Mit dem Gravelbike im Rennmodus über den Schotter? Was einen Gravel-Racer ausmacht und wer mit so einem Renner Spaß hat.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer


Gravel, das ist für viele die pure Freiheit auf zwei Rädern, ein eigenes Lebensgefühl. Asphalt, namensgebender Schotter, Feld- und Forstwege oder – entsprechendes Fahrkönnen vorausgesetzt – selbst Trails: Beim Graveln bewegt man sich so schnell oder langsam, so weit oder kurz und vor allem wohin man will. An den Rädern selbst erkennt Christian Brumen, Brand Manager Dropbar bei Rose Bikes, allerdings zunehmend eine Spezialisierung in verschiedene Richtungen. Seit Längerem trimmen viele Hersteller die Allrounder zu Spezialisten für spezifische Einsatzzwecke. Komponenten, die auch härtester Beanspruchung trotzen, Feder­elemente und andere Dämpfungssysteme, die den Fahrkomfort erhöhen – insgesamt tolle Entwicklungen, die allerdings das puristische, direkte Fahrgefühl eines „Rennrads“ nicht mehr widerspiegeln.

Wer auf seiner Agenda vorrangig „schnell“ und „hart“ liest, sich von Rennformaten wie dem vormals als Dirty Kanza bekannten Unbound Gravel inspiriert fühlt und mit Argusaugen die Entwicklungen rund um das jüngste Engagement der UCI rund um die Gravel World Series samt krönender Weltmeisterschaft verfolgt – der fällt wohl direkt ins Beuteschema der darauf maßgeschneiderten „Race-Gravels“. Christian Brumen sieht hier die Zielgruppe immer noch recht breit – „vom Alltagsradler, der seine Hausrunde schneller bewältigen möchte, über Racer im Sinne der UCI hin zur kleinen, aber ebenso wichtigen Gruppe der ganz Verrückten, wie Badlands-Gewinner Seb Breuer“. Zu Letzterem – siehe unsere Personality-Story über Sebastian Breuer.

Versuch einer Nicht-Definition
Gut, wenn man für sich beschlossen hat, ein Gravel für schnelle Kilometer in den eigenen Fuhrpark zu holen. Spannend allerdings, dass die Industrie hier vielerlei Wege zum Ziel zu kennen scheint. Und auch die sonst eher für eng gesteckte Regularien bekannte UCI hält sich in den Richtlinien für die Gravel ­World Series überraschend offen. Dort dürfen mit Stand 14.03.2023 sämtliche Radtypen (Rennrad, Mountainbike, Citybike, Hybrid­bike, Crossbike etc.) verwendet werden. Ausgenommen sind lediglich Tandems, Liege- und Zeitfahrräder. Einzig bei der UCI-Gravel- Weltmeisterschaft wird zumindest ein Rennradlenker vorgeschrieben. Was also macht ein Gravel zum ­Race-Gravel?

Für Roses Christian Brumen definieren sich die Racer vorrangig über Gewichtstuning, „schnellere“ Reifen und eine aerodynamischere Position auf dem Rad. Mit diversen Anpassungen rund um Sattelstütze, Vorbaulänge und Aero-Clip-ons für den Lenker lässt sich hier für diverse Bikes relativ unkompliziert eine renntaugliche und schnelle Position realisieren. Auch Sebastian Breuer „tunt“ so sein Rose Backroad. „Je nachdem, welche Art von Rennen bestritten wird, müssen auch die graveltypischen Ösen nicht zwangsläufig wegfallen“, weiß Brumen. Die Ösen für Taschenlösungen oder zusätzliche Trinkflaschen können gerade in Self-Supported-Bewerben oder auf sehr langen Distanzen durchaus nützlich sein. Entscheidend ist für Christian Brumen ein gutes Basisbike, welches sich individuell anpassen lässt. Dazu „muss der Rahmen einerseits steif genug sein, um genug Vortrieb zu generieren, andererseits sorgt der nötige Komfort natürlich auch dafür, länger schnell fahren zu können. Hier gilt es, die individuelle Balance aus Aerodynamik und Fahrbarkeit zu finden“, erklärt der Rose-Brand-Manager.

