Der Laufwinter hat viele Gesichter, von dunkel ungemütlich bis magisch verschneit. Mit unseren Expertentipps fürs Winterlaufen meisterst du alle Tage bis zum Lauffrühling mit Bravour.

Christof Domenig
Christof Domenig

Laufen im Winter hat zwei Gesichter. Da ist einerseits die ungemütliche, finstere Zeit, in der man sich öfter als sonst selbst überreden muss, vor die Tür rauszugehen. Und dann gibt es andererseits diese magischen Momente – wenn in der Nacht ein paar Zentimeter Schnee gefallen sind und man noch vor dem Räumdienst die ersten Spuren am Gehsteig hinterlässt. Wenn die Sonne beim Run auf den Haushügel durch den Nebel blinzelt oder man durch einen raureifigen Wald joggt. Ja, Winterlaufen kann auch verdammt schön sein.

Damit es im Winter bei euch an allen Tagen gut läuft (nicht bloß an den „magischen“), haben wir zwei Experten für diese Story engagiert: Michael Buchleitner, Marathon-Olympiastarter 2000 und 2004 und heute Veranstalter des Wachaumarathons wie Inhaber des Runinc.-Stores in Wien; sowie Peter Rödhamer, Laufausrüstungs-Experte von Intersport Austria. Beide wissen, wie im Winter der Hase läuft.

Training: Zeit für die Basis – und für ganz Grundsätzliches
Klar kommt es auf die Zielsetzung an – meist ist der Winter aber jene Phase, in der der Blick der Grundlage gilt. Auch für Michael Buchleitner, der die Trainingslogik dieser Jahreszeit aus dem Spitzensport ebenso kennt wie aus seiner heutigen Arbeit mit Hobbyläufern. Für ihn ist aber auch klar: Der Winter ist die Phase der Variation. „Viele verschiedene andere Dinge machen, die Muskulatur einmal anderen Reizen auszusetzen – weil da die Zeit einfach dafür da ist.“ 

Andere Reize sind im durchaus umfassenden Sinn gemeint: Krafttraining, Beweglichkeit, Stabilisation etwa. „Sich viel mehr Zeit für andere Sachen zu nehmen, tut der Muskulatur gut“, betont Buchleitner. Wer es technisch beherrscht: Langlaufen ist eine großartige Alternative anstelle eines langen Dauerlaufs – die zusätzlich auch den bei Herrn und Frau Läufer:in ohnehin meist vernachlässigten Oberkörper fordert.

Der Winter ist aber auch die Zeit der Standortbestimmung. Gerade wir Freizeitläufer wissen oft gar nicht, wo unsere Schwächen liegen. Jetzt ist genau die Phase, dies herauszufinden. „Gerade im Beweglichkeitsbereich gibt es viele Tests, die im Grunde einfach sind“, erklärt der Experte. Hinter unterschiedlichen Laufstilen steckt nämlich meist kein Technikproblem im eigentlichen Sinn, sondern sie sind auf muskuläre Dysbalancen und eine eingeschränkte Beweglichkeit zurückzuführen.

Ein Besuch beim Physio des Vertrauens, für einen simplen Kraft- oder Beweglichkeitstest, kann vieles klären. „Der Physio kann auch Schwächen identifizieren, noch bevor sie Probleme bereiten“, so Buchleitner. „Aber auch wenn man googelt, findet man viel, ganz einfache Selbsttests, die ebenfalls Aufschluss geben.

Für alle Leistungsorientierten: Beweglichkeit und Kraft gezielt zu verbessern, bringt oft deutlich schnellere und einfachere Fortschritte, als an der Ausdauerschraube zu drehen. Beispiel: ein Beweglichkeitsdefizit in der Oberschenkelrückseite. „Das verhindert, dass man überhaupt das Bein richtig heben kann. Ein ökonomischer, raumgreifender Schritt ist so nicht möglich.“ Wird die Beweglichkeit verbessert, steigt die Laufökonomie oft dramatisch. „Der Effekt ist unfassbar hoch.“

Schuhe und Bekleidung – passend für jede Witterung
Wenn die Bedingungen von griffig-kalt bis matschig-dunkel alles bieten können, wird Ausrüstung zur entscheidenden Stellschraube. Im Laufschuhbereich, sagt Peter Rödhamer, hat es jüngst einen Fortschritt gegeben, der speziell auch fürs Winterlaufen relevant ist: Gravellaufschuhe. „Früher gab’s die klare Trennung zwischen Straße  und Trail – aber beide waren sie im Winter oft nicht ideal“, erklärt Rödhamer. Straßenmodelle waren auf Glätte zu rutschig, Trailmodelle auf Asphalt zu stark profiliert. Gravelschuhe schließen die Lücke: eine griffigere, aber nicht zu grobe Sohle, ein straßenähnliches Laufgefühl und zusätzliche Stabilität für rutschigen Untergrund. Marken wie Salomon oder Scott haben hier vorgelegt, doch der Trend greift inzwischen breiter. 

