Alexander Huber von den „Huberbuam“ spricht im Interview über die Angst als Überlebens­versicherung und warum uns die Gefahren des täglichen Lebens fehlen. Und er erzählt von seiner eigenen Angst-Erkrankung und was er daraus gelernt hat.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Alexander, wann hast du in den Bergen das letzte Mal Angst gehabt?
Bergsteigen ist etwas, das durchaus gefährlich ist. Man kann es ganz gemütlich machen, einen Wanderberg ersteigen. Aber ich bin ein engagierter Bergsteiger und immer, wenn ich engagiert unterwegs bin, bin ich im Absturzgelände unterwegs. Und in so einem Gelände hat man berechtigterweise Angst im Falle eines Sturzes sein Leben zu verlieren. Die Frage ist: Wie reagiert man auf diese Angst?

Und wie reagierst du?
Typischerweise – und so sollte es sein – löst die Angst in mir nichts anderes als Konzentration aus, sodass ich in dem Moment voll auf die Aufgabe fixiert und fokussiert bin und sie sauber durchschreite. Dann hat man alles unter Kontrolle! Ist man dagegen der Aufgabe nicht gewachsen oder stimmen die äußeren Umstände nicht, dann wird man allerdings nervös. Und auch dann ist die Angst mein bester Freund, weil sie mir was mitteilen will. Dass ich überfordert bin, dass das Risiko unkontrollierbar ist. Die logische Konsequenz lautet umkehren. 

Wann bist du denn draufgekommen, dass die Angst etwas Wichtiges ist. Hat es da ein auslösendes Moment gegeben?
Sehr früh. Ich hab in der Schule Handball gespielt und mein wichtigster Mitspieler ist bei einem Skitourenausflug in eine Lawine gekommen, verschüttet und erst vier Tage später geborgen worden. Das war in einem Alter von 10 Jahren und das prägt. Jetzt ist die Lawine eine sehr tückische Gefahr, weil die Gefahr nur sehr schwer wahrnehmbar ist. Da sieht man: Es wird dann richtig brisant, wenn einem die Kompetenz fehlt, die Gefahr richtig einzuschätzen. Auf dem wunderschönen Tiefschneehang steht ja nicht drauf: „Ich bin sehr gefährlich“, sondern es ist einfach nur sehr verlockend. Und dann geht vielleicht schon eine Spur rein und dann fährt man halt hinterher. Wirklich gefährlich wird es immer dann, wenn die Leute die Gefahr überhaupt nicht erkennen. Das Erkennen der Gefahr sichert uns das Überleben. An der Straße werde ich vor dem Überqueren nicht nervös, sondern für einen kurzen Moment konzentriert, dann analysiere ich und wenn die Straße frei ist, geh ich drüber. Ich werde nicht nervös, weil ich der Aufgabe gewachsen bin.

Du schreibst in deinem neuen Buch auch, wie wichtig es ist, die Angst zuzugeben. Wie viel Mut gehört denn dazu, in der harten Welt der Bergsteiger seine Angst zuzugeben?
Das ist tatsächlich gar nicht so einfach, weil man beizeiten schon ein Problem hat, zuzugeben, dass man Angst hat. Es braucht Mut Angst zuzugeben, da muss man echt mutig sein. Das Angst zugeben passiert am besten in einer Seilschaft, in der man sehr sehr miteinander vertraut ist. 

Wie bei dir mit deinem Bruder Thomas.
Genau. Da wird einfach alles angesprochen. Und da kann es vielleicht auch sein, dass sich die Sorge als unbegründet herausstellt im Gespräch. Im Grunde ist es aber so, wenn einer ein schlechtes Gefühl hat, gibt’s nur eines: umkehren.

