Am Wintersport haben alle ihren Spaß – und das gilt auch für Menschen mit Behinderung. Aber auch, wenn die Möglichkeiten für sie in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind – in Sachen Barrierefreiheit bleibt auch beim Wintersport noch einiges zu tun.

Von Sonja Burger


Großglockner, Zugspitze und Dolomiten bilden von der Aussichtsplattform auf 3.250 Metern am Hintertuxer Gletscher ein beeindruckendes Panorama. Das Besondere: Rollstuhlfahrer können den Ausblick ebenfalls genießen. Angebote wie diese sind noch rar, obwohl sich in Sachen Wintersport für Menschen mit Behinderungen sehr viel zum Positiven hin veränderte. Dreht man die Uhr rund 30 Jahre zurück, sah vieles noch anders aus. Die Sportwissenschafterin und Behindertenskilehrerin mit angeborener Hörbeeinträchtigung, Bettina Mössenböck, erinnert sich: „In den 1980er-Jahren wurden Rollstuhlsportler als Exoten im Monoski wahrgenommen. Die Weiterentwicklung von Skigeräten und Hilfsmitteln sowie die Sensibilisierung im Ausbildungsbereich haben dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen mit Behinderung heute Wintersport ausüben können.“ In zahlreichen und vor allem Tiroler Skigebieten gehören sie einfach dazu. Die Gründe, warum gerade Tirol beim barrierefreien Wintersport hervorsticht, sind für den ÖSV-D-Trainer für Behindertenskilauf, Robert Troppacher, einfach zu erklären: „Es spricht sich in unseren Kreisen eben schnell herum, wo die Infrastruktur barrierefrei ist und dass es das entsprechende Kursangebot für Behindertensport gibt.“
Seit einem Motorradunfall sitzt Troppacher im Rollstuhl und hat die Veränderungen der letzten 30 Jahre hautnah miterlebt. Anfangs endete der Wintersport für ihn oft bereits an der Talstation. „Viele Liftbetreiber befürchteten, dass es für mich zu gefährlich ist. Heute gibt es hingegen kaum Skigebiete, wo man noch nie einen Rollstuhlfahrer hatte.“

Vom Rollstuhl auf den Monoski: Immer mehr Skiberge werden „barrierefrei“. / Bild: Tirol WerbungGROSSE HILFSBEREITSCHAFT
In seiner Rolle als Qualitätsprüfer nimmt Troppacher auch Skigebiete genau unter die Lupe: „Behindertenparkplatz, Zugänglichkeit von
Kassa und Lift, Unterstützung durch das Liftpersonal im Tal und am Berg, Toiletten für Rollstuhlfahrer oder die Barrierefreiheit von Bergrestaurants – all das fällt dabei ins Gewicht.“ Positiv ist, dass die Hilfsbereitschaft groß ist, speziell das Liftpersonal verhält sich hier zuvorkommend. Das ist für Rollstuhlfahrer, die am Skiberg meist auf spezielle Monoski umsteigen, ganz wichtig, denn ohne Hilfe geht es nicht: Speziell das Fahren mit Schlepp- und Sessellift ist Übungssache und eine Frage des Gleichgewichts. Ob man die Skipiste mit Mono-, Bi- oder Krückenski bewältigt, oder ob einem der Skilehrer beim Blindenskilauf den Weg ansagt, spielt keine Rolle. Hauptsache, man kann sich bewegen, hat Spaß und kann (wieder) mit Freunden oder der Familie dem Wintersport nachgehen.

