Marianne Maier ist ­Europas beste Masters-­Mehrkämpferin – und kämpft auch für eine bessere Anerkennung des Masters-Sports. Dass Leistungssport als „Jungbrunnen“ taugt, davon ist auch SPORTaktiv-­Experte Kurt Stein­bauer überzeugt.

Christof Domenig
Christof Domenig
Marianne Maier


Sie sammelt Siege wie andere Facebook-Likes. Mehr als 100 bei Welt- und Europameisterschaften gewonnene Medaillen, davon 59 goldene, liegen bei Marianne Maier zu Hause im Schweizer St. Margrethen, gleich hinter der Vor­arlberger Grenze. Bei der Leichtathletik-Masters-EM im Raum Venedig im September gewann die österreichisch-schweizerische Doppelstaatsbürgerin, deren sportliche Heimat die TS Höchst in Vorarlberg ist, Gold über 80 m Hürden, im Hochsprung, Weitsprung sowie im Siebenkampf in der Klasse W75. 2016 bis 2018 wurde sie jeweils zu Österreichs Masters-Athletin des Jahres gewählt, Ende 2018 auch als beste Masters-Mehrkämpferin Europas geehrt.

Dabei hat sie erst mit 40 Jahren mit Leichtathletik begonnen, vorher war sie ohne Leistungsambition im Turnverein. „Bei TS Höchst habe ich dann meinen langjährigen Trainer getroffen, der mir viel beibrachte“, erzählt die Medaillensammlerin, die auch mehrere Weltrekorde aufgestellt hat, etwa im Kugelstoßen. Sie begann mit dem damaligen Fünfkampf, ging bei nationalen und bald auch internationalen Wettkämpfen an den Start. „Mit dem Erfolg kommt der Ehrgeiz“, sagt sie im typisch Schweizer Understatement. Zu Beginn trainierte sie drei bis fünf Stunden die Woche; jetzt nach der Saison ist sie viermal wöchentlich rund 1,5 Stunden im Training, vor internationalen Wettkämpfen, auch mit mittlerweile 76 Jahren, fast täglich.

Marianne Maier ist das Paradebeispiel, aber zugleich nur eines von vielen: Dafür, dass Sport jung hält, aber, was vielleicht nicht jedem so bewusst ist: Nicht nur moderater Gesundheitssport, sondern auch Leistungssport. Davon ist auch Sportwissenschafter Kurt Steinbauer aus unserem SPORTaktiv-Expertenpool überzeugt. Der 57-Jährige wurde selbst bei der Leichtathletik-Masters-EM Fünfter im Weitsprung und sagt: „Leistungssport im fortgeschrittenen Alter boomt, die Dichte in den Altersklassen wird immer größer, Rekorde fallen weltweit.“ Ab 35 gilt man nicht nur in der Leichtathletik, sondern in vielen Sportarten als „Masters-Athlet“, sozusagen als „Senior“. Natürlich geht die Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter zurück, aber gerade Sport kann diesen Effekt in erstaunlichem Maß verzögern. Steinbauer ist sicher, dass heute einerseits bessere Trainingsmethoden dazu führen, dass in den Masters-Klassen die Leistungsdichte stark steigt, und dass andererseits auch aufgrund eines besseren Lebensstils die „Alters-Limitierung“ später einsetzt.

„40 ist das neue 30“ oder sogar „70 das neue 50“? Das ist kein leeres Gerede. Steinbauer wurde einst als 30-Jähriger österreichischer Masters-Meister – erst ein paar Jahre später wurde die Grenze um fünf Jahre nach oben gesetzt. In den 1990er-Jahren bot der Sportwissenschafter „Ü40-Turnen“ an, was heute ebenso kurios klingt.

Leben für den Sport
Aus sportwissenschaftlicher Sicht nehmen Schnellkraftleistungen zuerst ab (oder besser gesagt: sie sind schwieriger durch Training aufrechtzuerhalten). Aber man weiß heute im Gegensatz zu früher, dass die schnellen Muskelfasern auch ab 40 auf Trainingsreize ansprechen, sagt Steinbauer. Kraftleistungen und vor allem Ausdauerleistungen sind generell länger aufrechtzuerhalten. Älterwerden schlägt sich auch in höherer Verletzungsanfälligkeit und längeren Regenerationszeiten nieder. Trainings- und Regenerationszeiten müssen gut geplant sein, allgemeines Training wird im Vergleich zum spezifischen wichtiger. In der Ernährung nimmt der Eiweißbedarf etwas zu. Und hört man mit Sport auf, geschieht der Leistungsabfall deutlich schneller als in jungen Jahren. „Man ist sozusagen zum Training verdammt“, sagt Steinbauer. Was aber Masters-Athleten nicht stört.

