Zwischen gemütlichem Wandern und Extrem-­Alpinismus gibt es eine Vielzahl von lässigen Tourenmöglichkeiten für ambitionierte Bergsportler, die fit, erfahren und trittsicher sind. Beim Herantasten an alpine Herausforderungen sollte man jedoch ein paar Grundsätze beachten.

Oliver Pichler

Die Sehnsucht nach Besonderem. Die faszinierende Anziehungskraft imposant-felsiger Bergmassive, die man schon länger vom Tal aus bestaunt hat. Der Wunsch, Touren zu bewältigen, die nicht jeder schafft. Oder auch das erhabene Gefühl, am Gipfel eines Dreitausenders zu stehen. Das alles sind gute Gründe, warum ambitioniertere Bergsportler früher oder später mehr wollen. „Mehr“ heißt in dem Fall: höher, schwieriger, länger, aber damit auch gefährlicher. Das Erlebnis ist intensiver. Der Reiz größer. Das Glücksgefühl steigert sich, sobald man die beschilderten, ausgebauten Wanderwege hinter sich lässt. 

„Wer häufiger in den Bergen unterwegs ist, sucht beinahe zwangsläufig zusätzliche Herausforderungen. Es wachsen Neugier sowie physische und psychische Fähigkeiten. Es ist sehr befriedigend, wenn man sich über Jahre hinweg steigert und man heute schwierige, längere Touren problemlos schafft, die früher nicht möglich waren“, beschreibt Herbert Raffalt das typische alpinistische Streben nach mehr. Dabei gibt der Bergführer und renommierte Alpinfotograf aus Haus im Ennstal zu bedenken: „Wir Menschen neigen dazu, ungeduldig zu sein. Deshalb wünschen wir uns schnellstmöglich hinauf auf den nächsten angestrebten Gipfel. Die Frage ist nur – wann ist man erfahren genug? Und liegt man mit der Selbsteinschätzung seiner alpinen Fähigkeiten richtig? Sonst kann es schnell gefährlich werden.“ Deshalb rät Raffalt dazu, zentrale alpinistische Basics zu beachten, damit mehr Kick am Berg nicht unweigerlich zu unkontrollierbaren Problemen führt.

„Um Gipfel zu besteigen, auf die es keine präparierten Wanderwege, sondern bestenfalls punktuell markierte Steige gibt, braucht es neben höherem Eigenkönnen auch deutlich mehr Planung“, erklärt Bergführer Hannes Millgrammer aus Bramberg. Zusätzlich muss man, so der Salzburger, „immer in der Lage sein, auf Überraschungen flexibel zu reagieren, zu improvisieren oder die Route zu verlegen.“ 

Ihm pflichtet sein Zillertaler Kollege Stefan Wierer bei und beschreibt das Spannungsfeld, in das man sich bei alpinen Bergtouren begibt, als „einerseits reizvoll, andererseits, etwa bei Wetterproblemen, schnell sehr gefährlich“. „Wir stellen in größeren Höhen fest, dass es immer wieder zu Akklimationsproblemen kommen kann. Man fühlt sich dann schneller erschöpft, Schwindel kann auftreten und das Herz wird stärker belastet“, nennt Bergprofi Wierer einen unterschätzten Nebeneffekt ambitionierter Touren.

Sicher das Erlebnis maximieren
Während man sich für eine gemütliche Wanderung spontan und ungeplant entscheiden kann und kaum spezielle Ausrüstung braucht, sind Bergtouren als geplante „Projekte“ zu behandeln. „Tourenplanung anhand von Infos aus dem Internet, Führern und Karten bzw. Apps“, nennt der Zillertaler Wierer als entscheidende Voraussetzung. „Die Planung ist auch deshalb so wichtig, weil Fehleinschätzungen bezüglich Schwierigkeitsgrad und Streckenlänge am Berg fatale Auswirkungen haben können“, bricht Raffalt eine Lanze für fundiertes Planen. „Bei Klettersteigen etwa, die Teil einer Frühjahrestour sind, sollte man im Vorfeld prüfen, ob diese nach dem Winter schon wieder begehbar sind und vom Schnee gelockertes Gestein bereits aus der Wand geholt wurde“, nennt der Steirer einen weiteren guten Grund fürs Planen. „Eine Vertrauensperson zu informieren, welche Tour man machen wird, um im Notfall bessere Anhaltspunkte für eine Bergung sicherzustellen“, wirft Millgrammer als weitere Facette der Vorbereitung ein.

Know-how für Alpin-Touren

Wer sich an anspruchsvolleren Bergsport-Herausforderungen versucht, soll das gut gerüstet tun. Denn in alpinen und hochalpinen Regionen sind die Voraussetzungen auch während der Sommermonate andere als in tieferen Lagen. Besonders wichtig ist zu bedenken, dass viele der ambitionierteren Touren erst im Verlauf des Sommers schneefrei werden und man bis dahin mit Vereisung und Altschneefeldern rechnen muss.