Klar, „schnell“ definiert sich für jeden anders, und Rennen gibt es vom Mehrtages-Abenteuer quer durchs Atlas-Gebirge bis hin zur 120-Kilometer-Hatz über glatte Schotterwege. Der Rahmen, den die UCI für ihre Gravel World Series steckt, scheint aber für ein Gros der sportiv motivierten Gravelbiker sinnig und realistisch: Hier sollen die Strecken zumindest 60 % Geländeanteil aufweisen, vorrangig über breite Schotterstraßen und nur sehr eingeschränkt Singletracks führen. Querfeldein ist nicht vorgesehen. Die UCI empfiehlt je nach Höhenmetern Distanzen um die 80 bis 130 km, wobei zwischen 50 und 175 km alles erlaubt ist. Das perfekte Terrain für das Bild des Racers, welches Cannondales Marketing Manager Daniel Häberle rund um sehr sportliche Fahrer zeichnet, die wenige Utensilien mit sich schleppen und nach einem leichten, vortriebsstarken Bike suchen.

Neben den weiter oben von Christian Brumen genannten Attributen eint Räder, die nicht an die forsche Gangart adaptiert, sondern speziell darauf hinentwickelt wurden, eine gestreckte, nahe ans Rennrad angelehnte Sitzposition, an Straßenräder angelehnte Design­elemente und der weitgehende Verzicht auf „unnötige“ Details. Wie bei allen echten Spezialisten geht dies natürlich zulasten der Vielseitigkeit (in diesem Fall im Sinne von Bikepacking oder schwerem Gelände) doch dies ist durchaus so gewollt. Eben „Rennsport“. Gegenüber den vielseitigeren „adventure“-orientierten Rädern zeichnen sie sich nicht nur durch reduziertes Gewicht, sondern auch durch agilere, wendigere Geometrien aus.
 

Der „UCI-Renner“
Bikes, die es auf Schotter ordentlich krachen lassen, orientieren sich also in einigen Punkten stark am Straßenrenner. Wenig verwunderlich, macht so auch der eine oder andere Endurance-Renner mit entsprechend ausgereizter Reifenfreiheit auf sanften Schotterwegen eine gute Figur. „Hier und da mit dem Endurance-Rad auf 32er-Pneus ins Gelände – sicher kein Problem.“ Auf Dauer ist dies aufgrund der Geometrie für Cannondales Daniel Häberle aber nicht ideal. „Bei uns definiert sich ein Race-Gravelbike über mehr als nur die Reifen. Es ist vielmehr ein kompletter Systemansatz – Geometrie, sämtliche die Fahreigenschaften beeinträchtigenden Parameter sowie die Komponenten gilt es dabei abzustimmen“, so Häberle.

Kompromisslose Race-Gravels gibt es mittlerweile einige am Markt. Teils kommen sie mit deutlichen Aero-Attributen, um dem Fahrtwind bei hohen Geschwindigkeiten den Kampf anzusagen, teils mit beeindruckend leichten Rahmengewichten (etwa das Specialized Crux) für harte Kletterpartien. Das Cannondale SuperSix EVO SE beispielsweise ist ein eigenständig entwickeltes Rad, welches sich stark am Know-how aus dem SuperSix EVO, einem der komfortabelsten Räder in der Pro-Tour orientiert. Es bietet aber entsprechend eine auf Gravel ausgelegte (laufruhige) Geometrie und deutlich mehr Reifenfreiheit.

Wie viel Komfort solch ein Racer letztendlich bieten muss, das hängt wohl stark vom Zugang des Käufers ab. Weniger Hartgesottene finden bei den Herstellern auch durchaus sportliche Räder mit „Dämpfungselementen“. Ob man beim Antrieb auf das unkomplizierte 1-fach-Setup setzt oder lieber den vom Rennrad gewohnten 2-fach-Antrieben treu bleibt, ist Geschmackssache. Tendenziell überwiegen die Vorteile von 1-fach im raueren Gelände, auf langen Touren spielen die 2-fach-Varianten ihre etwas größere Übersetzungsbandbreite und die feinere Gangabstufung aus.

Die Sache mit den Reifen
Auch wenn das Race-Gravel, wie Daniel Häberle sagt, nicht über den Reifen allein definiert wird – erstaunlich viel Einfluss auf das Fahrverhalten der Räder hat er dennoch. Hieraus ergibt sich enormes Tuning-Potenzial. Sowohl für reinrassige Racer als auch für Allrounder, denen mit passenden Reifen und eventuell leichteren oder aerodynamischeren Laufrädern durchaus zu neuer Charakteristik verholfen werden kann. Häberle sieht hierbei auf der Sekundenjagd 40 mm Reifenbreite als gesetzt, unter 35 mm Breite würde er eher nicht gehen. Brumens Tipp: „je nach Terrain Reifen mit möglichst wenig Profil“.