Du sagst auch, dass Bergführer alle Gefahren vermeiden sollen und damit oft „Abenteuer-Vermeider“ werden.
Es ist ein Phänomen unserer Gesellschaft, dass man versucht, alles an Gefahren einfach auszublenden. Wir sind ja auch schon ein ganz großes Stück weit weg vom natürlichen Leben. Da machen sich beizeiten die Ängste wieder selbstständig. Weil ihnen quasi schon eine reale Grundlage fehlt, sich zu entwickeln. Früher vor 500 Jahren, wenn du auf einem Bergbauernhof gewohnt hast, da warst du gefordert. Du hast wirklich Sorge dafür tragen müssen, dass du übern Sommer genügend Nahrungsmittel generierst, damit du übern Winter kommst. Für psychische Erkrankungen war auf einem Bergbauernhof gar kein Platz. Da gab es weniger Anlässe dafür, eine Depression oder Perspektivlosigkeit zu entwickeln als heute. Heute wirst du arbeitslos und fühlst dich schnell gescheitert in unserer Gesellschaft. Du kannst zwar weiterleben, weil die Gesellschaft über die Grundsicherung die Sorge trägt, aber wer ist schon gerne arbeitslos? Wer ist gerne perspektivenlos? Und das ist genau das, was unsere Gesellschaft für unseren Geist so herausfordernd macht und warum es auch heute so viele psychische Erkrankungen gibt. Von 100 Jahren hat jeder auf einem Berg­bauernhof seinen Platz gehabt. Die Arbeitskraft eines jeden war notwendig, egal wie fähig er war. Man hat seine Aufgabe zugewiesen bekommen und die war auch da. Das fehlt uns heute und das macht auch Platz für viele psychische Erkrankungen. Weil es unsere Gesellschaft für den Geist sehr herausfordernd macht.

Als Bergführer: Lässt du Leute im dosierten Maß Risikokompetenz erlernen, mit dir als Sicherheitsnetz?
Man kann als Bergführer so unterwegs sein, dass die Leute nur den Service bekommen und sicher in den Bergen unterwegs sind. Der Großteil wird so unterwegs sein, dass der Gast auch selbst profitiert. Ein guter Gast, der mit einem guten Bergführer unterwegs ist, der wird auch selbst etwas im Bergsteigen dazulernen.  Natürlich wird das Ganze reflektiert und es gehört zum gelebten Miteinander, dass man mitteilt, warum man jetzt welche Entscheidung trifft. Und wenn die anderen offene Augen haben, offene Ohren, dann hören sie zu, nehmen wahr und lernen selbst dabei. 

Du schreibst auch von deiner persönlichen Angsterkrankung … Wollen wir darüber auch reden?
Absolut, die Erkrankung war einer der Hauptgründe für dieses Buch. Ich habe es bei mir selber beobachtet, was passiert, wenn man lange genug versucht, Problemen im Leben aus dem Weg zu gehen. Ich hab über längere Zeit gewisse Probleme in meinem Leben ignoriert, bin immer den Sachen davongelaufen und hab halt immer wieder versucht ein altes Prinzip zu verwenden. Nächster Berg. Erfolg beim Bergsteigen, Klettern und dann ist einmal wieder alles gut. Das funktioniert. Da lassen sich die Probleme des Lebens in der Euphorie des Erfolgs ausblenden. Aber: Wenn die grundlegende Problematik nicht beseitigt ist, dann kommen die Probleme wieder. Und irgendwann ist es dann so, dass dir kein Erfolg mehr hilft, über Probleme drüberzukommen. 

"Bei mir war es kurz vor knapp": Kletterer Alexander Huber über Angst als Überlebensgarant

 Wenn einer ein schlechtes Gefühl hat, gibt’s nur eines: Umkehren. 

