Sport verbrennt nicht nur Kalorien. Sport entsorgt auch psychischen Ballast. Wie man Stress, Ärger und sogar Burn-out davonlaufen kann: Hier geht’s zum Endspurt der neuen Gelassenheit!

Linda Freutel


Der Mensch hat es sich bequem gemacht. Im warmen Büro schuftet es sich schließlich wesentlich komfortabler, als draußen auf dem Feld. Mentale statt muskulärer Leistung – das ist es, was heute zählt. Es ist aber auch genau das, was uns quält, sagen immer mehr Ärzte und Wissenschaftler. Unsere Köpfe können nämlich nicht mehr. Der Schädel raucht, der Geist ist geplagt und die Seele ausgebrannt. Burnout ist der Name für einen Zustand, der immer mehr Menschen plagt: Lethargie, Frust und Verzweiflung bis zum Gefühl der Gelähmtheit.

Psychische Ausgebranntheit schmettert unsere Leistungsgesellschaft nieder – uns droht, drastisch gesagt, das völlige Knock-out. Und das, obwohl wir doch eigentlich den ganzen Tag bequem auf unseren ergonomischen Gesundheitsstühlen sitzen. Oder gerade, weil wir dies tun - behaupten die Experten. Ärzte, Wissenschafter und auch glückliche Menschen sind sich nämlich in einem Punkt einig: Mangelnde Bewegung ist eine der bedeutendsten Ursachen bei der Entstehung von Burn-out!

Damit ist aber andersherum auch schon die gute Nachricht auf dem Tisch: Bewegung ist sowohl Prävention als auch eines der wirksamsten Mittel gegen die Ausgebranntheit. Nein, eigentlich ist sie noch mehr: Bewegung ist eine Pflicht. Wer gesund und glücklich sein will, kommt nicht umhin, sein Leben in Bewegung zu bringen. Auch interessant: Sport gegen Stress: Die 8 wichtigsten Regeln zur Burn-out-Prävention.

SPORT IST MEDIZIN UND THERAPIE
„Move your body and your mind will follow“, sagen die Amerikaner. Und das wissen auch diejenigen, die schon mal den Endorphin-Cocktail auf der Marathon-Zielgeraden gekostet haben. Oder die nach einer Work-out-Einheit zufrieden auf die Matte gesunken sind. Oder die, die endlich den perfekten Golfschwung gespürt haben. Oder. Oder. Oder.

Sport macht stolz. Sport macht Spaß. Und Sport macht aus medizinischer Sicht vor allem Sinn. Bereits in den 80er-Jahren fand man heraus, dass Bewegung bei der Behandlung von Depressionen hilft. Heute ist man noch einen Schritt weiter: Man weiß, dass Bewegung nicht nur eine nette Therapieergänzung, sondern eine echte Notwendigkeit ist. Sport ist Medizin. Und zwar eine, die nach den Erkenntnissen der berühmten Blumenthal-Studie im Jahr 1999 die Wirkung von Antidepressiva ersetzen kann. Mehr noch: Die Forschungen zeigen, dass jene Testpersonen, die durch vermehrte Bewegung ihrer Depression oder dem Burn-out getrotzt haben, eine geringere Rückfallquote hatten, als die Patienten, die mit Tabletten behandelt wurden.

DER 'HAPPY-FAKTOR'
Sportpsychologin Mag. Kerstin Eibel aus Graz kennt den Happy-Faktor von Bewegung: „Sport erhöht die Produktion von Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin. Diese sind für ihre stimmungsaufhellende und ermüdungshemmende Wirkung bekannt, wirken also positiv auf unsere Psyche. Zugleich werden durch Bewegung und Sport Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol abgebaut und dadurch ihre schädigenden Effekte verhindert.“

Bei Burn-out-Patienten wurden nachweislich bereits nach zehn Trainingstagen psychische Verbesserungen festgestellt. Und je langfristiger trainiert wurde, desto nachhaltiger waren die Ergebnisse. Diese langfristigen Effekte beziehen sich dabei aber keineswegs nur auf den Gehirnstoffwechsel: Die Fitness wird besser, die Gesundheit stärker und die Figur verändert sich natürlich ebenfalls. „All das trägt dazu bei, dass wir uns in unserem Körper wohler fühlen, psychisch stabiler sind und ein Burn-out überwinden können“, sagt unsere Expertin.

