Mit 12 läuft er seinen ersten Marathon. Zehn Jahre später debütiert er beim Leadville 100 und gewinnt das legendäre Rennen mit mehr als einer Stunde Vorsprung. Der US-Amerikaner Anton Krupicka zählt zu den besten Outdoor-Athleten der Welt. Was ihn beim Laufen in den Bergen antreibt, hat er SPORTaktiv-Redakteur Axel Rabenstein verraten. Und vor allem, wie wichtig es für ihn ist, die eigene Komfortzone zu verlassen.


Tony, du bist in Nebraska aufgewachsen. Hat die Weite dieser Region den Drang in dir geweckt, lange Strecken zurücklegen zu können?
Schon möglich, jedenfalls bin ich schon als Kind stundenlang alleine durch die Natur gelaufen. Das war für mich aber weniger etwas Idealisiertes oder Romantisches. Ich bin immer sehr strukturiert unterwegs gewesen. Laufen war für mich etwas Zählbares, das ich minutiös dokumentiert habe. Bei meinen Ultraläufen ging es dann natürlich um die Bildung einer eigenen Identität. Um Abenteuer und Emotionen. Aber als kleiner Junge wollte ich in erster Linie sehen, zu was ich körperlich in der Lage bin.

Im Alter von 12 Jahren hast du deinen ersten Marathon absolviert. Hattest du nichts Besseres zu tun?
Für mich war es das Beste, was ich tun konnte. Ich war wie besessen davon, mich besonderen physischen Herausforderungen zu stellen. Ein Marathon schien mir so etwas wie der „Gold Standard" des Laufens zu sein. Nachdem ich im Training einige Male mehr als 30 Kilometer gelaufen bin, wusste ich, dass ich bereit dafür war. Dieselbe Motivation trieb mich dann auf noch längere Strecken und Ultramarathons.

Mit 23 Jahren bist du Profi geworden. Immer noch glücklich über deine Berufswahl?
Oh ja ... Ich bin seit 10 Jahren professioneller Outdoor-Athlet. Und ich kann immer noch nicht glauben, dass ich dafür bezahlt werde, nach Lust und Laune durch die Berge zu rennen.

Was ist so schön daran?
Berge sind wild, sie haben was Dramatisches und wecken spezielle Emotionen. Das ist wahrscheinlich in jeder natürlichen Umgebung der Fall, aber Berge haben den Menschen schon immer als Inspirationsquelle gedient.

Dich inspiriert die Natur zu extremen sportlichen Leistungen mit Läufen über mehr als 150 Kilometer. Was ­bedeutet „extrem" für dich?
Für mich ist grundsätzlich alles extrem, was außerhalb meiner Komfortzone liegt. Wissenschaften wie Informatik oder Mathematik können ebenso extrem sein. Es gibt Dinge und Zusammenhänge, die ich nicht verstehe. Das ist extrem für mich. Und wenn sich Menschen wenig mit Ausdauersport beschäftigen, mag es ihnen vielleicht extrem vorkommen, wenn ich auf einen Berggipfel renne oder 100 Meilen am Stück laufe.

Nach solchen Distanzen benötigt der Körper üblicherweise eine längere Regenerationsphase. Bei dir häufen sich die strapaziösen Einheiten schon mal. Wie steckst du das weg?
Genau das ist der Punkt ... Ich muss es eben wegstecken. Erholung ist individuell und hat viel mit deinem Training zu tun. Ich höre auf meinen Körper und nehme mir die Zeit, die ich benötige, um mich zu reparieren und gut zu fühlen.

Du bist dafür bekannt, mit einem Minimum an Equipment zu laufen, oftmals ohne Shirt. Ist das eine spezielle Philosophie? Oder sparst du einfach nur so viel Gewicht wie möglich?
Es geht um Komfort. Nichts weiter. Warum sollte ich ein Shirt tragen, wenn mir eh schon heiß ist? Und Equipment wie einen Trinkrucksack oder einen Haufen Gels mitzuschleppen, macht mir keinen Spaß. Ich brauche nicht so viel. Also habe ich so wenig dabei wie möglich.

Du verzichtest beim Laufen auch auf Musik. Was denkst du, Stunde um Stunde, alleine dort draußen?
So viel laufe ich gar nicht, meistens nur drei bis fünf Tage die Woche. Ehrlich gesagt, denke ich nicht großartig nach. Ich konzentriere mich einfach auf die Strecke.

Wird das nicht irgendwann langweilig?
Dafür ist die Natur doch viel zu schön! Ich werde vielleicht müde. Aber langweilig wird mir nie.