Alexander Huber

Und so war es dann bei dir.
Da waren finanzielle Probleme über längere Zeit, Kritik von anderen, die man sich viel zu stark zu Herzen nimmt. Und irgendwann war die Gemengelage langandauernd und schwer genug, dass ich meine seelische Mitte nicht mehr hatte. Da war ich am Berg und hatte wieder einmal das Gefühl, so einen Erfolg erzwingen zu müssen. Trotz schlechter Bedingungen am Berg und auch sonst war alles so, dass man nicht zum Erfolg kommen kann. Ich spürte nicht mehr die Freiheit, in die Berge zu gehen. Die Berge wurden für mich zu einem Zwang. Ich hatte gar keine grundlegende Motivation, keinen inneren Antrieb mehr, da raufzusteigen. Ich hatte die Freude am Bergsteigen verloren und das war für mich tatsächlich dramatisch, denn bis dahin waren doch die Berge einer der tragenden Grundpfeiler in meinem Leben. 

Aus dem Hobby ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit geworden.
Es ist passiert, dass sich das in einem schleichenden Prozess in meinem Denken eingepflanzt hat. Und dann war da diese massive Angst, dass ich die Freude am Bergsteigen verloren habe und eigentlich nicht mehr weiß, was ich in meinem Leben anfangen soll. Da bin ich wirklich vom einen ins Nächste reingestolpert. Die wichtigste Entscheidung war dann, dass ich einen Therapeuten aufsuche, mit dem ich meine Gedanken sortiere. Eins ist mir da schnell vermittelt worden, nämlich dass ich die Freude am Bergsteigen nicht verloren habe. Sondern dass sie überlagert wurde. Man kann jetzt wirklich sagen, einfach mal den Reset-Knopf drücken und von Grund auf die Festplatte neu programmieren. Mit den gleichen Voraussetzungen im Leben, nämlich dass ich ein Bergsteiger bin, dass ich natürlich eine Lebensfreude hab. Das war ein Weg, der mit kleinen Schritten beginnt, der aber erfolgreich und sicher war. Das Wichtige ist: Man muss das noch halbwegs rechtzeitig machen und nicht dann, wenn die Hütte schon lichterloh brennt, also die Psyche. Da war ich kurz vor knapp unterwegs.

Was hast du aus dieser Angst­erfahrung gelernt?
Als ich Jahre später im Buch „Der Berg in mir“ das erste Mal über die Angst geschrieben hab, habe ich sehr viele positive Rückmeldungen bekommen, die dann zu dem neuen Buch geführt haben. Am Ende kann ich sagen: Ich habe gewonnen. Allerdings ist es immer gut, wenn man so eine Krise nicht so massiv auslebt. Deswegen: nicht bis zum Schluss warten, sondern sich relativ zeitig jemanden suchen, mit dem man sich kompetent auseinandersetzen kann. Die Gesellschaft ist so herausfordernd für unseren Geist. So herausfordernd, dass es leider immer wieder mal notwendig wird, dass man solche Hilfe in Anspruch nehmen sollte.

Warum haben die Berge so eine magische Anziehungskraft? Eine größere als bei vielen anderen Sportarten?
Ich bin gerne draußen unterwegs. Nicht nur am Berg. Aber wenn ich oben steh und runterschauen kann, dann ist das ein erhabenes Gefühl. Über den Dingen stehen, das kann man am Berg sehr real erleben. Und wenn man am Berg dann auch noch wirklich steil unterwegs ist, dann ist das natürlich mit Gefahr verbunden. Das reizt den Menschen, das bringt ihn ein Stück weit zurück zum ursprünglichen Leben, denn Gefahren waren schon immer Bestandteil unseres Lebens. Sicher, man will sich nicht hirnlos mit Gefahren auseinandersetzen, die unkontrollierbar sind, aber wenn’s steil ist und man konzentriert steigen muss und man macht das den ganzen Tag lang, dann ist man 
am Abend einfach erfüllt. 

Buch Alexander Huber


Buchtipp
Alexander Huber: „Die Angst, dein bester Freund“ Warum Angst beim Klettern eine gute Sache ist und was wir im Tal daraus lernen können.