Während andere ihre sportlichen Ambitionen ausschließlich drinnen ausleben, nutzen ­immer mehr Hobbysportler den kühlen Wald als abwechslungsreichen „Bio-Fitness-Parcours". Die gute alte „Fitmeile" feiert ihr Comeback – aufgepeppt durch modernste Trainingserkenntnisse.

Christoph Lamprecht

Ein Sonntagmorgen im Spätsommer. Zügig hirscht eine Gruppe junger Läufer durchs Gehölz, duckt sich unter Ästen, balanciert über Stämme, springt über Gräben – und stoppt dann kurz, um größere Steine als Hanteln zu nutzen.

Es sind keine Trailrunner, die hier bloß Geländekilometer machen – diese Hobbysportler absolvieren ganz gezielt ein modernes Fitnesstraining! „Diese sogenannten ,Vorgabeläufe' in der Natur sind eine spannende Methode, etwas für seinen Körper zu tun", erklärt Runtastic-Sportwissenschafter Mag. Herwig Natmessnig. „Dabei gibt immer ein Läufer den Weg für die anderen vor und versucht, querfeldein so viele Hindernisse und Aufgaben in die Laufstrecke einzubauen wie möglich. Vor allem in der Gruppe macht dieses Fitnesstraining besonders viel Spaß und ist gleichzeitig auch ein hervorragendes Geschicklichkeits- und Balancetraining."

Das Repertoire an Übungen wird nur durch die eigene Kreativität begrenzt und kann neben Klassikern wie Liegestütz und Kniebeuge auch nicht ganz alltägliche Trainingsformen wie Baumklettern oder das Springen über Bäche enthalten. Aufwendiges Equipment braucht man dafür nicht – verwendet wird, was gerade vor Ort ist. Wer es braucht, verwendet ergänzend leicht zu transportierende Trainingshilfen wie TRX- oder Therabänder. Ob eine Einheit lauflastig ausfällt oder nicht, ist Geschmackssache und hängt davon ab, in welchen Bereichen man sich verbessern möchte.

ALLES SCHON DA GEWESEN
Der Trend, beim Freilufttraining unterschiedliche Aspekte der Gesamtfitness zu verbinden, ist alles andere als neu. Vor fast einem halben Jahrhundert wurden in unseren Breiten bereits ähnliche Konzepte wie heute propagiert, um einer Gesellschaft, die zunehmend an Zivilisationskrankheiten zu leiden begann, gesunde Bewegungsalternativen aufzuzeigen.

Bereits 1962 war unter dem klingenden Namen „Schweißtropfenbahn" im westfälischen Münster der erste Fitness-Pfad im deutschsprachigen Raum eröffnet worden. Der Höhepunkt so gearteter Parkours folgte rund zehn Jahre später: Ab Anfang der 70er-Jahre bewegte der (bundes-)deutsche „Sportbund" mit seiner „Trimm dich"-Initiative Hunderttausende zu mehr körperlicher Aktivität auf eigens geschaffenen Freiluftrouten, wo Freizeitsportler diverse Stationen mit Beschreibungstafeln für effektive Grundlagenübungen wie Klimmzüge oder Einbeinstand absolvierten.

Die Idee hinter der großangelegten Aktion unserer Nachbarn kam aus dem hohen Norden. Unter der skandinavisch knappen Bezeichnung „Trim" wurde in Norwegen schon Ende der 60er-Jahre der breiten Bevölkerung ein vielseitiges Outdoor-Fitness-Konzept nähergebracht. In Anlehnung daran erfreuten sich auch in Österreich die sogenannten „Forst-" oder „Fitmeilen" großer Beliebtheit, während in der Schweiz auf „Vitaparcours" trainiert wurde. Dass die kostenlosen Angebote gern angenommen wurden, war nicht zuletzt der gesundheitlichen Notwendigkeit geschuldet, denn rund 25 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte sich in Mittel- und Westeuropa bis auf wenige Ausnahmen erstmals eine Wohlstandsgesellschaft gebildet, in der Übergewicht und Herzinfarkte zunehmend zum Problem wurden.

Fernsehspot der Trimm dich-Initiative

DIE LAUFWELLE
Zu Beginn der 80er-Jahre stagnierte der Boom um die Fitness-Parkours und kam bald zu einem Ende. Nun war Joggen in Mode, und zahlreiche Freiluftanlagen wurden aufgelassen und verfielen. Der schon 1975 getitelte Slogan „Ein Schlauer trimmt die Ausdauer" geriet zunehmend zum Mantra der wachsenden Läufergemeinde, während Körperkraft- und Koordinationsübungen für die breite Masse immer mehr zur Nebensache wurden.