Gravelschuhe werden mittlerweile auch mit Gore-Tex-Membran geboten. Der Schutz vor eindringender Feuchtigkeit ist ein entscheidender Parameter im Winter. Österreich ist übrigens eines der Länder mit dem höchsten GTX-Anteil im Running-Segment, weiß Rödhamer. Mit neuen, wesentlich dünneren Membranen wie Gore-Tex-Invisible sind diese Schuhe auch viel weniger steif als früher. Wichtig: Die Schuhe dann regelmäßig imprägnieren, damit die wasserdichte Funktion erhalten bleibt.

Mit rutschigem Untergrund steigen auch die Anforderungen an den Fuß. „Viele haben ein abgeschwächtes Fußgewölbe, das zeigen unsere Analysen in den Shops deutlich. Gerade im Winter macht eine passende Einlage oder ein stabiler Schuh Sinn“, sagt Rödhamer.

Zur Bekleidung: Der klassische Fehler: „Drei Grad, dick eingepackt loslaufen – und nach zwei Kilometern schwitzt man.“ Die Faustregel bleibt: Beim Start darf es kühl sein. Die Schlüsselstellen, was das Kälteempfinden betrifft, seien Kopf und Hände: „Haube und Handschuhe – das sind die wichtigsten Teile“, erklärt der Intersport-Experte. Dort verliert der Körper am meisten Wärme. Aber: lieber dünn als dick. „Den Hals schützen und auf den Bereich der Achillessehnen nicht vergessen“, ergänzt Michael Buchleitner.

Eine typische Winterlaufjacke oder Tight ist vorne winddicht und hinten atmungsaktiver – damit Schweiß abtransportiert wird. Die wahrscheinlich wichtigste Botschaft im Winter: Sichtbarkeit ist Pflicht. Reflektierende Hosen oder Jacken, Stirnlampen mit Rücklicht, LED-Clips – all das sollte Standard sein. In den Laufshops und -abteilungen kann man sich damit um wenig Geld ausrüsten. „Nur eine Stirnlampe vorne reicht nicht, von hinten sieht man dich sonst nicht“, warnt Rödhamer. Zu dessen persönlichen Winter-Favoriten auch Shorts (über die Tight gezogen) und Handschuhe gehören, die vollflächig reflektieren.

Früher waren weder Trail- noch Straßenlaufschuhe im Winter optimal. Gravelschuhe schließen die Lücke.

Motivation: Gemeinsam läuft’s leichter
Auch der Antrieb, im Winter rauszugehen, hat sich verändert. Rödhamer beobachtet einen klaren Trend: „Community-Runs boomen wie nie.“ Marken setzen auf gemeinsame Events, Laufgruppen werden gesucht – und viele, die früher alleine liefen, lieben heute die Gesellschaft. Und nicht wenige der jungen Laufbegeisterten haben das Laufen von Beginn weg als Gruppenerlebnis kennengelernt. 

Für Michael Buchleitner beginnt Motivation nicht beim Wetter: „Es muss in die Köpfe rein, dass Sport ein permanenter Ausgleich zum Alltag sein soll.“ Zwei, drei Tage ohne Bewegung – und ihm selbst fehlt etwas. Es geht ihm ums Rauskommen, um die frische Luft – nicht zwingend ums Laufen selbst. Auch andere Sportarten erfüllen denselben Zweck. Entscheidend: Bewegung als Fixpunkt im Wochenrhythmus.

Motivation entsteht laut Buchleitner durch Regelmäßigkeit und Fortschritte. „Es gibt kaum Schöneres, als wenn du mit Leichtigkeit laufen kannst.“ Ziele helfen ebenfalls – aber realistische. Ein vager Neujahrsvorsatz funktioniert selten. Heute treibt ihn vor allem eines an: „Ich möchte gesund und fit alt werden.“ Dafür setzt er auf Abwechslung, Ansprache verschiedener Muskelgruppen – genau der Ansatz, der sich besonders gut im Winterlauf eignet.

Winterlaufen ist Herausforderung und Geschenk zugleich. Wer sich gut ausrüstet, an seiner Basis arbeitet und vielleicht Gleichgesinnte hat, der wird nicht nur sicher durch die kalte Jahreszeit kommen – sondern eine richtig 
gute Zeit erleben.