„Die Hälfte derer, die bei einer Masters-EM dabei sind, lebt für den Sport“, weiß Kurt Steinbauer. Marianne Maier relativiert das für sich: „Man muss trotzdem ein bisschen das Leben genießen. Alles möchte ich nicht dem Sport unterordnen.“ Ihre Familie (Ehemann, ein Sohn, zwei Enkelsöhne) sei schon „recht stolz“ auf sie. Während sie zum Leichtathletiktraining geht, setzt ihr Mann sich gern aufs Rennrad, „nur manchmal wünscht er sich, dass ich nicht so viel weg wäre“, lacht Maier, die das Unterwegssein auch genießt: „Durch den Sport bin ich schon auf der halben Welt gewesen.“ „Fast wie eine Familie“ trifft auch auf die Masters-Szene zu. Auch wenn die Leistungen erstaunlich und der Ehrgeiz groß sind, geht es freundschaftlicher zu als in den allgemeinen Klasse, bestätigen Maier und Steinbauer. Was sich Marianne Maier wünscht: Dass Masterssport mehr geschätzt und weniger belächelt wird. Auch wenn sich hier bereits einiges geändert habe: Es gebe schon noch Raum für Verbesserung.
 

Siegen hält jung: Warum auch Leistungssport als Jungbrunnen taugt

Herausforderung motiviert
Ums „Fitbleiben bis ins hohe Alter“ geht es den Masters eher als Nebeneffekt. Um das zu erreichen, würden vier bis fünf Stunden Bewegung pro Woche mit den Komponenten Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Koordination reichen. Eben „Gesundheitssport“ – der jedoch immer mehr nicht reicht: „Man möchte etwas erleben, macht Crossfit, einen Ironman oder geht klettern. Herausforderung ist ein riesiger Motivationsfaktor“, sagt Kurt Steinbauer. Ein später Einstieg in den Leistungssport kommt nicht selten vor: Oft spielen die Zeitressourcen eine Rolle, die größer werden, wenn ­Kinder aus dem Haus sind, oder die ­finanziellen Möglichkeiten, wenn die Wohnung abbezahlt ist.

Dass Leistungssport den Körper, zu viel Training zum Beispiel die Gelenke schädigt, habe man früher geglaubt. Heute wisse man, dass Bewegung die Gelenke mit Gelenksflüssigkeit versorgt und eher Inaktivität es ist, die schadet, erklärt Steinbauer. „Ist die stabilisierende Muskulatur rund ums Gelenk ausgewogen trainiert, schützt das vor Überlastung, was man heute im Training berücksichtigt.“ Sportliche Leistungsfähigkeit setzt auch einen allgemein gesunden Lebensstil voraus. Regelmäßige medizinische Checks, ein sehr gut geplantes, ausgewogenes Training und ein mehrjähriger Aufbau sind Voraussetzungen.

In der ersten Reihe
Am 24. Dezember wird Marianne Maier 77 – sozusagen als „Christkind“. Ihr Wunsch: noch lange so fit zu sein und so aktiv sein zu können – sie sagt aber auch: „Alter muss man akzeptieren.“ Dass mit Leistungssport einmal Schluss sein wird, „mit dem Gedanken kann ich mich noch nicht recht anfreunden. Aber wenn es passiert, muss ich damit leben.“ Noch gibt es keine Anzeichen, lediglich der Rücken und die Knie zwicken manchmal, was sich durch Trainingssteuerung in den Griff kriegen lässt. Maier ist heute ihre eigene Trainerin, sie hört sehr auf ihren Körper, sagt sie. Nicht nur körperlich habe ihr der Sport viel gebracht: „Von Kindheit an war ich es nicht gewohnt, vorne zu stehen, mein Selbstbewusstsein war nicht so groß. Umso mehr schätze ich die Erfolge. Es freut mich irrsinnig, als ältere Dame unter den jungen Leuten stehen zu dürfen.“ Medaillensammlerin Marianne Maier wird das bestimmt noch ­viele Male dürfen.

Marianne Maier
Marianne Maier

wohnt in St. Margrethen (Schweiz), startet für TS Höchst (V). Bis dato über 100 Medaillen in der Masters-Leichtathletik, zuletzt 4 x Gold bei der EM in Venedig in der Klasse W75.