Die Auswahl an E-MTBs ist 2023 breiter denn je. Wer sich vor dem Kauf einige Fragen selbst ehrlich beantwortet, der findet aber garantiert den perfekten Begleiter.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Der technologische Fortschritt, er ist, gerade was elektronische Bauteile betrifft, unaufhaltsam. Speziell um das Thema E-MTB scheint die Industrie aber mit Siebenmeilenstiefeln vorwärtszupreschen. Ich kann mich noch gut ans Jahr 2014 und meinen ersten ausführlichen Test auf einem E-Hardtail erinnern. Klassische Rahmen- und Rohrformen trafen damals auf gewaltigen Mittelmotor, monströs über dem Unterrohr thronenden 400-Wh-Akku und schmächtige 27,5 x 2,1-Zoll-Reifen – Letztere immerhin schon Tubeless Ready. Im Vorwärtsschub eher brachial als gefühlvoll, optisch nur ästhetisch Anspruchslosen bis Schmerzbefreiten ans Herz zu legen und technisch mit über ruppigem Geläuf aus der Halterung springendem Akku ausbaufähig, so meine Erinnerung an die damaligen Testeindrücke. Mit Modellen des Jahrgangs 2023 hat diese verblasste Erinnerung tatsächlich nur noch das nach wie vor verbreitete Mittelmotorkonzept (Motor im Tretlager, anders als bei den am MTB wenig verbreiteten Nabenantrieben, die den Motor an der Hinterradnabe tragen) gemein. Gute neun Jahre, und das E-MTB hat sich praktisch neu erfunden.
 

Status quo
Wer heute nach einem E-MTB aus bewährter Markenhand sucht, der wird von meinen damaligen Erfahrungen überrascht sein. Modern gezeichnet, fügen sich Akku und Motor nahtlos in die Design-Linie der Räder, dazu kommen E-MTB-
spezifische Komponenten wie Federgabeln, Laufräder, Schaltungen und standfeste Bremsen sowie voluminöse, traktionsstarke Reifen. Je nach Antriebskonzept sind E-MTBs mitunter kaum mehr von ihren motorlosen Pendants zu unterscheiden. 
Besonders sichtbar wird dies mit dem aktuell vielleicht größten E-Trend: Minimal-Assist-Bikes. Diese Bikes vereinen niedriges Gewicht mit bewusst reduzierter Akku- und Motorleistung zu einem sportiven, dem gemeinen Mountainbike ästhetisch wie im Handling maximal ähnlichen Konzept. „Das Fuel EXe, unser Minimal-Assist- Bike auf TQ-Motor, hatten wir bereits seit Längerem im Haus. Als wir dann etwas später das – später vorgestellte – „normale“ Fuel EX im selbem knalligem Gelb durch die Gänge schoben, dauerte es lange, bis die Kollegen die Neuheit bemerkten“, streicht Treks Communications-Manager DACH, Veit Hammer, das Understatement modernen Minimal-Assist-Bikes hervor.
 

Breite Konzeptwahl
Gab es früher einfach E-MTBs, so hat sich der Markt heute in den Antriebskonzepten breiter aufgefächert. Als gesetzt gilt der bereits erwähnte Mittelmotor. Diesen gibt es einerseits in äußerst kompakten, leichten Varianten, mit etwas reduziertem Drehmoment von 35 bis 65 Nm und meist kleineren Akkus, als sogenannte Minimal-Assist-Bikes. Die leichten Räder bieten entsprechend verringerte Unterstützung (daher Minimal-Assist), forcieren ein sportliches Fahren, dienen dem Piloten schlichtweg als „Extra-Satz Beine“ für fordernde Anstiege und schließen gekonnt die Lücke zwischen MTB und E-MTB. Insider handeln die jüngsten Entwicklungen auf diesem Sektor als vielleicht größte (Bike-)Errungenschaft des Jahrzehnts. Auf den Seiten 86 bis 87 tauchen wir etwas tiefer in diese leichtfüßigen, unter anderem von TQ, Fazua, BH und Specialized angebotenen Antriebskonzepte. 