Aber in den letzten Jahren hat sich dieser Trend wiederum gedreht. Noch immer wird eifrig gelaufen – aber die einstigen „Nur-Jogger" haben neue Spielarten entdeckt. Trailrunning ist in, vor allem aber freut man sich weltweit bei Abenteuer- und Hindernisläufen wie der Fisherman-Strongman-Run- oder Spartan Race-Serie über steigende Teilnehmerzahlen. Der Hintergrund: Auch hier sind die Strecken von Stationen gesäumt, die den Teilnehmern neben Kraft und Ausdauer – ähnlich wie beim Outdoor-Fitnesstraining – vor allem Koordination und Geschicklichkeit abverlangen.

Trotz der Spezialisierung der unterschiedlichen Run-, Bike- und anderen Sport-Communitys sieht Natmessnig für alle Hobbysportler einen enormen Nutzen von abwechslungsreichen Einheiten im Outdoor-Fitnessstudio: „Gelegentliche Waldläufe sind für jedermann eine hervorragende Trainingsvariante, um Fußstabilität, Koordination und Balance zu verbessern. Aufgrund des unregelmäßigen Laufuntergrunds ist die gesamte stabilisierende Muskulatur des Fußes bei jedem Schritt gefordert. Wurzeln, Steine und unterschiedliche Steigungen sind dabei der ideale Rhythmusbrecher. Das Lauftempo muss der jeweiligen Bodenbeschaffenheit angepasst werden und dem Trainierenden wird ein ständiger Wechsel der Schrittlänge und Schrittfrequenz abverlangt. Hindernisse wie etwa umgefallene Baumstämme bieten eine zusätzliche Möglichkeit, um die Balance zu schulen und die Koordination zu verbessern. Und wer seinem Body auch kraftmäßig etwas Gutes tun will, kann jederzeit ein paar Liegestütze oder ähnliche Kräftigungsübungen einbauen."

BACK TO THE ROOTS
Der steigende Drang der Fitnessgemeinde nach draußen und die wachsende Beliebtheit des Trailrunning-Sports haben in den letzten Jahren zu einer wahren Renaissance des Outdoor-Trainings geführt. Dabei präsentiert sich die Szene als durchaus vielseitig. Beeinflusst von funktionellen Trainingskonzepten werden nun wieder vermehrt unter unterschiedlichen Bezeichnungen Ausdauereinheiten mit Kraftübungen gepaart. Dabei kommt zum Einsatz, was gerade greifbar ist – seien es Baumstämme, Sitzbänke oder Ähnliches. Abwechslung ist nicht bloß ein Mittel, um Langeweile vorzubeugen, sondern gleichzeitig wichtiges Trainingsprinzip, das auch bei Hobbysportlern zu einer Leistungsverbesserung führt.

„Ausschlaggebend für eine Leistungssteigerung ist ein trainingswirksamer Reiz", sagt Herwig Natmessnig. „Der Körper muss aus seiner Komfortzone, auch Homöostase genannt, gebracht werden, um Anpassungsprozesse in Gang zu bringen. Viele Hobbysportler haben ihre fixe Trainingsroutine, die sie Woche für Woche wiederholen. Damit kann man zwar seine Leistungsfähigkeit erhalten, jedoch wird es langfristig zu keiner weiteren Steigerung führen, weil der Trainingsreiz verloren geht. Darum ist es wichtig, das Training abwechslungsreich zu gestalten – und der Wald bietet dafür zahllose Möglichkeiten."

SICHER FIT
Bei aller Begeisterung gilt es beim Outdoor-Fitnesstraining, ähnlich wie beim Wandern, aus Sicherheitsgründen ein paar Grundregeln einzuhalten. Runtastic-Personal-Coach Lunden Souza rät: „Absolviert anspruchsvolle Einheiten in abgelegenem Gelände niemals alleine, damit ihr im Notfall jemanden habt, der euch helfen kann. Ein Mobiltelefon dabei zu haben, ist hier in jedem Fall Pflicht. Trailrun-Schuhe liefern abseits befestigter Straßen den notwendigen Grip und geben sicheren Halt, auch für Sonnenschutz und ausreichende Flüssigkeitsversorgung muss gesorgt sein. Falls man länger als eine Stunde trainiert, ist auch die Mitnahme von Snacks eine gute Idee, um einem eventuellen Hungerast entgegenwirken zu können."

Runtastic Fitness Coach Lunden Souza liefert schließlich noch ein starkes Argument für Freiluft-Fitness: „Das Training im Freien ist bestens geeignet, um den Kopf freizubekommen und Stress abzubauen. Draußen fühlt man sich einfach freier und ist dadurch besonders motiviert, sodass die Zeit gefühlsmäßig sehr viel schneller vergeht, weil man von Eindrücken abgelenkt wird."

Mag. Herwig Natmessnig
Mag. Herwig Natmessnig

ist für Runtastic als Sportwissenschafter tätig. Als Profiathlet war er 14 Jahre lang Mitglied der ­österreichen Kanu-Slalom-­Nationalmannschaft.

Web: runtastic.com/blog