Bei einem Rennen wie dem Leadville 100 musst du alles geben. Was kriegst du dafür?
Schwere Beine. Authentische Emotionen. Und das Bewusstsein, mich einer schier unüberwindbaren Herausforderung gestellt zu haben, die ich dank meiner Standhaftigkeit meistern konnte. Das ist erfüllend.

Du konntest dieses legendäre Rennen in Colorado gleich im ersten Anlauf 2006 gewinnen. War das geplant?
Auf dein erstes Rennen über 100 Meilen kannst du dich mental nicht vorbereiten, weil du gar nicht weißt, was auf dich zukommt. Das ist aber gleichzeitig dein großer Vorteil: Wenn du keine Ahnung hast, was du da machst, bist du auch nicht durch Erwartungen an dich selbst oder in bestimmten Grenzen limitiert. Diese Blauäugigkeit kann dir dabei helfen, etwas Unerwartetes zu erreichen. Und so war es wohl möglich, dass ich als Erster ins Ziel gekommen bin.


Was machst du, wenn dein Körper dir mitteilt, dass er am Ende ist?
Ich bleibe stur und hart zu mir selbst. Schließlich weiß ich, dass viel mehr in meinem Körper steckt, als er vielleicht zugeben mag. Gefühlte Erschöpfung ist kein maßgeblicher Faktor. Je öfter du an diesem Punkt angelangt bist, desto einfacher wird es, ihn zu überwinden.

Und wenn's läuft: Erlebst du dann so etwas wie einen Flow?
Was man als „Flow" bezeichnet, ist wahrscheinlich der Grund, warum ich Sport treibe. Es ist ein Gefühl von totaler Integration zwischen deinem Körper, deiner Seele – und dem, was dich umgibt. Es ist die perfekte Verflechtung von Herausforderung und Fähigkeit. Du fühlst dich wie ein Held. Und in diesem Moment, in deinem Universum, bist du auch ein Held.

Sind das besonders klare Momente, weil man die eigene Existenz auf so etwas wie einen Selbsterhaltungstrieb reduziert?
Wenn du mehrere Stunden am Stück rennst, auf dem Rad sitzt oder auf einen Gipfel kletterst – dann ist das mit Sicherheit so. Irgendwann ist alles in seine Einzelteile zerlegt, wirkt elementar. Plötzlich hat jeder Moment die Intensität und das Potenzial, für immer bei dir zu sein. Das sind in meinen Augen unschätzbar wertvolle Erfahrungen.

Warum halten sich so große Teile unserer Gesellschaft dennoch lieber in ihrer Komfortzone auf, anstatt öfter mal eine neue Herausforderung zu suchen?
Komfort fühlt sich eben gut an. Und die eigene Trägheit übt eine große Kraft auf uns aus. Das Überwinden dieser Trägheit bietet uns aber gleichzeitig die Möglichkeit, zu wachsen und uns weiterzuentwickeln. Wir erfahren ein größeres Spektrum an Emotionen. Ich denke, dass dich solche Erfahrungen und Gefühle zu einer empathischeren Persönlichkeit machen können. Es ist doch ganz einfach: Ohne Herausforderung stagniert das Leben.

Hast du dir deshalb den Titel „Outdoor Ambassador" verliehen? Weil du der Überzeugung bist, dass wir dort draußen viel lernen können und mehr Zeit im Freien verbringen sollten?
In erster Linie bin ich der Meinung, dass es besser klingt als „arbeitslos". Irgendeine Berufsbezeichnung braucht man ja. Zweifellos bedeutet es aber auch, dass mir die Berge und unsere Natur sehr am Herzen liegen.

Eine letzte Frage: Was ist deine Schwäche?
Besessenheit. Gelegentlich Disziplinlosigkeit. Und Zucker.

Anton Krupicka / Bild: Buff

Der Bergläufer
ANTON KRUPICKA wurde am 2. August 1983 in Nebraska (USA) geboren. Er wuchs auf der Farm seiner Eltern auf, die nächste befestigte Straße war meilenweit entfernt. Im Alter von 12 Jahren startete er bei seinem ersten Marathon, den er in 3:50 h absolvierte. Im Jahr 2006 gewann er in 17:01:56 h den Leadville Trail 100 über 160 Kilometer und 4.800 Höhenmeter. Ein Jahr später wiederholte er diesen Erfolg.

Bis heute gewann er einige der härtesten Ultraläufe der Welt, u.a. das Miwok Trail Race (100 km) in Kalifornien sowie den Rocky Raccoon (160 km) in Texas. Anton Krupicka hat Physik, Philosophie und Geologie studiert. Er ist ledig und lebt in Boulder (Colorado).

WEB: www.antonkrupicka.com



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