Liftfahren im Wandel der Zeit. Von wackeligen Einsersesselliften bis zur Hightech-Gondel, die nichts mehr aus der Fassung bringt. Eine Reise durch die ­Seilbahngeschichte. Blick in die Zukunft inklusive.

Von Klaus Molidor


Wer weiß, was ohne dieses kleine rostige Ding geworden wäre, das Josef ­Nejez heute noch zu Hause aufbewahrt. Kitzbühel wäre vielleicht noch ein kleines Dorf in den Tiroler Alpen, die Gletscher unberührt und Wintertourismus gäbe es ziemlich sicher auch keinen. Vom Ski-Weltcup oder alpinen Weltmeisterschaften ganz zu schweigen. Dieses kleine rostige Ding ist ein Stück Seil. „Und zwar ein Stück vom Albert-Seil", erklärt Josef Nejez. Benannt nach seinem Erfinder, dem deutschen Oberbergrat Wilhelm August Julius Albrecht, der 1834 in der Bergbaustadt Clausthal im Oberharz das Drahtseil erfunden hat. „Und das", sagt Nejez, „ist tatsächlich die wichtigste Erfindung in der ganzen Geschichte der Seilbahnen."

Josef Nejez ist seit mehr als 40 Jahren renommierter Seilbahnexperte, hat in den 1980er-Jahren selbst einige Patente mit dem Weltmarktführer Doppelmayr angemeldet und weiß ergo, wovon er spricht. Immer noch ist er viel unterwegs, um neue Bahnen zu besichtigen, zu testen und darüber im Fachmagazin „Internationale Seilbahn-Rundschau" zu berichten. Vom Albert-Seil war es aber schon noch ein weiter Weg bis zu den heutigen Kabinenbahnen und 8er-Sesselliften mit Sitzheizung. Anfangs war die Standseilbahn das Transportmittel, um auf den Berg zu kommen: 1913 ging in St. Moritz die Chantarella-Bahn in Betrieb, die erste für den Wintersport gebaute Drahtseilbahn. Dank einiger Modernisierungen ist sie auch heute, 103 Jahren nach der Jungfernfahrt, immer noch in Betrieb.

AUF DEM ZITTERBALKEN
Erst ab den 1930er-Jahren setzten sich nach und nach die Seilschwebebahnen durch. Weil sie billiger zu bauen waren und eine größere Kapazität hatten als die Standseilbahnen. Österreichs erster Schlepplift wurde 1937 in Zürs gebaut – der erste Sessellift des Kontinents fuhr aber nicht etwa am Arlberg, sondern in Tschechien. 1940 führte ein Einsersessellift von Raztoka nach Pustevny. Anfangs noch mit nicht wirklich sicheren Holzstützen ...

Heute sind Einsersessellifte eine aussterbende Spezies, um die sich fast so etwas wie ein Seilbahn-Artenschutz bemüht. Der berüchtigte Lift hoch zur Polsterrinne am steirischen Präbichl wurde mit Hilfe von prominenten Unterstützern zwar vor dem Abriss bewahr – seit Ende der vergangenen Wintersaison steht die museumsreife Anlage aus dem Jahr 1946 aber für immer still. Dabei war die Fahrt mit solchen Bahnen selten ein Genuss. Besonders wenn der Lift abgestellt werden musste und auf freier Strecke hin und her und auf und ab schaukelte, war einem auf dem kleinen Holzbrett mit dem Metallbügel davor selten wohl zumute. Die ängstlichen Blicke auf Skikursen, wenn der Lehrer zu einem Einsersessellift abgebogen ist, sind legendär – heute sind sie Alpin-Folklore ...

Ab den 1980er-Jahren ging es rasant bergauf mit der Entwicklung der Aufstiegshilfen. Doppel-, Dreier- und Vierersessellifte steigerten die Kapazitäten der Lifte. Und die Geschwindigkeit. Anfangs waren die Sessel fix auf das Seil geklemmt, bei den kuppelbaren Umlaufbahnen fuhren die Sessel dann in den Stationen vom Seil. Der Vorteil: Auf der Strecke können die Fahrzeuge mit bis zu 5 Meter pro Sekunde unterwegs sein, in den Stationen werden sie zum Ein- und Ausstieg abgebremst. Die festgeklemmten Bahnen durften dagegen nur mit 1,2 Meter pro Sekunde unterwegs sein.

Überhaupt hat sich in den vergangenen zehn Jahren viel in puncto Sicherheit getan. „Durch eine einheitliche EU-Richtlinie gibt es jetzt überall die gleichen Standards", erklärt Nejez. „Früher herrschte da schon oft der Protektionismus. Was das eine Land erlaubte, hat das andere vielleicht verboten." Die europaweite Norm ist zwar nicht verpflichtend, sie hat die Sicherheit der Seilbahnen aber wesentlich verbessert. Und ständig verbessert hat sich auch die Seiltechnik: Sessel, die auf dem Trageseil zurückrutschten und schlimme Verletzungen verursachen konnten, gehören der Vergangenheit an. Auch Abstürze aus dem Sessel heraus sind mittlerweile eine absolute Seltenheit: „Die Sicherheitsbügel sind heutzutage oft so konzipiert, dass sie zwischen die Beine gehen, wodurch man nicht mehr unten durchrutschen kann. Und teilweise werden die Bügel schon nach dem Einstieg automatisch arretiert und erst in der Bergstation wieder gelöst."

