Wer von Frühsport nichts hält, sollte umdenken. Oder auf seine innere Uhr hören. Die kennt nämlich kaum eine ­bessere Zeit, um wach, vital und fit für den Tag zu werden. Und außerdem: Wann, als jetzt im frühen Sommer, wäre ein besserer Zeitpunkt, um vom Morgenmuffel zum Morgensportler zu werden?

Linda Freutel


Nur noch fünf Minuten! Mit einem Druck auf die Snooze-Taste ergaunern sich viele von uns jeden Morgen noch ein paar Momente in den Federn. Aber dann muss es meist schnell gehen. Raus aus dem Bett, rein in den Alltag. Der Coffee to go wird zum Treibmittel für alle, die allmorgendlich von null auf hundert starten. Klingt irgendwie nach Qual. Und das ist es auch. Noch grausamer wird es nur noch, wenn man einem genüsslichen Matratzenhorcher mit dem Vorschlag kommt, nach dem Weckerklingeln in die Sportschuhe zu schlüpfen.

STEHT AUF UND BEWEGT EUCH!
Doch es stimmt: „Wenn die kühle Morgenluft nach Elan und Tatendrang riecht, kann und soll man sich davon ruhig anstecken lassen", ermutigt der Chronobiologe und Schlaf­experte Prof. Dr. Jürgen Zulley und ergänzt: „Frühsport ist ein biologischer Weckdienst der Extraklasse." Und das angeblich sogar ganz ohne Quälerei. Wer nämlich regelmäßig die Snooze-Taste gegen die Sportschuhe tauscht, wird künftig nicht nur frischer und fröhlicher aus den Federn springen, sondern auch mental fitter werden. Und sogar in Sachen Badehosen- bzw. Bikinifigur Bonuspunkte sammeln. Versprochen!

Noch nicht überzeugt? Dann hat die Wissenschaft schon noch ein paar Argumente. Die sogenannte Chronobiologie beschäftigt sich immerhin schon seit Jahrhunderten mit der zeitlichen Taktung des Körpers. Und was dabei herauskam, spricht nicht nur für eine kleine Sport­einheit am Morgen, sondern ist vor allem faszinierend, wie Prof. Zulley erklärt: „Jeder Mensch unterliegt biologischen Taktgebern. Also einer Art innerer Uhr, deren Einfluss auf die körperliche Veränderungen so gravierend ist, dass der Organismus zu unterschiedlichen Tageszeiten aus biochemischer Sicht eine völlig andere Zusammensetzung hat. Man könnte fast sagen, dass wir zu verschiedenen Tageszeiten komplett verschiedene Menschen sind."

Wer schon einmal morgens mit müder Miene und dunklen Augenringen in den Spiegel geschaut hat, wird Zulleys These unterstreichen können. Nur selten zeigen wir uns hier von unserer Schokoladenseite. Woran das liegt? „An einer Missachtung der inneren Uhr", sagt der Experte. Wer nämlich nicht auf seinen „inneren Big Ben" hört, handelt kontraproduktiv. Müdigkeit, Anfälligkeit für Infekte, Konzentrationsschwäche und Schlafstörungen können die Folge sein, wenn man sich der biologischen Zeit­einteilung widersetzt. Und so ist auch morgendliche „Muffeligkeit" oft einfach ein Zeichen chronobiologischer Rhythmuslosigkeit.

KEINE EULEN UND LÄRCHEN
Mutter Natur gibt also einen Takt vor – und dem sollten wir folgen. Doch kennt überhaupt jemand den genauen Ablauf? Und wie funktioniert er, dieser berühmte Biorhythmus? Prof. Zulley: „Was gemeinhin als Biorhythmus bezeichnet wird, nennen Experten den circadianen Rhythmus; das ist ein täglich wiederkehrender Takt, in dem Phasen der Aktivität und Ruhe bei fast allen Menschen konform und kalkulierbar verteilt sind."

Entgegen der Theorie von Eulen und Lärchen ticken die biorhythmischen Vorgaben bei den meisten Menschen übrigens im Gleichtakt. „Der Großteil der Menschen sind weder Spät- noch Früh-, sondern sogenannte Normaltypen, bei denen am Tag im Wesentlichen zwei Leistungsspitzen und diverse Ruhephasen vorgesehen sind", sagt der Experte. Das erste körperliche Aktivitätshoch ist etwa gegen zehn Uhr; wobei solche Zeitangaben nicht absolut zu verstehen sind, sondern von Mensch zu Mensch um bis zu zwei Stunden variieren können. Im Alter verschieben sie sich zudem ein wenig nach vorn. Zu einer zweiten Leistungsspitze kommt es erst wieder am späten Nachmittag, etwa zwischen 16 und 17 Uhr. 

