Die Berge, die Seen und die anderen Naturressourcen: Österreich bietet für Aktivurlauber einzigartige Voraussetzungen. Doch reicht das in so außergewöhnlichen Zeiten? Wir haben zunächst den Tourismus- und Freizeitforscher Peter Zellmann um seine Einschätzung für den Urlaubssommer und -herbst gebeten. 

Christof Domenig
Christof Domenig

Wir leben in schnelllebigen Zeiten. Ganz generell und speziell seit Mitte März. Anfang Mai hat noch alles danach ausgeschaut, dass in diesem Sommer nur Inlandsurlaube möglich sein werden. Entsprechend wurde der Inlandsgast in Kampagnen umgarnt wie lange nicht. Welche Rolle spielte der österreichische Gast im österreichischen Sommertourismus zuletzt eigentlich? Zur groben Orientierung: Im Sommer 2019 kamen 25,6 Millionen Urlaubsgäste nach Österreich, die für rund 80 Millionen Nächtigungen sorgten. 33 Prozent der Ankünfte (8,4 Millionen) sowie 30 Prozent der Übernachtungen (23 Millionen) entfielen dabei auf Inlandsurlauber. Also ein rundes Drittel mit wiederum starken regionalen und lokalen Unterschieden: Während etwa die Steiermark, Kärnten oder Oberösterreich traditionell einen starken Anteil an österreichischen Urlaubern aufwies, war dieser etwa in Tirol sehr viel geringer. Doch alle Überlegungen rund um dieses Thema haben sich wieder deutlich relativiert. Ende Mai – bei unserem Redaktionsschluss – standen alle Zeichen auf Grenzöffnungen mit den Nachbarländern ab Mitte Juni.

Und das ist aus Sicht der Tourismuswirtschaft absolut zu begrüßen, sagt der Tourismus- und Freizeitforscher Peter Zellmann. Denn selbst wenn alle österreichischen Urlauber, die sonst ins In- oder Ausland verreisten, den Sommer 2020 diesmal im eigenen Land verbracht hätten, hätte das ein Ausbleiben internationaler und vor allem deutscher  Urlaubsgäste keineswegs  ausgleichen können. Doch Rechenspiele sind das Eine. Emotionen das Andere – und genau um diese geht es hier im Kern, sagt Peter Zellmann: Urlaub ist Emotion. Rationale Entscheidungskriterien treten in den Hintergrund. „In einem Urlaub gelten deutlich andere Prinzipien als im Alltag, es ist alles emotional sehr verdichtet. Einschränkungen, die man im Alltag und zu Hause in der Freizeit in Kauf nimmt, werden in einem Urlaub nur ungern akzeptiert. Sind die Einschränkungen zu groß, kann es leicht sein, dass viele sich sagen: heuer einmal nicht. Immerhin ist schon bisher die größte Destination der Österreicher Balkonien“, gibt Zellmann zu bedenken.

Die Kernfrage, die sich für Zellman für die Sommersaison 2020 im östereichischen Tourismus stellt, ist also: Inwiefern gelingt es, Restriktionen weiter zu lockern, um ein möglichst gewohntes und freies Urlaubsgefühl aufkommen zu lassen? „Von der Verordnungskultur wegkommen und in die Eigenverantwortung übergehen“, richtet der Tourismus-Grundlagenforscher als Appell an die Politik. Die Natur, die Berge, die Seen: Was die natürlichen Ressourcen im heimischen Sommertourismus betrifft, gibt es nämlich durchaus auch Lichtblicke. Der sanfte Outdoorsport wie Wandern, die österreichischen Berge und die Seen stehen für Erlebnisse, die eigentlich jetzt vergleichsweise gefragt sein müssten: Die Berge, an denen sich die Menschen „verlaufen“ und ein Abstandhalten leicht möglich ist, dazu die Seen als „Ersatz“ für den Strandurlaub.

Das sieht auch Peter Zellmann grundsätzlich so. Das aktive Nutzen der Naturräume habe sich in den letzten 10, 15 Jahren als sommerliches Urlaubsmotiv stark entwickelt – „den Sportplatz Natur auszunutzen, ist gewissermaßen unser Alleinstellungsmerkmal“. Zellmann meint auch: „Wanderer oder Kletterer wollen ja mehr oder weniger mit sich allein sein. Das ist also, wenn man denn so will, durchaus ‚coronagerecht‘“. Klar ist auch, dass Outdoor- und Aktivdestinationen 2020 mit klar besseren Voraussetzungen um Urlauber kämpfen, als die Städte oder andere Destinationen, wo ein Event- und Kulturangebot im Mittelpunkt steht. Laut einer am 20. Mai veröffentlichten Gallup-Erhebung hatten zu diesem Zeitpunkt erst 36 Prozent der Österreicher fixe Urlaubspläne für diesen Sommer.

