Früher Nische, heute ausgereiftes High-End-Produkt mit unglaublich vielen Gesichtern – so findest du im E-Bike-Dschungel deinen perfekten (Touren-)Begleiter.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Im Jahr 2014 sah ich mich als junger Testredakteur zum ersten Mal vor den heiligen Hallen der Eurobike. Kurz davor hatte ich meine Feuertaufe auf einem E-MTB: Alu-Hardtail, schmale 2,1“-Reifen im jungen 27,5“-Format, ein recht forscher Mittelmotor und ein 400-Wh-Akku, der wie eine übergroße Trinkflasche am Unterrohr thronte. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen – und trotzdem versicherten mir alle auf der Messe: „Im E-Bike liegt die Zukunft.“ Elf Jahre später sind E-Bikes längst überall – technisch ausgereift, optisch elegant und beliebt quer durch alle Nutzergruppen. Vom Trail-Enthusiasten über den Langstreckentourer bis zur urbanen Pendlerin: Die E-Bikes sind mit einer riesigen Modellvielfalt angekommen. ­Gemeinsam mit Experten aus der Branche wollen wir helfen, den Überblick zu behalten – und dich ­direkt aufs passende Bike zu setzen.

„Im E-Bike liegt die Zukunft“, hieß es bereits auf der Eurobike 2014.

Was dich antreibt
Bis zu 25 km/h gesetzlich erlaubte Unterstützung machen am E-Bike selbst Gegenwind und Anstiege zum Vergnügen. Die Kraftentfaltung selbst hängt vom gewählten Unterstützungsmodus, vom Motorkonzept und dessen Abstimmung ab. „Mittelmotorkonzepte dominieren aktuell den Markt“, erklärt Julian Pfeiffer von BH Bikes. Der Motor sitzt zentral im Rahmen und sorgt für ideale Gewichtsverteilung und direkte Kraftübertragung – besonders wertvoll im Gelände oder bei schwer bepackten Touren. Daneben gibt es Nabenmotoren, die – leise, schlank und unauffällig – laut Pfeiffer speziell im urbanen Bereich oder bei sportlich-leichten Road- und Gravelbikes punkten.

Light-Assist oder Full-Power?
Wer sich für einen Motortyp entschieden hat, muss sich noch fragen: Wie viel Unterstützung soll es sein? „Unsere Light-Assist-Modelle setzen auf den neuen BHZ by SEG Automotive – leicht, effizient, extrem leise und dennoch 65 Nm stark“, erklärt Pfeiffer. Ideal für sportlich Ambitionierte, die das klassische Bike-Feeling schätzen, aber bei Bedarf einen Extraschub möchten. Weitere bekannte Systeme: TQ-HPR50, Fazua Ride 60, Specialized SL 1.2, Bosch Performance Line SX. Modelle mit rund 16 kg Gesamtgewicht sind hier realistisch – je nach Ausstattung und Budget. Im Full-Power-Segment geht es hingegen um maximale Leistung. BH setzt auf Shimanos EP801, andere Hersteller auf Bosch CX, Specialized 2.2/3.1, Brose S Drive Mag, Yamaha PW-X3, Pinion MGU E1.12, Panasonic GX oder Neuzugänge wie DJI Anvinox M1 und Sram Eagle Powertrain. Für Pfeiffer stehen in dieser Klasse „Performance, Reichweite und Konnektivität“ im Vordergrund – das Mehrgewicht spielt dann kaum eine Rolle.

Bleibt noch die Frage nach dem Akku: leicht, groß oder beides? Light-Assist-Bikes bringen oft kleinere Akkus mit – doch mit Range-Extendern lassen sich viele Systeme flexibel erweitern. BH kombiniert z. B. integrierte 630 Wh mit optionalen 180 Wh obendrauf. Klar ist: Größer heißt mehr Reichweite – aber eben auch mehr Gewicht. Hier zählt dein Einsatzprofil: täglicher Pendelweg oder Alpenüberquerung?

Wenn der passende Antrieb gefunden ist, fehlt nur noch eines: das richtige Bike. Und dann steht dem E-Bike-Abenteuer nichts mehr im Weg.

Schlanke Kilometerfresser
Mit dem Gravel-Boom der letzten Jahre segeln nicht nur die Schotter-Räder, sondern auch deren mit Rennlenkern und schmalen Reifen bestückte Rennrad-Geschwister im Aufwind. Kein Wunder, dass auch E-Varianten für Gravel und Rennrad den Markt bereichern. Die Zielgruppe dafür reicht für Julian Pfeiffer von ambitionierten Hobbysportlern über Radsport-Wiedereinsteiger bis hin zu Vielfahrern mit wenig Trainingszeit. Rennräder eignen sich vorrangig für asphaltierte Untergründe – Pendler, Abenteurer und schnelle Reisende finden am schlechtwege- und forstwegtauglichen Gravel eher ihren vielseitigen Begleiter. 

Da Hersteller vielfach auf Light-Assist setzen, bleiben die Räder optisch schlank und sind so kaum von unmotorisierten Rädern zu unterscheiden, was vor allem auch Puristen erfreuen dürfte. BH setzt im Segment auf seine „BHZ by SEG Automotive“-Motoren mit je nach Modell 630 oder 420 Wh. Durch den niedrigen Rollwiderstand und die optimierte Aerodynamik des Fahrers im Vergleich zum MTB soll dabei die Reichweite selbst mit den kleinen Akkus enorm sein. Beim Kauf gilt es laut Julian Pfeiffer der Geometrie und Passform sowie den Schaltkomponenten großes Augenmerk zu schenken.

