Gravel, Gepäck und Grenzerfahrungen: Christoph Strasser und Elena Roch geben Profi-Tipps für mehrtägige Bikepacking-Abenteuer – abgeleitet von ihren eigenen Self-Supported-Rennen.
Wer zum ersten Mal zu einer mehrtägigen Bikepacking-Tour aufbricht, macht das nicht selten mit großen Träumen – von einsamen Bergstraßen, stillen Biwaknächten und dampfendem Kaffee im Morgengrauen, bevor es wieder losgeht. Doch zwischen der ersten Idee und den letzten Kurbeldrehungen liegt eine unendliche Welt voller Ungewissheiten. Welches Bike? Welche Taschen? Wie viele Paar Socken sind zu viel – und wie wenig ist noch genug?
Die Antworten auf diese Fragen haben zwei, die genau wissen, wie weit man auf zwei Rädern kommen kann. Beide bewegen sich an der Spitze des Weitradelns, ob mit oder ohne Support, und liefern nicht nur sportliche Inspiration, sondern auch praktische Orientierung für alle, die ihren ersten „Ultradistanz-Urlaub“ planen.
Freiheit auf Schotter
Die frischgebackene Ultradistanz-Weltmeisterin Elena Roch liebt ihr Gravelbike. Nicht, weil es das leichteste oder schnellste ist, sondern weil es sie dorthin bringt, wo man mit dem Renner nur schwer hinkommt. „Besonders nach einem langen Arbeitstag fällt es mir beim Gravelbiken leichter, komplett abzuschalten, weil man sich ganz auf die Natur konzentrieren kann.“ Aber bei der Auswahl des richtigen Bikes für das nächste Abenteuer entscheidet sie je nach Einsatz – und die sind bei ihr vielfältig: vom Gravelrace über Ultradistanz auf endlosem Asphalt bis zur privaten Bikepacking-Tour. Worauf es ihr dabei ankommt: Befestigungsmöglichkeiten für Taschen, Gepäckträger und eine ausreichende Reifenfreiheit. „Wichtig ist auch, mit dem Set-up zu experimentieren: Welche Reifenbreite, welcher Luftdruck – auf jeden Fall weniger als beim Rennrad – und welche Übersetzung sind jeweils passend? Bei steilem Gelände lohnt sich zum Beispiel eine Einfach-Übersetzung“. empfiehlt die Niederösterreicherin.
Beim sechsfachen RAAM-Sieger Christoph Strasser klingt das ähnlich: „Schnelligkeit ist gut, Leichtigkeit auch. Aber noch wichtiger sind Zuverlässigkeit und Komfort. Ein schnelles Rad nützt nichts, wenn man schlecht sitzt, Rückenschmerzen bekommt oder ständig Pannen riskiert.“ Und außerdem, so Strasser weiter: „Das Bike sollte gut gewartet und auf dich abgestimmt sein – nichts ist ärgerlicher als ein schlecht schaltendes Schaltwerk oder schleifende Bremsen mitten im Niemandsland.“ Das gilt besonders, wenn man ohne Support unterwegs ist. Aber das ist zugleich der Reiz von Unsupported- Bewerben wie dem Transcontinental Race. Die Herausforderungen dort unterscheiden sich deutlich von seinen scheinbar „routinemäßigen“ Touren quer durch die USA: „Man muss unterwegs alleine Probleme lösen. Man muss Pannen beheben, Einkäufe erledigen und die Schlafpausen selbst organisieren.“ All das kommt auch auf den Bikepacker-Neuling zu.
Bevor das Abenteuer aber losgeht, stellt sich eine weitere entscheidende Frage: Wie viel Gepäck ist nötig – und wie wenig ist möglich?
Ein Rücklicht sollte auch tagsüber immer am Rad sein – ein Frontlicht sollte stets dabei sein, falls es mal später wird.
