Hochtouren sind Abenteuer auf höchstem Niveau. Sie erfordern Technik, Ausdauer, Erfahrung – und schenken unvergessliche Momente. Wer es sich zutrauen kann, wie man an Hochtouren herangeht und sie durchführt: Zwei Bergführer verraten, worauf es wirklich ankommt.
Hochtouren gelten als Königsdisziplin im Bergsport. Sie vereinen das Gehen auf markierten und nicht markierten Wegen mit dem sicheren Bewegen auf Gletschern, das Fortkommen in ausgesetztem Gelände und dem Einsatz von Seil, Steigeisen und Pickel. Für viele ambitionierte Bergsportler ist der Schritt zur Hochtour einerseits eine logische Weiterentwicklung – andererseits ein echtes Abenteuer.
„Ein besonderer Reiz an Hochtouren ist sicherlich, dass man das komplette Bergsport-Repertoire abdecken und erfüllen muss“, erklärt der Kärntner Berg- und Skiführer Michael Mautz. „Zustieg, Gletscher, Fels, Seiltechnik – alles kommt zusammen. Du musst ein kompletter Bergsteiger sein.“ Ähnlich sieht es sein Südtiroler Kollege Florian Huber: „Man bewegt sich oft noch in relativ ursprünglichem Gelände, abseits von Massen und Zivilisation. So groß die Anforderung ist – noch größer ist das Erlebnis.“
Wer kann es sich zutrauen?
Per Definition spricht man von einer Hochtour, wenn sie über Gletschergelände führt. Ein zweiter wesentlicher Unterschied zu Wandertouren: Es geht durch wegloses Gelände. Körperliche Ausdauer ist eine Grundvoraussetzung – über Stunden hinweg, oft mit schwerem Gepäck. Auch die Höhe spielt eine wesentliche Rolle.
„Man muss lernen, sich die Kräfte einzuteilen. Auf 3000 Metern geht es sich nicht mehr so leicht aus wie auf 1000 Metern. Akklimatisierung ist hilfreich“, sagt Mautz. Technisch reicht das Spektrum von einfachen Gletschertouren – etwa am Großvenediger – bis hin zur „Nordwandkletterei mit Eisschrauben“, so Mautz. Der Anspruch hängt also stark von der gewählten Route ab.
Huber ergänzt: „Das Kletterniveau überschreitet selten den IV. Grad, Trittsicherheit im anspruchsvollen Gelände ist eher noch wichtiger. Man sollte sich im Fels und Eis sicher bewegen und klassische Seiltechniken beherrschen.“ Auch mental fordern Hochtouren einiges: durch frühe Starts im Dunkeln, ausgesetzte Passagen – oder lange, kräftezehrende Abstiege.
Häufige Fehler und Risiken
Die spezifischen Anforderungen werden manchmal unterschätzt. Ein häufiger Fehler: falsche oder fehlende Seiltechnik. „Es ist ein großer Unterschied, ob ich mich gegen Spaltensturz oder gegen Absturz absichere. Und danach richtet sich auch, wie ich mich anseile“, erklärt Mautz. Ein Beispiel: Wer in steilem Gelände mit zu großem Abstand unterwegs ist, riskiert im Falle eines Sturzes, andere mitzureißen.
Auch beim Timing für das Anlegen von Steigeisen und Gurt gibt es oft Unsicherheiten. „Nur 20 Meter Eis? Das geht schon!“ – ein Trugschluss, der böse enden kann. „Lieber fünf Minuten investieren als abrutschen“, sagt Mautz.
Für Florian Huber zählen mangelnde Kondition und falsche Ausrüstung zu den klassischen Risikofaktoren – und er rät: „Demut hilft. Nicht gleich den höchsten und schwersten Gipfel anpeilen, sondern sich langsam steigern und an höhere Aufgaben herantasten.“
Umfassende Planung ist Pflicht
Hochtouren sind verhältnissensibel. Bedingungen ändern sich – je nach Tourenzeitpunkt, Tageszeit und Wetter. „Im Frühsommer kann eine Route schlecht begehbar sein, im Hochsommer dann perfekt – oder umgekehrt“, sagt Mautz. Besonders wichtig: früh starten. Schneefelder sind nach kalten Nächten tragfähig und man ist vor Gewittern wieder im Tal.