ACHTSAM GEGEN SICH SELBST
Neben dem Gehirnstoffwechsel und der Fitness ist es aber vor allem die seelische Komponente, die zählt. „Ein wichtiger Teil der Sporttherapie ist die Wahrnehmung des eigenen Körpers. Es geht darum, sich wieder zu ,spüren‘. Das haben Burn-out-Betroffene nämlich häufig verlernt.“
Oft ist bei ihnen das Gefühl von Druck und Stress derart massiv, dass die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und Grenzen dahinter verschwindet.

Doch genau diese Sensibilität braucht es, um das Burn-out zu erkennen und ihm schließlich trotzen zu können. Nur wer sich selbst spürt, kann auf sich selbst achten – und sich aus der Burn-out-Falle befreien. Kerstin Eibel ergänzt: „Es geht um die Achtsamkeit sich selbst gegenüber. Aber auch darum, zu fühlen, dass man ausreichend Kraft und Macht besitzt, um das Leben wieder in die Hand zu nehmen und dem Stress Herr zu werden. Die Betroffenen merken beim Sport wieder, dass es allein an ihrem Einsatz, ihrer Willensstärke und Kraft liegt, Herausforderungen zu meistern. Ein Motivationstief überwunden oder eine Strecke geschafft zu haben, hebt Stimmung und Selbstwertgefühl.“

IN KLEINEN SCHRITTEN
Der inneren Ausgebranntheit einfach davonzulaufen, klingt erfolgsversprechend und irgendwie auch ziemlich simpel. Burn-out-Betroffenen stellt sich aber genau hier die nächste schier unüberwindliche Herausforderung: Ihnen fehlt der Antrieb! Oft reicht die Lust auf Bewegung nicht mal zu einem Spaziergang. Der Geist ist müde und steckt den Körper an. Wie dieser Teufelskreis zu durchbrechen ist? „In Fällen totaler Lustlosigkeit“, sagt Kerstin Eibel, „muss in kleinen Schritten gearbeitet werden.“ Das Wichtigste sei es, sich selbst zu verzeihen. Lustlosigkeit ist keine persönliche Schwäche, sondern ein typisches Burn-out-Symptom, das es zu besiegen gilt. Zur Not auch in winzigen Etappen.

Das Kreisen der Arme oder ausgiebiges Recken und Strecken sind beispielsweise erste Mini-Übungen, die Körper und Geist gleichermaßen wecken. Ein wissenschaftlicher Fakt ist nämlich, dass allein durch die Körperhaltung wichtige Impulse für unser Wohlbefinden gesetzt werden.

PROBIERE ES SELBST
Wer eine stolze, aufrechte Haltung einnimmt, fühlt sich automatisch selbstbewusster, sicherer, ein klein wenig besser. Das ist keine Einbildung – der Grund sind feine Nervenbahnen des Rückenmarks, die mit unserem Gehirn gekoppelt sind und, je nach Aufrichtungsgrad der Wirbelsäule, gezielte Impulse an das Laune-Zentrum im Hirn senden. Eine Aufrichtung der Wirbelsäule aktiviert die Gehirntätigkeit, während eine gebeugte, „unglückliche“ Haltung eben auch solche Gedanken und Gefühle nach sich zieht.

UNTER DAUERSTROM
Sport und Burn-out haben aber auch eine zweite, dunkle Seite. Da sich Burn-out in den unterschiedlichsten Symptomen äußert, ist nicht jeder Betroffene von Antriebslosigkeit geplagt. Im Gegenteil: Manche Burnoutler sind derart unter Druck, dass sie überhaupt nicht mehr zur Ruhe kommen. Sie laufen unter Dauerstrom, ihr Alltag ist ruhelos, ihr Leben eine einzige Hetzerei.

