Dass man vom Klettern körperlich, mental und sozial profitiert, haben wir schon öfters geschrieben. Dass das speziell auch fürs Kinder- und Jugendalter gilt, bislang nicht. Bouldern garantiert auf jedem Niveau Erfolgs­erlebnisse und ist sogar ein idealer Eltern-Kind-Sport.

Christof Domenig
Christof Domenig

Nach unten hin gibt es im Klettersport beinahe keine Grenze. Zumindest, was das Alter betrifft: „Die meisten Kletterhallen haben einen Kinderbereich. Schon ganz kleine Kinder können dort spielerisch die ersten Erfahrungen mit den bunten Griffen machen. Und damit auch mit ihrem eigenen Körper“, sagt Thomas Kohlbacher, Leistungskletterer, Klettertrainer und Wettkampfcoach in der Grazer Boulderhalle Bloc House. Er selbst hat im Alter von zehn Jahren zu klettern begonnen, doch obwohl das nicht viel länger als ein Jahrzehnt her ist, „waren es andere Zeiten“, meint er. Bouldern – also das Klettern in Absprunghöhe, bei dem keine Seilsicherung notwendig ist – hat sich seitdem vom Insidertipp stark in Richtung Breitensport entwickelt, es ist etwa mittlerweile DER Studentensport, sagt der Psychologie- und Sportstudent. Kletterhallen ziehen ein immer jüngeres Publikum an. Dass oft vom „Klettern als Lebensschule“ gesprochen wird, hat absolut seine Berechtigung. Kurse werden etwa im Bloc House ab fünf bis sechs Jahren angeboten. Ab rund zehn Jahren, bei Talent und Lust auch früher, könne man sich auch für Klettern als Wettkampfsport entscheiden.

Bleiben wir vorerst beim reinen Erlebnissport. Auch da spielen Grenzbereiche, die sich mit der Zeit verschieben, eine wichtige Rolle: „Man kann spielerisch an seine Grenzen gehen und sich ein bisschen herausfordern. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite geht es ums Miteinander“, erklärt Kohlbacher. Obwohl man in der Wand allein ist und beim Bouldern auch keinen Partner zum Sichern braucht, ist die Gemeinschaft ein wesentliches Element. Im Unterschied zu Teamsportarten falle dabei jedoch viel vom sozialen Druck weg, sagt Kohlbacher: Jeder sucht und findet nämlich seine eigene Herausforderung ganz nach seinen individuellen Möglichkeiten, niemand wird als Letzter in die Mannschaft gewählt. Man muss nicht drahtig wie ein Wettkampfkletterer sein, etwas mehr Gewicht zu haben ist kein Problem. Durch diese Vielfalt an Möglichkeiten können Eltern und Kinder den Sport auch gemeinsam ausüben – ab zehn, zwölf Jahren kann das gemeinsame Klettern mit den eigenen Kindern auch für Eltern schon richtig herausfordernd sein.

Spiel mit den Grenzen

Die Benefits
Beim ersten Mal in einer Kletterhalle bekommt jeder eine Einführung in die Regeln. Eine Spielwiese, wo Eltern ihre Kinder abgeben können, ist die Halle nicht. Sind Kinder nicht in eine Gruppe mit Trainer integriert, muss eine Aufsichtsperson dabei sein. Das versteht sich im Sinne der Sicherheit aber auch von selbst, schließlich sind die oft überhängenden Boulderrouten bis zu vier Meter hoch, unkontrolliert herumlaufende Kids sind da logischerweise Fehl am Platz. Wer die Hallenregeln kennt und beherzigt, kann auf eigene Faust loslegen. Stichwort Höhe: Dass auch beim unkontrollierten Abgang in der Regel nichts passiert, dafür sorgen ein mattenartiger Boden sowie ein bisschen Absprungtraining, das in Kursen gelehrt wird. Die Höhe ist gerade für Kinder durchaus auch eine Herausforderung, an die man sich herantasten kann, wobei wieder gilt: Jeder wählt die Höhe danach, wie man sich fühlt. Wie in jeder Sportart ist ein angeleiteter Start mit Trainer von Vorteil: „Man lernt zum Beispiel, wie man unterschiedliche Griffe greift, wie man richtig steigt, was es benötigt, um unterschiedliche Züge zu schaffen. In Einsteigerkursen wird zunächst ein Grundverständnis für die Bewegungen vermittelt“, erklärt Thomas Kohlbacher.