Weg von der Verordnungskultur - in die Eigenverantwortung übergehen. 

Peter Zellmann

Ebenfalls festgehalten: Für 57 Prozent stand ein Österreich-Urlaub ganz oben auf der Wunschliste. Daraus lässt sich schließen, dass heuer noch viele Gäste zu gewinnen sind. Doch das ist nicht nur der speziellen Situation im heurigen Jahr geschuldet, weiß Zellmann – sondern ein Bild, das sich nicht deutlich von den Jahren davor unterscheide. Grob pauschaliert, würden solche Erhebungen in jedem Frühling etwa ein Drittel fix entschlossener Gäste zeigen, sowie ein weiteres noch unentschlossenes Drittel, das sich aber einen Sommerurlaub gut vorstellen kann. Von diesem Drittel würde dann erfahrungsgemäß etwas mehr als die Hälfte sich tatsächlich auch für eine Urlaubsreise entscheiden. „Heuer könnten es wohl etwas weniger als die Hälfte sein.“

Trotzdem zeigt sich, dass kurzfristig noch viele Unentschlossene für einen Urlaub im eigenen Land zu motivieren sind.  Und: Laut Peter Zellmann darf man auch auf den Herbst hoffen (die völligen Unwägbarkeiten einer möglichen zweiten Krankheitswelle einmal außer Acht gelassen). Der Tourismusforscher rät schon seit Langem dazu, die vorhandenen Potenziale der Übergangssaisonen Frühling und Herbst besser auszuschöpfen – die Coronakrise könnte in dieser Hinsicht gewissermaßen eine Entwicklung anstoßen und beschleunigen. Gut möglich, dass viele Gäste noch etwas zuwarten und wenn die Lage sich weiter positiv entwickelt, einen Urlaub im „goldenen Herbst“ nachholen.

Am Weg zurück zur Urlaubsfreude

Den Sportplatz Natur ausnutzen, ist unser Alleinstellungsmerkmal. 

Peter Zellmann

Man dürfe sich davon keine zwar keine „Wunderdinge“ erhoffen, doch könne sich durchaus noch einiges etwas später als gewohnt in den Bilanzen ausgleichen. Bleibt noch der Blick in die etwas weitere Zukunft. Mit der Frage, ob sich durch die Krise auch längerfristig etwas im Urlaubsverhalten der Menschen ändern kann. Fernreisen und Massenansammlungen sind ja zuletzt schon in der Diskussion um den Klimawandel, um CO2-Fußabdrücke usw. in die Kritik gekommen. „Stimmt schon“, sagt Zellmann, verweist aber auch auf das „Kreuzfahrten-Paradox“: Diese sehr stark kritisierte Reiseform, die freilich insgesamt nur einen kleinen Anteil am „Reisekuchen“ ausmacht, befand sich trotz aller Kritik unbeirrbar auf Wachstumskurs. Erklärbar damit, dass die Menschen, die Kreuzfahrten stark kritisieren, und jene, die sie unternehmen, völlig unterschiedliche Gruppen sind. „Corona verstärkt sicher einige aktuelle Tendenzen in Richtung eines nachhaltigen Tourismus und Entschleunigung“, meint Zellmann – doch eine völlig Veränderung von Lebensgewohnheiten, wie schon zu Beginn der Krise von manchen prophezeit wurde, erwartet Zellmann, der neben Tourismus auch Lebenstil- und Zukunftsforschung betreibt, nicht. Veränderungen im Urlaubsverhalten würden insgesamt langsam, von Generation zu Generation vonstatten gehen.

Zellmann verweist auch auf die Neujahrsvorsätze, die zwar ernsthaft gefasst aber dennoch selten umgesetzt wurden. „Die Tendenz zu Nachhaltigkeit wird sich langsam durchsetzen – aber der Mensch ist auch ein Gewohnheitstier mit allen Vor- und Nachteilen.“ Gibt es einen Impfstoff gegen das Virus, dann werden wir im Großen und Ganzen so reisen wie zuvor, erwartet Zellmann. Für die Tourismuswirtschaft sei freilich die kurzfristige Perspektive die Entscheidende. Noch einmal: Urlaub ist Emotion, Lebensfreude, Freiheitsgefühl – und die gelte es so rasch wie möglich wieder aufzubauen. Das gehe nur durch ein Entlassen der Menschen in die Eigenverantwortung.

Am Weg zurück zur Urlaubsfreude
Prof. Mag. Peter Zellmann

leitet das Institut für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT) in Wien. Als Lebensstil- und Zukunftsforscher berät Zellmann  zahlreiche Unternehmen.
WEB: www.zukunftsthemen.at