festen Sohlen ausgestattet – „ideal für technisches, felsiges Gelände mit Kletterpassagen oder Klettersteige.“

Bergschuhtypen im Überblick

Lowcut-Wanderschuhe
Vorteile:

  • leicht, agil und luftig – ideal für warme Tage
  • sie bieten hohe Bewegungsfreiheit
  • perfekt für erfahrene, trittsichere Wanderer auf gut ausgebauten Wegen

Nachteile:

  • geringer Knöchelschutz und ­weniger Stabilität
  • höheres Verletzungsrisiko bei Müdigkeit oder bergab
  • nicht geeignet für schweres Gepäck oder schwieriges Gelände

Midcut-Wanderschuhe
Vorteile:

  • mehr Knöchelhalt und Schutz vor Geröll, vorm Anstoßen an Steinen sowie besserer Wetterschutz
  • gute Wahl bei unebenem Gelände oder schwerem Rucksack
  • sicherer Tritt auch bei längeren oder schwierigeren Touren

Nachteile:

  • etwas schwerer und weniger flexibel als Lowcut-Schuhe
  • weniger Beweglichkeit
  • bei sehr warmem Wetter weniger luftig

Alpine Bergschuhe
Vorteile:

  • extrem robust und für hochalpine Bedingungen konzipiert
  • steife, oft steigeisenfeste Sohlen bieten Halt auf Eis, Schnee & Fels
  • hoher Schaft, isolierende Materialien – ideal für Kälte & schwieriges Gelände

Nachteile:

  • schwer & sehr steif – kaum geeignet für normale Wanderungen
  • wenig Beweglichkeit, nur sinnvoll ­bei anspruchsvollen Touren oder Expeditionen

Persönlich statt pauschal
Die perfekte Schuhwahl ist daher eine sehr individuelle Entscheidung. Ein erfahrener Wanderer kann auf denselben Wegen mit deutlich leichterem Schuhwerk unterwegs sein als ein Einsteiger. „Erfahrene Wanderer haben in der Regel kräftigere Knöchel, mehr Trittsicherheit und kennen ihre Bedürfnisse besser“, erklärt Starka. Unerfahrene ermüden schneller und profitieren von zusätzlicher ­Unterstützung, die ein Schuh bietet. Der goldene Mittelweg: ein stabiler, bequemer – und dank moderner Materialien auch leichter – Midcut-Schuh. Mit wachsender Erfahrung kann man sich dann an Lowcut- und Speed-Hiking-Modelle herantasten. Aber auch persönliche Präferenzen spielen bei der Wahl eine Rolle, merkt Thorsten Steiner an: „Wer viel Wert auf Stütze und Schutz legt, greift zu Mid- oder Highcut-Modellen, wer Flexibilität und geringes Gewicht schätzt, wählt Lowcut.“
 

Ganz oben steht die Passform
Der beste Schuh bringt jedoch nichts, wenn er nicht passt. „Die Passform ist das Herzstück des Wanderschuhs – sie entscheidet über Komfort, Sicherheit und letztlich auch über den Spaß“, betont auch Alexander Würtinger. Für den Schuhkauf – unbedingt mit Fachberatung im Shop und Zeit zum Anprobieren – empfiehlt er folgende Regeln:

  • Die Ferse muss fest sitzen, ohne zu rutschen – sonst drohen Blasen.
  • Zehen brauchen ausreichend Raum – ca. 12 mm. Sie dürfen nicht vorne anstoßen, auch nicht beim Bergabgehen.
  • Kein Druck auf den Rist – Midcut-Schuhe bieten oft verschiedene  Schnürzonen, um sie individuell anzupassen.
  • Der Fuß soll seitlich stabil geführt sein, aber nicht eingeengt werden – ein lockeres Hin- und Herrutschen im Schuh wäre ein ­No-Go.
  • Die Sohle sollte gut abrollen, das Gehen sich natürlich anfühlen – nicht klobig oder steif. (Tipp: Steife Sohlen der alpinen Schuhe werden mit der Nutzung geschmeidiger.)

Wichtig ist auch der erste Eindruck: Schon beim ersten Reinschlüpfen sollte sich der Schuh „richtig“ anfühlen – wie für den eigenen Fuß gemacht. „Tecnica setzt auf geschlechterspezifische und sportartspezifische Leisten“, sagt Thorsten Steiner, „ergänzt durch anatomisch geformte Ortholite®­-Fußbetten. Dadurch sitzt der Schuh von Beginn an natürlich und komfortabel“. Lederschuhe passen sich mit der Zeit sogar noch besser an, werden weicher und geschmeidiger, betonen Steiner wie Würtinger.

Die Passform ist das Herzstück des ­Wanderschuhs – sie entscheidet über Komfort, Sicherheit und auch den Spaß.

Wann sich Neubesohlen lohnt
Wer seine gebrauchten Lieblings-­Bergschuhe noch nicht aufgeben will, muss das auch nicht unbedingt. Viele Hersteller bieten Reparaturservices an. „Das Neubesohlen ist sinnvoll, wenn die Außensohle abgenutzt ist, aber Obermaterial und Dämpfung noch in Ordnung sind“, erklärt William Starka. Gerade bei hochwertigen Modellen wie Lederschuhen kann sich das lohnen – sowohl ökologisch als auch finanziell. Auch Alexander Würtinger betont: „Wenn das Obermaterial gut erhalten und gepflegt ist – eine regelmäßige Lederpflege erhält Leder über Jahre hinweg.“

Am Ende lässt sich festhalten: Der Wanderschuh ist so wichtig wie ein verlässlicher Tourenpartner. Er schützt, dämpft, stabilisiert und passt sich an. Unsere folgenden „Top 6“ in den drei wichtigsten Kategorien geben dir schon einmal einen Überblick – das ideale Modell für dich findest du durch gute Beratung, ehrliche Selbsteinschätzung und das Ausprobieren verschiedener Varianten. Wer sich Zeit bei der Auswahl nimmt, geht weiter – und vor allem glücklicher.