Beide Bergführer raten neben konditionellem Training zu Kursen in Spaltenbergung, Sicherungstechnik und Tourenplanung. „Idealerweise geht man zuerst mit erfahrenen Leuten oder einem Bergführer los“, empfiehlt Huber. Ebenso wichtig: die passende Ausrüstung – nicht zu viel, nicht zu wenig. Auch ein Plan B sollte immer vorhanden sein. „Wenn es nicht passt – einfach umdrehen. Das ist kein Scheitern, sondern zeugt von Erfahrung.“
Ein Bergführer übernimmt vieles: von der Planung bis zur Routenfindung. Aber: „Je mehr man selbst kann, desto mehr kann man genießen“, sagt Huber. Trittsicherheit und solide Grundkondition sind auch bei geführten Touren Pflicht.
Mautz ergänzt: „Wir helfen beim Erlernen der richtigen Techniken. Und bei anspruchsvolleren Touren ist ein Profi oft der Schlüssel zu einem sicheren Erlebnis.“ Weil Hochtouren lang sind, geht es auch darum, Entscheidungen rasch zu treffen. „Man muss zügig vorankommen und die passende Sicherungsmethode ändert sich mitunter im Minutentakt“, so Mautz. „Da braucht es schnelle Entscheidungen. Für uns Bergführer ist das Daily Business – als Privater, wenn man das nicht so oft macht und zu lange überlegt, kann es sein, dass einem der Tag einmal ausgeht.“
Checkliste Hochtouren
- Erfahrung ist Voraussetzung: Hochtouren verlangen unbedingt nach mehrjähriger Erfahrung im Bergsport. Regelmäßig viel in den Bergen unterwegs sein, Schwierigkeiten Stück für Stück steigern, ist die Devise.
- Passt die Kondition? Lange Touren mit schwerem Gepäck verlangen Ausdauer. Frühzeitig trainieren!
- Höhentauglichkeit beachten: Ab 3000 m sinkt die Leistungsfähigkeit deutlich – wenn möglich, langsam akklimatisieren.
- Ausrüstung vollständig?
- Gurt, Pickel, Steigeisen, Helm
- Seil (je nach Route, Gletscherseilschaft)
- Sicherungsmaterial (Karabiner, Eisschrauben, Bandschlingen)
- Notfallausrüstung (Erste Hilfe, Biwaksack, Stirnlampe, Handy/GPS)
- Technik beherrschen: Spaltenbergung, Anseilmethoden, Selbstsicherung – am besten im Kurs erlernen
- Tourenplanung: Verhältnisse checken (Wetter, Schnee, Gletscherzustand), Route planen, hochwertige Karten verwenden
- Früh starten: Feste Schneedecke nutzen, Gewittergefahr meiden
- Lernen von Profis: Geführte Touren oder Trainings mit Bergführer bringen Sicherheit und Routine.
- Umdrehen können: Kein Gipfel ist es wert, Sicherheit zu riskieren
- Nach der Tour reflektieren: Was lief gut, was war kritisch – Erfahrung hilft für alle künftigen Touren
Neue Herausforderungen
Auch im Hochgebirge hinterlässt die Klimaveränderung Spuren. „Touren werden durch den Gletscherrückgang anspruchsvoller. Es wird steiler, brüchiger, gefährlicher“, sagt Mautz. Klassische Routen müssen teilweise neu gedacht werden, Spalten öffnen sich früher, Permafrost bröckelt, Steinschlag nimmt zu. Die Saison beginnt früher: Statt im Juli oft schon Anfang Juni, manchmal sogar Ende Mai. „Dann liegt noch mehr Schnee und die Spalten sind besser gefüllt“, erklärt Mautz. Hütten passen ihre Öffnungszeiten entsprechend an.
„Die Klimaveränderung und schnell wechselnde Bedingungen erschweren eine gute Tourenplanung“, sagt Huber. „Informationen aus verschiedenen Quellen stimmen oft nicht mehr. Aktuelle Infos von Kennern vor Ort helfen immer. Im Zweifelsfall gilt: einem Bergführer vertrauen oder das Ziel anpassen.“
Sonnenaufgang am Berg
Wer Hochtouren ins Auge fasst, sollte also einige Grundvoraussetzungen mitbringen (siehe auch unsere „Checkliste“). Vor allem wichtig: eine realistische Selbsteinschätzung und langsames Steigern der Ziele. Kursangebote sollte man unbedingt nutzen.
Wer diese Grundregeln beherzigt (und bei Bedarf einen Bergführer engagiert), ist schon einmal gut unterwegs. Dann kann man auch den Reiz dieser Touren und einzigartige Momente genießen. Eben so einen Moment schildert Michael Mautz abschließend: „Du startest im Dunkeln mit Stirnlampe, gehst bei Kälte die Schattenseite hinauf. Dann steigst du über einen Felsgrat, erlebst einen wunderschönen Sonnenaufgang. Am Gipfel schaust du auf deine gesamte Wegstrecke zurück – das ist schon eine sehr lässige Geschichte!“