FIT UND MÜDE IM WECHSELSPIEL
Während dieser Hochphasen sind Hormone wie Adrenalin und Testosteron besonders hoch dosiert. Der Stoffwechsel läuft auf Hochtouren, der Organismus scharrt förmlich mit den Hufen. Das Herz pumpt, der Muskeltonus steht unter Spannung, der Geist arbeitet schnell. Doch irgendwann wird ein Power-Zenit erreicht, Bio-Big-Ben tickt wieder langsamer, das Herz-Kreislauf-System wird ruhiger, die Konzentration lässt nach, man fühlt sich müder und ist muskulär betrachtet tatsächlich schwächer. Das typische Mittagstief oder die Erschöpfung zum Feierabend kennt wohl jeder. Und: „Sport ist jetzt nicht nur anstrengender, sondern auch weniger effektiv. Anstatt Kraft bereitzustellen, beschäftigt sich der Körper jetzt mit wichtigen Regenerationsprozessen", weiß der Experte.
  

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SPORT ALS MUNTERMACHER
Doch, wenn Mutter Natur den morgendlichen Stundenplan mit Aktionismus gefüllt hat, wie kann es dann sein, dass die Mehrheit der Menschen so schlecht aus den Federn kommt? „Ganz einfach", antwortet Zulley, „weil viele nicht im Gleichtakt mit ihrer inneren Uhr leben." Vor allem eine schlechte oder zu kurze Schlafqualität macht Menschen zu Morgenmuffeln. Wer dann auch noch liegen bleibt und zum Munterwerden Kaffee statt körpereigener Energie tankt, muss sich über morgendliche schlechte Laune nicht wundern.

Was jetzt hilft? Erraten. „Bewegung, um in Schwung zu kommen", antwortet der Experte. Genau darum geht es nämlich beim Frühsport: Ziel sind keine schweißtreibenden Killer-Kommandos, sondern eine biologische Unterstützung des Wachwerdens. Der Experte ergänzt: „Es ist sogar sehr wichtig, dass man das morgendliche Leistungshoch nicht sportlich überreizt. Diesem Zeitraum folgt nämlich auch der Höhepunkt der mentalen Fitness." Nie ist das Gehirn so wach wie jetzt.

BEWEGEN, NICHT POWERN
„Move your body and your mind will follow" sagt Zulley und rät, eine sportliche Schweißeinheit mit dem Ziel von LeistungssteigerungMuskelzuwachs etc. lieber auf den Nachmittag zu verlegen. Frühsport ersetzt also nicht das eigentliche Ausdauer- oder Muskeltraining. Am Morgen geht es vielmehr darum, den Körper sanft zu seinem Leistungshoch zu führen. Bewegung bringt den Blutfluss auf Touren, ebenso wie die Sauerstoffversorgung und sämtliche anderen Stoffwechselaktivitäten. Frühsport ist der biologische Weckdienst für Muskeln, Organaktivitäten, Hormone, Gehirn und letztlich auch das Gemüt. Ein leichter Mix aus KraftAusdauer und Stretching, der für rund 30 bis 40 Minuten im mittleren Pulsbereich locker absolviert wird, macht den frühen Vogel bereits zu einem fitten Freigeist, der den Tag nicht vitaler starten könnte.

Und das sogar nachhaltig: Die biologische Uhr hat nämlich eine Art Gedächtnis. Wer den Tag regelmäßig aktiv beginnt, wird schon bald die Snooze-Taste vergessen können und wesentlich vitaler aus den Federn kommen. Noch ein Benefit: Morgens sind die Kohlenhydratspeicher noch leer, Energie, die der Körper zum Sport braucht, muss er sich also direkt aus den angelegten Reserven an Bauch, Hüfte, Po holen. Nie ist Bewegung eine so effektive Fett-Schmelze wie jetzt!

BITTE IM FREIEN!
Falls jetzt jemand Lust bekommen hat und am liebsten gleich morgen mit seinem Früh-Aktiv-Programm starten will – für den hat der Experte abschließend noch einen wertvollen Tipp parat: „Frühsport sollte man unbedingt im Freien durchführen." Helligkeit ist nämlich ein wesentlicher Wachmacher für den Körper. Selbst bei bedecktem Himmel ist die Lux-Zahl im Freien um ein Tausendfaches höher als in jedem Sportstudio – und damit ein ultimativer Wake-up-Call für müde Morgenmuffel. Also gilt: Aufstehen – und nichts wie raus!

 

Die idealen Sportarten für den frühen Morgen

Yoga:

Bei sanften Kraft- und leichten Dehnungsübungen kommen Körper und Geist gleichermaßen ins Gleichgewicht.

Schwimmen:

Besonders für Sportler mit Gelenkproblemen bietet sich morgendliches Schwimmen an, um sanft in den Tag zu kommen.

Laufen:

Leichtes Traben durch den Morgentau spricht den Körper ganzheitlich an und ist vor allem eine gute Ausdauer-Ergänzung für Kraftsport am Nachmittag.

Radfahren:

Unkomplizierter, dafür aber umso effizienter kann man den Tag kaum starten.

Prof. Dr. Jürgen Zulley
Prof. Dr. Jürgen Zulley

ist Professor für Biologische Psychologie. Seit mehr als 30 Jahren betätigt er sich auf dem Gebiet der Schlafforschung, der Chronobiologie und der Klinischen Psychologie, und ist Autor diverser Fachbücher.

Kontakt: www.zulley.de