MEHR KOMFORT
Nach oben gegangen ist aber nicht nur die Sicherheit, auch der Komfort hat sich stark verbessert. Früher war man schon froh, wenn die harte Holz- oder Plastiksitzschale schneefrei war und man unterwegs nicht auf einem feuchten Sitz angefroren ist. Heute sind die Sessel gepolstert, auch Sitzheizungen gehören schon zum guten Ton. Die heizen freilich nicht die ganze Fahrt über, sondern werden nur einmal aufgewärmt. „In den Stationen laufen die Fahrzeuge dabei 17 Sekunden lang über eine Stromschiene mit 500 Watt", erklärt Nejez, „dadurch ist der Sessel beim Einsteigen erwärmt." Wetterhauben schützen nicht nur vor unfreiwilligen Eis-Peelings im Gesicht – dank oranger oder gelber Farbe vermitteln sie auch an trüben Tagen auf der Bergfahrt Sonnenschein.

GRÖSSER, SCHNELLER, WEITERJOSEF NEJEZ, Seilbahnexperte, erklärt, warum den teuren 3S-Bahnen die Zukunft gehört. / Bild: SPORTaktiv
Auch bei den Gondelbahnen hat sich vieles verändert. Enge Stehkabinen für zwei, drei Personen sind längst Geschichte, moderne Umlaufbahnen bieten heute 10, 12 Personen einen bequemen Sitzplatz. Manche Pendelbahnen, bei denen nur je eine Kabine berg- und eine talwärts fährt, drehen sich während der Fahrt einmal um die eigene Achse, um auch allen Passagieren einen Panoramablick zu gönnen. Oder sie haben gleich eine Aussichtsterrasse an Bord – wie die „Cabrio-Bahn", die auf das Stanserhorn in der Schweiz fährt, oder die Dachstein-Seilbahn in der Steiermark, bei der jeweils 10 Frisch­luftfanatiker und Schwindelfreie oben auf dem „Balkon" der Gondel mitfahren können.

Wie überall herrscht auch beim Seilbahnbau die Rekordmentalität. „Größer, schneller, weiter ist das Motto", sagt Nejez. So liegen bei der ­„Peak-to-Peak-Gondola" im kanadischen Whistler Mountain mehr als 3 Kilometer zwischen den Stützen. Und in Vietnam ist eine Bahn mit einem Seilfeld von über 5 km geplant ...

Technologisch dürfte die Zukunft den sogenannten „3S-Bahnen" gehören, auch wenn sie die weitaus teuersten Lösungen sind. „3S" steht dabei für 3 Seile: Die Gondeln laufen auf zwei Trageseilen und werden von einem Zugseil befördert. „Durch die breite Seilspur sind die Gondeln sehr viel windbeständiger, die Kapazitäten sind deutllich höher", weiß Experte Nejez. Bis zu 5.000 Fahrgäste pro Stunde können solche Bahnen auf den Berg bringen. Windgeschützt, mit freier Rundumsicht auf das Bergpanorama – und was noch wichtiger ist: „Die Gondeln können integriert geräumt werden", sagt Josef Nejez. Übersetzt heißt das, dass die Gondeln bei jedem Störfall selbst bis in die nächste Station weiterfahren können. Den Passagieren bleibt dadurch das Abseilen aus der Gondel erspart. „Das will ja schließlich kein Bahnbetreiber, denn mit einer Seilbergung stehst du am nächsten Tag ganz sicher in der Zeitung", sagt Nejez.

SCHLEPPLIFT ADE
Schließlich bestätigt Seilbahnexperte Josef Nejez noch ein Gefühl, das sich nach mehreren Jahrzehnten eines Skifahrerlebens zuletzt immer stärker aufgebaut hat: Der Schlepplift ist ganz klar auf dem Rückzug. „Dort, wo früher Schlepplifte gefahren sind, werden heute Sesselbahnen gebaut. Und wo Sesselbahnen fahren, entstehen jetzt Kabinenbahnen." Das Ende des zwei­spurigen Nebeneinanderstehens mit einem Hartplastikbügel unter dem Allerwertesten wird also wohl bald gekommen sein.

Von alldem hat Oberbergrat Albert nichts geahnt. Er wollte die Förderketten in den Bergwerken verbessern und experimentierte deshalb mit geflochtenem Draht. Vom Wintersport, zumal in diesem Ausmaß, war anno 1834 noch keine Rede. Heute sind Sessellifte und Seilbahnen im alpinen Raum eine Selbstverständlichkeit, über deren Entwicklungsgeschichte kaum wer nachdenkt. Nur Josef Nejez wird täglich daran erinnert, was einst den Ausschlag dafür gab. Von einem kleinen, unscheinbaren und rostigen Stück Draht, das er bei sich zu ­Hause hat ...

Josef Nejez / Bild: Internationale Seilbahn-Rundschau

Der Seilbahn-Profi
JOSEF NEJEZ ist seit mehr als 40 Jahren ein Fachmann im
Seilbahn-Business, hat selbst einige Patente angemeldet und
schreibt im Fachmagazin „Internationale Seilbahn-­Rundschau".

Kontakt: office.gl@bohmann.at



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