Packesel-Philosophie
„Bei meinen ersten paar Touren habe ich immer viel zu viel mitgeschleppt, wie zum Beispiel zu viel ‚Off-Bike‘-Kleidung – was ich dann nach und nach reduziert habe“, erinnert sich Roch. Ihre Empfehlung: das Set-up vorab auf einer kurzen Testtour ausprobieren. „Am besten auf einer kürzeren Tour, zum Beispiel mit einmal übernachten, einfach mal testen, was man braucht – und was man weglassen kann.“
Und auch der RAAM-Veteran überlässt beim Packen nichts dem Zufall: „Ich nehme lieber etwas zu viel Werkzeug und Ersatzteile wie Speichen und Kettenglieder mit – auch wenn ich es noch nie gebraucht habe. Da will ich kein Risiko eingehen. Das Ersatzhandy hab ich tatsächlich schon öfter gebraucht.“ Aber wie alle, die viel unterwegs sind, hat auch der Profi schon einmal etwas vergessen: den Autoventil-Adapter. „Ohne den war das Aufpumpen nach einer Panne eine echte Geduldsprobe – das wäre an der Tankstelle in zehn Sekunden erledigt gewesen.“ Unverzichtbar für den Steirer unterwegs ist die Nagelschere: „Klein, leicht – und damit kann man notfalls alles schneiden, Dosen öffnen oder bei Pannen helfen.“ Für Elena Roch ist das eindeutig der Food Pouch: „Der darf nicht fehlen, um die Lieblingssnacks immer griffbereit zu haben.“ So kann an scheinbar endlosen Tagen im Sattel manches kleine Detail den Unterschied machen.
Und beide sind sich einig: Sichtbarkeit ist Pflicht – insbesondere bei schlechtem Wetter. „Wichtig sind Kleidung für jedes Wetter und gute Sichtbarkeit bei schlechtem Wetter, Nebel und Dunkelheit. Licht sollte hinten auch tagsüber am Rad sein, eines für vorne sollte man zumindest dabei haben, falls man ungeplant später ankommt. Außerdem: Reflektoren am Rad und reflektierende Kleidung“, betont Strasser. Und wer nicht im Hotel schläft, braucht neben mehr Mut auch mehr Power im Gepäck: „Ein Dynamo ist sehr empfehlenswert“, sagt der Steirer, „um Licht und Elektronik auch unterwegs laden zu können.“ Denn Komfort beginnt mit Sicherheit.
Alles nach Plan
Wo es hingeht, steht meistens schnell fest – zumindest so ungefähr. Bei der genauen Routenplanung verlässt sich Christoph Strasser auf ein ganzes Arsenal an Tools: Google Maps, Komoot, Bikerouter.de – mit Optionen wie „Rennrad schnell“, „verkehrsarm“ oder „touristisch“. Für ihn besonders wichtig: der Straßenzustand, Verkehr und alternative Linienführungen. „Ich schaue mir verschiedene Vorschläge an, baue mir daraus manuell meine Route zusammen und vergleiche das Ganze mit der Strava-Heatmap. Total unbefahrene Wege versuche ich zu vermeiden. Bei großen Straßen checke ich zusätzlich mit Google Street View, ob es Pannenstreifen, Leitplanken oder Sperrlinien gibt – das hilft ungemein.“
Aber auch akribisch geplante Routen können mit Überraschungen und Herausforderungen aufwarten. Hier rät Roch: „Es hilft, ein Ziel vor Augen zu haben – und trotzdem offenzubleiben für das, was unterwegs kommt.“ Doch selbst mit perfektem Set-up, guter Route und optimaler Vorbereitung wird jede Fahrt irgendwann zur Kopfsache.
Bikepacking-Packliste
- Rahmentasche (Frame Bag): Schweres Gepäck sollte zentral im Schwerpunkt transportiert werden. Die „Werkstatt“ ist hier optimal aufgehoben – Multitool/kleines Werkzeugset; Minipumpe; Reifenheber, Ersatzspeichen & Kettenglieder, Ersatzschlauch/Tubeless-Kit, Ersatzbremsbeläge, Autoventil-Adapter, Kabelbinder, Powerbank, Nagelschere.