Basics

  • gute Fitness (Ausdauer, Beweglichkeit, Kraft)
  • vielfältige Bergsport-Erfahrung
  • Kletterkönnen, zumindest bis II. Grad
  • fundierte Tourenplanung inklusive Beobachtung der Wetterlage
  • aktuelles Kartenmaterial bzw. Führermaterial
  • Karten-Apps – Karten downloadbar, damit sie auch ohne Mobilnetz einsetzbar bleiben

Ausrüstung

  • Erste-Hilfe-Set & Rettungsdecke
  • Biwaksack
  • Stirnlampe
  • geladenes Mobiltelefon, eventuell zusätzliche Powerbank
  • ausreichend Getränke und Verpflegung
  • bergtaugliche, kontraststarke Sportbrille
  • Sonnenschutz (Creme, Kappe, Schlauchtuch)
  • Regen-, Wind- & Kälteschutz (regen- & winddichte Kleidung, Isolations­kleidung, Haube, Handschuhe)
  • robuste, knöchelhohe Bergschuhe, klettertauglich und steigeisenfest
  • Bergstöcke (klapp- bzw. zusammenschiebbar)
  • Wechselkleidung & Wechselsocken
  • Rucksäcke mit Vollkontakt-Rücken (Schwerpunkt näher am Körper) mit Stock-, Helm- und Pickel-Befestigungsmöglichkeit

Zusätzlich
Je nach Tour und erwarteten Herausforderungen

  • Klettergurt & Klettersteigset
  • Kletterhelm
  • Spikes bzw. Grödel oder Steigeisen (mit Antistoll-Platten)
  • Eispickel
  • Anseil- bzw. Kletterausrüstung (Seil, Karabiner, Bandschlingen, Reepschnüre u. ä.)

„Zusätzlich zur körperlichen Fitness, die man durch Laufen, Biken und Bergwandern trainieren kann, braucht es beim Bergsteigen auch vielfältige alpine Erfahrungen und ein Gefühl für Wetterauswirkungen. Etwa, dass es trotz südseitig perfekter Bedingungen auf schattigen Nordseiten eisig sein kann oder man Schneefelder zu überwinden hat“, weiß Herbert Raffalt. Auch Regen, des feuchten und damit viel rutschigeren Felses wegen, oder in höheren Lagen ganzjährig bei einem Wettersturz mögliches Graupeln oder Schneefall werden schnell zum Problem, weil die Wegfindung deutlich schwieriger ist, da Markierungen nicht mehr sichtbar sind. 

„Der Winter dauert in den Bergen deutlich länger. Das wird oft unterschätzt, etwa bei uns in den Niederen Tauern, an Süd-Nord-­Übergängen wie der Neualmscharte oder im Bereich hoch gelegener Seelandschaften wie am Klafferkessel“, nennt der Ennstaler konkrete Beispiele. Altschneefelder seien stark verfestigt und damit langlebig. Sie zu queren kann ohne Spikes, Grödel oder Steigeisen schnell lebensgefährlich werden. 

Hochalpine Gipfelbesteigungen sind bis weit ins Jahr hinein als Wintertouren zu verstehen. „Den Dachstein-Gipfel beispielsweise kann man etwa im Mai und Juni sehr gut machen. Nur eben als Wintertour. Auf Skiern geht es bis zum Einstieg und in der Folge mit Steig­eisen ausgerüstet über Schnee-­Stufen bergwärts. Weil Teile des Klettersteigs vom Schnee bedeckt sind, braucht es zusätzliche Seilsicherung“, verrät Raffalt.

Professionelle Ausrüstung
Neben Spikes, Grödel oder Steigeisen – um besagte Altschneefelder sicher zu queren – gilt bei der Ausrüstung das Prinzip „so wenig wie möglich, so viel wie notwendig“. „Ich rate zu bedingt steigeisenfesten Bergschuhen, dank deren harter Sohle man im steilen Gelände besser gehen kann. Zustiegsschuhe oder Modelle mit zu weicher Sohle sind nicht ideal. Bei steilen Schneefeldern, aber auch wenn ich mich auf steilen, feuchten Wiesen bewege, habe ich gerne einen leichten Eispickel zur Hand“, gibt Bergführer Millgrammer Ausrüstungstipps. Bergstöcke bewähren sich insbesondere bei Abstiegen. Pflicht sind eine warme Jacke, Regenbekleidung, Wechselwäsche, Haube, Handschuhe und eine Stirnlampe, falls man länger unterwegs ist als geplant. Bei Steinschlaggefahr ist ein Kletterhelm ratsam. 

Während Touren ohne Gletscherquerungen auch alleine machbar sind, sollte man aus Sicherheitsgründen auf Gletschern in kleinen Gruppen (Steigeisen & angeseilt) unterwegs sein. Bei der Wahl des Rucksacks (Befestigungsmöglichkeit für Stöcke, Helm und Pickel) raten die Experten zu Vollkontakt-Rückensystemen, weil dadurch der Schwerpunkt näher am Körper liegt, was im Steilgelände sowie bei Kletterpassagen wichtig ist.