KEIN AUSGRENZEN MEHR
Selbst, wenn jemand die Anweisungen in gesungener Form vermittelt bekommen muss, ist das für den Verein „Freizeit Para-Special-Outdoorsports“ in Schladming-Rohrmoos kein Hindernis. „Bei uns kommt auf jeden Schüler ein Skilehrer. Da jeder Mensch anders ist, können wir so auf Feinheiten, auch in Sachen Vermittlung, eingehen“, sagt die Behindertenskilehrerin Stefanie Gampersberger von Freizeit-PSO. So ist auch für Sportbegeisterte mit mentaler Behinderung heute ebenfalls vieles möglich – etwa durch Hilfsmittel wie Ski-Links, die auf den Skispitzen montiert werden und Lehrer und Schüler mittels Leinen verbinden. „Die richtige Vermittlung spielt eine große Rolle. Werden etwa statt V-Pflug eher kindgerechte Ausdrücke verwendet oder wird mit Farben und optischen Orientierungshilfen gearbeitet, ist die Technik, zumindest grobmotorisch, für jeden erlernbar“, erklärt die diplomierte Sportlehrerin und Gründerin des „Sportclub Aktivity – Sportverein für mentalbehinderte Menschen“, Renate Pristach. Neuerdings steht sogar für Menschen mit Cerebralparese der Weg zum Snowboardsport offen. Der Österreichische Behindertensportverband will hier mit gutem Vorbild voran gehen: „Mit jahrelanger Erfahrung, der eigenen Begeisterung für den Sport und den richtigen Methoden und Hilfsmitteln macht es der Fachausschuss für Sport mit Cerebralparetikern möglich, dass sie das Snowboarden erlernen können“, sagt Bettina Mössenböck.

Vor allem in Tirol werden viele Loipen für den Schlittenlanglauf genützt. / Bild: Tirol WerbungLANGLAUFEN IM SCHLITTEN
Wem das Skifahren und Snowboarden zu riskant ist, der kann mancherorts auch auf eine ruhigere Fortbewegungsart umsteigen – etwa den Schlittenlanglauf. Speziell für Handbikefahrer ist diese Ausdauersportart das ideale Training zur kalten Jahreszeit. Weniger Risiko, keine überfüllten Pisten sowie die niedrigeren Kosten sprechen dafür.
Harald Hörmann ist als Qualitätsprüfer für die Tirol Werbung tätig und selbst begeisterter Handbike-Fahrer. Den Schlittenlanglauf hat er bereits für sich entdeckt und bewirbt diese Sportart seit Kurzem auch in der Erstrehabilitation: „Es werden immer mehr, die das Monoskifahren gegen den Schlittenlanglauf tauschen.“
Wie beim Behindertenskilauf ist auch hier Barrierefreiheit die Voraussetzung. In den Regionen Seefeld, Achensee und dem Tiroler Oberland wurde der Schlittenlanglauf in den letzten fünf Jahren gefördert und konnte sich dort etablieren. „Wir haben etwa Kriterien für die Eignung von Loipen für den Schlittenlanglauf entwickelt, die heute in ganz Tirol gelten“, erklärt Corinna Gleirscher von der Tirol Werbung. Welche Loipe eignet sich? Wo gibt es Langlaufkurse und wo kann man die Sportgeräte leihen? Gibt es barrierefreie Unterkünfte in der Nähe? Alles Fragen, die berücksichtigt werden müssen.

Video: Monoski in Action ...



BARRIEREFREI AM BERG

Wo es in Sachen Wintersport derzeit generell oft noch hakt, sind Kleinigkeiten mit großer Wirkung: Etwa zu wenige barrierefreie Toiletten im Tal und am Berg. Ein paar positive Beispiele gibt es zwar, wo bei der Renovierung von Restaurants und Hütten auf Barrierefreiheit geachtet wurde. „Häufig mache ich aber die gegenteilige Erfahrung“, kritisiert Mössenböck. Für Robert Troppacher sind diese Hindernisse unverständlich, „da Umbauten wie eine Rollstuhltoilette, Betonrampe oder ein Leihrollstuhl weder die Welt kosten noch aufwendig sind. Menschen mit Behinderung erleichtern sie jedoch den Zugang zu Sport und Spaß in der winterlichen Bergwelt enorm.“
Noch an alle nichtbehinderten Wintersportler: Den Behindertenparkplatz bei der Seilbahn zu verstellen ist kein Kavaliersdelikt, sondern bedeutet, dass für einen Rollstuhlfahrer der Skitag womöglich doch wieder bereits im Tal endet ...


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