- Lenkertasche (Handlebar Bag): Alles für den Alltag unterwegs Windjacke, Ohrstöpsel, Stirnlampe, Handtuch, Waschgel, Zahnbürste, Hygieneartikel, Reiseapotheke, Müllbeutel, Zip-Beutel, Erste-Hilfe-Set, Papierkarte (für den Notfall)
- Satteltasche (Seat Pack): Voluminöses Gepäck passt am besten ins Platzwunder Seat Pack – Schlafsack, Biwaksack, Isomatte, Regenkleidung (Jacke, Überschuhe, Helm-Überzug), Ersatzkleidung (Trikot, Hose, Socken), Baselayer, Off-Bike-Kleidung (Shirt, Unterwäsche, leichte Hose).
- Oberrohrtasche (Top Tube): Immer griffbereit: Handy, GPS, Bankomatkarte, Bargeld, Ausweis, Notfallkontakte, Sonnencreme, Augentropfen, Tabletten gegen Magenprobleme, Minischloss.
- Food Pouch: Alles „Anti-Hungerast“ – Riegel/Nüsse/Trockenfrüchte, Notfall-Gels, Elektrolytpulver, Salzkapseln; dazu ein kleiner Müllbeutel für die leeren Verpackungen.
Kopf und Körper
Durchhänger und mangelnde Motivation können immer und zu jeder Zeit auftauchen. „Ich arbeite dann mit Visualisierung und rufe mir diese in schweren Momenten in Erinnerung, zum Beispiel den Zieleinlauf oder andere schöne Rennmomente. Manchmal lenke ich den Fokus bewusst auf die Umgebung – weg von den müden Beinen, hin zur schönen Landschaft.“ Darüber hinaus, so Roch, wird es philosophisch: „Ich finde am allerwichtigsten, ein klares Ziel vor Augen zu haben – ein klares ‚Warum‘.“
Strasser setzt außerdem auf Powernaps und Kalorien. „Essen und trinken helfen immer! Oft kommen mentale Probleme von einem Kaloriendefizit. Außerdem kann ein Powernap von 20 Minuten wahre Wunder wirken. Danach ist die Laune wieder besser und negative Gedanken oft wie verflogen.“ Man sollte also immer darauf achten, genug zu essen, um keinesfalls „hangry“ zu werden. Hier kommt Rochs Must-have-Gadget zum Einsatz: „Hunger sollte im Idealfall gar nicht kommen, die Verpflegung sollte immer regelmäßig erfolgen, um einen Hungerast zu vermeiden – deshalb auch der Food Pouch!“
Und wenn gar nichts mehr geht? „Wenn ich mit Hungerast, Panne und Schmerzen irgendwo in der Pampa stehe – dann stehe ich dort, auch wenn ich aufgebe. Besser wird es nur, wenn ich zumindest zum nächsten Checkpoint weiterfahre. Und dann kommt eine Phase, wo es wieder besser wird, und dann will ich sowieso nicht mehr aufgeben.“ Der Kopf fährt mit – aber Bauchgefühl und Erfahrung entscheiden oft über Ankommen oder Abbruch.
Nicht alles zerdenken. Einfach losfahren. Es zahlt sich in jedem Fall aus, unsere Träume zu verfolgen.
Ohne Druck Träumen folgen
Was also raten zwei Profis in Summe all jenen, die 2026 loslegen wollen? Elena Roch bringt es auf den Punkt: „Nicht alles zerdenken. Einfach losfahren. Wir können so viel mehr, als wir glauben.“ Der Mut zum Start zählt mehr als das perfekte Set-up. Und: „Es zahlt sich in jedem Fall aus, unsere Träume zu verfolgen – auch wenn andere sagen, dass das nicht möglich ist.“
Christoph Strasser sieht das ähnlich: „Spaß haben! Nicht alles perfekt machen wollen. Keinen übertriebenen Druck aufbauen. Mit realistischen Zielen starten, dann lernt man sich selber kennen, kann den nächsten größeren Schritt machen und sich herantasten. Nicht das Ziel macht glücklich – sondern das Unterwegssein!“
Ob mit Schlafsack im Wald oder mit Espresso am Pass: Der erste Bikepacking-Urlaub beginnt mit dem Entschluss, aufzubrechen – die perfekte Ausrüstung folgt erst danach.