Daneben finden sich nach wie vor kräftige bis sehr kräftige Varianten mit 75 bis 90 Nm (und in manchen Varianten sogar noch deutlich mehr) an Drehmoment, mit 500 bis 750, teils sogar 1125 Wh Akkukapazität ein. Reichweitenstark und mit genügend Schub für die steilsten Anstiege und den sogenannten Uphill-Flow, gibt es aber auch hier Unterschiede in der Antriebscharakteristik. Vom unnachgiebigen Schub bergauf bis hin zur feinfühlig ansprechenden „Verstärkung“ der eigenen Beine weiß der Markt zwischen Bosch, Shimano, Brose, Yamaha und Co. jede Vorliebe zu bedienen. 

Wichtig sind professionelle Beratung im Fachhandel und im Idealfall auch Probefahrten, um sich mit den jeweiligen Eigenschaften der Antriebsvarianten vertraut zu machen. Möchte ich sorglos und ohne übermäßige Anstrengungen hoch zur Alm oder zum Trail-Einstieg kommen oder ist es mir wichtig auch am E-Bike sehr sportlich unterwegs zu sein? Benötige ich maximale Unterstützung und Reichweite oder komme ich mit weniger Reichweite (sprich kleinerem, meist günstigerem Akku) aus, weil ich ohnehin niemals 1000 Höhenmeter und mehr in Angriff nehmen möchte? Suche ich nach dem sicheren Handling schwerer E-Bikes mit tief zentrierter Masse oder wäre mir das wieselflinke Handling eines leichtgewichtigen Minimal-Assist lieber? Diese Fragen rund um Antrieb und Akku sollte man sich vor einem Kauf ehrlich beantworten.

Mit ihren Ursprüngen haben moderne E-MTBs heute nur noch wenig gemein.

Die Sache mit dem Federweg
Flotte Bergziege, vielseitiger Allrounder und trailhungriger Abfahrtskaiser – neben den jeweiligen Antriebskonzepten spielen auch Geometrie und Federweg eine wichtige Rolle in der Kaufentscheidung. Praktisch alle Bike-Kategorien finden sich auch unter den E-MTBs wieder. Hardtails, XC- und marathontaugliche Sportgeräte, Tourenbikes, Trail- und Allmountainbikes bis hin zu Enduros mit Federwegen von 90 bis 180 mm finden sich in den Katalogen. 

Der Einfachheit halber haben wir in unserer nachfolgenden Übersicht die Räder nach „Nutzerprofil“ zusammengefasst. E-Tour umfasst Hardtails und Fullys mit reduziertem Federweg samt langstreckentauglicher Geometrien für den entspannten Einsatz auf Forststraßen und leichten Alm- und Waldwegen. Unter den Trail- und Enduro-­Bikes finden sich schließlich eher auf Abfahrtsspaß ausgelegte Modelle mit etwas längeren Federwegen. Durchaus noch tourentauglich, aber eben auch mit Fokus auf Singletrails von moderat (Trail) bis technisch (Enduro).

Natürlich ist es so, dass sich ein 170-mm-Enduro am Trail am wohlsten fühlt, ein 120-mm-Tourenfully die Forstautobahn komfortabel bezwingt und ein 140-mm-Trailbike die Brücke schlägt – doch gerade am E-Bike, so erklärt es Simplons Christoph Malin, hat die klassische Federwegs-Unterscheidung, die früher hauptsächlich mit dem Gewicht korreliert wurde, in manchen Zielgruppen an Bedeutung verloren. Vielfach, so seine Beobachtung, würden Tourenfahrer bewusst „zu viel“ Federweg wählen, um dann, beispielsweise im Dolomiten- oder Südtirol-Urlaub auf den alten, ruppigen Forst- und Militärstraßen ob der leistungsfähigeren Fahrwerke und kräftigen Bremsen ein Plus an Komfort und Sicherheit zu haben.

Moderne E-Trail- und Enduro-Bikes schlagen sich mit komfortablen Sitzpositionen und kräftige Motoren auch im Toureneinsatz hervorragend – ein Grund, weshalb viele Edel-Enduros mit Schutzblechen, Flaschenhalter am Lenker und Seitenständern auf Forststraßen Höhenmeter sammeln, ohne jemals echte Trails zu sehen. Wie viel „mehr“ an Bike für den eigenen Einsatzzweck passend sein könnte, klärt man wohl am besten ebenfalls während einer Probefahrt.