Die (sportlichen) Alltagshelden
Wer sein künftiges E-Bike vorrangig als Alltagsbegleiter verstanden sieht, der könnte im Feld der E-City- oder E-Trekking-Bikes fündig werden. E-Citybikes wie etwa ein corratec E-Power C29 eignen sich der Einschätzung von corratecs Sabrina Glaß nach perfekt für Stadbewohner, Gelegenheitsfahrer, Senioren oder Personen mit eingeschränkter Fitness. Sie sind mit gegebenenfalls tiefem Einstieg für einfaches Auf- und Absteigen, intuitiver Bedienung, wartungsarmen Komponenten (Nabenschaltung, Riemenantrieb) sowie alltagstauglichem Zubehör (Licht, Gepäckträger, Schloss) perfekt für Einkäufe oder den Weg zur Arbeit. 

Vergleichbar alltagstauglich, aber dennoch um Welten sportlicher gehen E-Trekking-Räder wie das corratec Life ans Tagewerk. Typische Merkmale sind große Akkus mit hoher Reichweite, komfortable Sitzposition, Gepäckträger und hohes freigegebenes Systemgewicht (für viel Zuladung auf Mehrtagestouren, bei corratec sogar bis 180 kg) sowie straßenverkehrskonforme Ausstattung, die den Spagat von Alltag und Freizeit schafft (Seitenständer, Kotflügel). Zielgruppe hierfür sind vor allem Vielfahrer, Tourenliebhaber, Pendler, ältere Personen oder Wiedereinsteiger, die Komfort und Unterstützung suchen. Perfekt für Touren auf Asphalt, Schotter und im leichten Gelände – ideal also für Pendler, Ausflüge, aber auch Radreisen.
 

Sucht man nach maximalem Komfort und Sicherheit auf allen Wegen, führt am Fully kaum ein Weg vorbei.

Mountainbike-Klassiker
Soll es zwar ein E-MTB sein, stehen aber Alltagsnutzen und Wartungsfreundlichkeit über den Ansprüchen im echten Gelände, sind E-Hardtails eine gute Wahl. Hier sieht Sabrina Glaß sportlich Ambitionierte genauso in der Zielgruppe wie E-Bike-Einsteiger. Sie finden in den schlichten MTBs mit Federgabel und starrem Heck zuverlässige und vor allem unkomplizierte Begleiter für sportliche Fahrten auf Forststraßen, Waldwegen, einfachsten Trails und in bergigem Gelände. MTB-typische robuste Bauweise sowie eine Geometrie, die sowohl gute Klettereigenschaften als auch Kontrolle bergab verspricht, zeichnen die Klasse aus. Unser Tipp: Hardtails machen in der Stadt und am Arbeitsweg eine mindestens genauso gute Figur wie am Weg zur Hüttenrast. Voluminöse Reifen mit niedrigem Luftdruck sorgen für ausreichend Komfort – wer auf den zusätzlichen Federweg von Fullys verzichten kann, bekommt hier das „meiste MTB“ fürs Geld.

Der volle Federweg
Sucht man nach maximalem Komfort auf allen Wegen und/oder nach noch mehr Sicherheit und Reserven im echten Gelände, dann führt am E-Fully kaum ein Weg vorbei. Auswahl und „Bandbreite“ sind in diesem Segment allerdings so groß wie nirgendwo sonst – entsprechend gilt es bei der Wahl des richtigen Modells einiges zu berücksichtigen:
„Bei den E-MTB Fullys gibt es einen besonders breiten Einsatzbereich – vom Tourenfahrer, teils mit Gepäck, bis hin zum versierten Enduropiloten“, erläutert Christian Gaal von Conway. Um hier für jeden Fahrer das passende Fully zu finden, unterteilt man bei Conway ganz klassisch anhand des Federwegs: „170 mm bilden die Obergrenze im maximal sportlichen Enduro- und Bikepark-Bereich, darunter bewegt man sich je nach Ausstattung der Räder bis hin zu 140/150 mm im SUV-, Touren- und Trailsegment, dazwischen liegen die All Mountains“, fasst Gaal grob zusammen. So breit der Federweg- und Einsatzbogen, so schwer ist es hier, die Zielgruppen klar zu definieren. Ausgiebige Probefahrten sind vor dem Kauf Pflicht. Grob gesprochen: je höher der Stellenwert von Trails und umso technisch anspruchsvoller diese werden sollen, desto mehr Federweg. Umso mehr Wert auf Tourentauglichkeit gelegt wird, desto kürzer dürfen die Federwege werden. 

Während Trail-, Touren- oder All-Mountain-Bikes für eine breite Zielgruppe ausgelegt sind, stechen die E-Enduros hier etwas spezifischer in die Ecke der Trail- und ­Bikepark-Jünger – und das durchaus auch mit Wettbewerbsanspruch. „Anspruchsvolle Trails, technisch herausfordernde Sektionen, hauptsächlich bergab und schnell“, so sieht Christian Gaal den Enduro-Einsatz. E-Enduros werden (nicht nur in Rennen) zusätzlich auch bergauf durch fordernde Sektionen bewegt. „Vortrieb, Traktion und Gewicht müssen hierfür stimmig sein“. Flache Lenk-, steile Sitzwinkel und lange Geometrien wollen schnell und mit Nachdruck gefahren werden. Bei Conway begegnet man dem Trend mit den Light-E-Enduro Ryvon. Andere Hersteller setzen hier auf maximale Power, etwa mit Boschs Performance CX Race Motor.