Wer regelmäßig klettert, profitiert vielfach. Auf der körperlichen Ebene: „Die Koordinationsfähigkeit steigt immens, man wird ganzkörperlich stabiler, kräftiger. Bewegungsgefühl und Körperwahrnehmung werden besser“, sagt der Klettertrainer. Gerade im Kinder- und Jugendalter sind die psychischen Benefits mindestens genauso wertvoll: Die Konzentrationsfähigkeit steigt ebenso wie die Fähigkeit, sich auf eine Aufgabe zu fokussieren – beim Überwinden der Schwerkraft in der Wand geschieht dies alles ganz automatisch. Nicht ganz unwichtig in Zeiten, wo schon kleine Kinder immer mehr Zeit mit iPad oder Smartphone verbringen, was die Konzentrationsfähigkeit bekanntlich ganz und gar nicht unterstützt. „Umgang mit Frustration ist ebenfalls ein großes Thema, das beim Bouldern gelernt werden kann“, erklärt Kohlbacher weiter. Und man lernt „Selbstwirksamkeit“, also seine Fähigkeiten und Grenzen viel besser, realistischer einzuschätzen. Eingebettet in die Gruppe, profitieren drittens die sozialen Skills: Man unterstützt sich gegenseitig in der Gruppe, tüftelt gemeinsam an Problemen und freut sich gemeinsam über gelungene Züge.

Der Weg zum Wettkampfsport
Beim Lösen von „Boulderproblemen“ kommt es auf eine Kombination aus Kraft, Technik, Taktik und Kreativität an. Womit auch der Bogen zum Leistungssport gespannt ist: Spielerische Wettkampfformate werden schon für unter Zehnjährige angeboten. Ab der Klasse U12, also ungefähr mit zehn Jahren, starten offizielle nationale Wettkämpfe, ab der U16 internationale. Wer sich einmal für Wettkampfbouldern entscheidet, sollte aber wirklich regelmäßig zwei- bis dreimal (oder auch öfter) pro Woche Bock auf Training und an den Wochenenden Zeit für Wettkämpfe haben. In Leistungsgruppen wird wettkampfspezifisch trainiert, das Klettertraining zum Beispiel durch spezifisches Krafttraining ergänzt. Es stimmt zwar, dass beim Klettern Technik mindestens so wichtig wie Kraft ist, „aber ohne Kraft kann man die Technik auch nicht anwenden“, erklärt der Klettertrainer. In Kletterbewerben hat es ja schon einige jugendliche Weltmeister der allgemeinen Klasse gegeben – kommt die Sportart dem Körperbau im Wachstum grundsätzlich entgegen? „Jein“, sagt Thomas Kohlbacher. Als Trainer trachte man jedenfalls danach, Nachwuchskletterer mit Bedacht aufzubauen und langsam an die allgemeine Klasse, die nach der U20 beginnt, heranzuführen. Bei zu frühen Leistungshöhepunkten sei die Gefahr erfahrungsgemäß groß, dass ­später die Freude verloren geht. Beharrlichkeit führt also zum Ziel. Und das gilt für das Alter wie für die Leistung: Nach oben gibt es im Klettern keine Grenzen.

Spiel mit den Grenzen


Ab zwei Jahren in die Wand
Sogar zwei- bis fünfjährige Kinder profitieren schon vom Bouldersport – beweist ein Projekt der Naturfreunde St. Veit an der Glan (Kärnten). Denn wie Laufen, Springen oder Balancieren gehört auch das Klettern zu den Grundformen der menschlichen Bewegung, erklärt Anja Puggl (Bild). Die Sportwissenschafterin hat ein spezielles Boulder-Konzept für Kleinkinder entwickelt, von dem auch Zweijährige schon profitieren, das daraus hervorgegangene Projekt „Spiel und Spaß in der Boulderhalle“ wird für zwei- bis fünfjährige Kinder seit mehreren Jahren in der Kletterhalle in  St. Veit angeboten. Diese angeleiteten Spiel- und Kletterstunden für die Jüngsten helfen bei der Entwicklung motorischer Grundfertigkeiten genauso wie bei der Entwicklung sozial-emotionaler Fähigkeiten, sagt Puggl. Bouldereinheiten müssten in diesem jungen Alter jedoch unbedingt pädagogisch fundiert sein und einen absolut spielerischen Zugang bieten: „Entscheidend ist die Mischung aus freier Spielzeit und gezielten Bewegungsangeboten“, sagt Anja Puggl.

Thomas Kohlbacher
Thomas Kohlbacher

ist Klettertrainer und Wettkampfcoach in der Boulderhalle Bloc House in Graz sowie beim Kletterverband Steiermark.
www.bloc-house.at
www.klettern-steiermark.at