Und ausgerechnet solch umtriebigen Burnout-Betroffene versuchen oft, ihre Rastlosigkeit ausgerechnet mit Sport auszugleichen. Sie gehen regelmäßig joggen, powern sich in Fitnessstudios aus oder versuchen sich sonstwie sportlich abzureagieren. Und was passiert? Das Gegenteil von dem, was sie sich wünschen. Sie fühlen sich nach dem Sport ausgebrannter als zuvor.

„Auch das ist eine typische Gefahr“, verrät die Sportpsychologin und rät: „Es geht darum, den richtigen Sport und das richtige Maß für sich zu finden. Wer zum Beispiel den ganzen Tag am Computer sitzend verbringt, sollte abends ein heißes Tennismatch spielen oder eine pfiffige Tour auf dem Mountainbike drehen. Das aktiviert den ,eingefrorenen‘ Körper, vertreibt Frust und Aggressionen und stellt das psychische Gleichgewicht wieder her. Hingegen kommen Personen, die ständig von Terminen, Ruhelosigkeit und Stress getrieben werden, wahrscheinlich eher wieder in Balance, wenn sie zyklische Sportarten wie Laufen oder Schwimmen ausüben. Die gleichförmige, rhythmische Bewegung hilft beim Runterschalten.“

AUSDAUERN STATT AUSPOWERN
Aber nicht nur die Art des Sports, sondern vor allem dessen Intensität spielen bei der Behandlung und Prävention von Burn-out eine wichtige Rolle. „Ausdauern statt Auspowern“ ist das Motto, zu dem Experten raten. Ein moderates Ausdauertraining ist die beste Therapie“ sagt auch Eibel, „denn ein zu intensives Training wirkt anaerob, belastet wieder den Körper. Und auch die Stoffwechselprozesse des Gehirns werden in Mitleidenschaft gezogen. Im schlimmsten Fall entsteht ein höheres psychisches Stresslevel als zuvor.“ Der gewünschte stabilisierende Effekt wird daher nur von Bewegung erzeugt, die im aeroben Bereich, also in einem moderaten Belastungsmaß, stattfindet.

Wann man allerdings von einem moderaten Training sprechen kann, ist pauschal leider nicht zu sagen. Kleiner Tipp daher: Nicht nur bei Burn-out-Betroffenen, sondern auch bei allen, die wenig sportliche Vorerfahrung besitzen, helfen Leistungsdiagnostiken am sichersten, das persönliche Leistungsspektrum exakt auszuloten.

AUSGLEICH FÜR DIE SEELE
„Nur wer spürt, wie sich die unterschiedlichen Belastungen anfühlen, lernt zwischen gutem und schlechtem Training zu unterscheiden und das richtige Maß für sich zu finden“, sagt Expertin Kerstin Eibel, und fügt noch einen letzten Rat hinzu: „Wer Sport als Ausgleich für die Seele nutzt, sollte moderat trainieren, sein Hobby aber vor allem nicht allzu sehr versachlichen. Das verlässlichste Barometer für ein gutes Training ist nämlich noch immer das eigene Bauchgefühl. Spaß ist das Wichtigste beim Sport. Vor allem, wenn man es als Burn-out-Prävention oder Behandlung nutzen möchte.“ Dann ist es auch egal, ob man Marathon läuft, in den Bergen herumradelt, Zumba tanzt oder Tennis spielt: Gegen Herzblut hat Burn-out keine Chance!

Mag. Kerstin Eibel
Mag. Kerstin Eibel
ist Sportpsychologin und Mentaltrainerin in Graz; sie ist Inhaberin der Sportpsychologischen Beratungs- und Untersuchungsstelle des Landes Steiermark (LSO).