Die Auswahl an E-MTBs ist groß und alle Konzepte ­haben ihre klaren Stärken und Schwächen. Wir haben uns zu Minimal- und Full-Power-Assist sowie Federweg und Einsatzbereich schlau gemacht. 

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Unheimlich groß ist sie mittlerweile geworden, die Auswahl an E-MTBs am Markt. Dabei bedienen die Hersteller nicht nur alle erdenklichen Zielgruppen, vielmehr findet sich so manch Zielgruppe in mehr als nur einer Bikekategorie wieder. Race-Modelle für UCI-Rennen, gemütliche Tourenbikes, potente Abfahrtskünstler, transalptaugliche Allrounder, SUVs, die sich auch am Radweg, in der Stadt oder am täglichen Arbeitsweg als vielseitige Gesellen erweisen. Und dazu unterschiedlichste Motorenkonzepte, von Minimal Assist mit, trivial gesprochen, kleinem Motor und kleinem Akku über Full-Power-Assist mit maximaler Motorleistung und großen, reichweitenstarken Akkus bis hin zu Mischkonzepten mit ­starkem Motor und kleinem Akku respektive umgekehrt. 

Die richtigen Fragen stellen 
Wer sich ein neues E-MTB zu gönnen plant, sollte sich schon vorab und am besten vor dem Besuch im Bikeshop über ein paar grundlegende Punkte Gedanken machen, weiß Conways Christian Gaal. Ein greifbares Beispiel aus der gelebten Praxis mit der Ausstattung im Fokus: „Wir sehen oft unsägliche Bastellösungen mit Vorbauverlängerungen, irgendwie befestigten Schutzblechen und Halterungen – warum nicht gleich ein SUV nehmen, das genau diese Punkte ab Werk berücksichtigt?“, gibt er als Anstoß mit auf den Weg.

Grundsätzlich, so Gaal, sollte man sich immer fragen, wo man sein Rad bewegen will und was man damit vorhat. „Hier legt man am besten noch einen „Puffer“ obendrauf, da man am Schluss meist mehr damit anstellt, als man vorher gedacht hat – dann kommt man meist recht gut weg bei der Bike-Wahl“, empfiehlt Gaal den Griff zu etwas „mehr“ E-Bike. Um hier gleich das Thema Hardtail vs. Fully aufzugreifen, ruft Gaal den größeren Aktionsradius und die meist neu gewonnene Freude am Biken ins Gedächtnis. In Kombination mit der für E-Bikes meist ohnehin höheren Investitionssumme würde das „den Sprung vom Hardtail zum Fully bei ein bis zwei Abstrichen in der Ausstattung gar nicht mehr groß“ machen. Wenn sich jemand sicher ist, nur auf Radwegen pendeln zu wollen, dann ist das Hardtail sicherlich die beste Wahl, auch was das geringere Gewicht, den reduzierten Serviceaufwand und einfacheres Setup betrifft. Ist man sich aber noch unsicher, wo man wirklich fahren wird, dann empfiehlt Gaal meist direkt ein Fully – oft, so seine Er- fahrung, trifft man sich früher oder später dann doch im Wald. Beim Fully kommt es schließlich darauf an, welches Gelände man zu durchstreifen sucht. 120 mm Federweg reichen für die Almtour aus, 140 bis 150 mm schlägt sich auf Tour und am Trail wacker, Bikepark und harte Enduro-Strecken verlangen nach nochmals mehr Federweg – hinzu kommen noch Überlegungen hinsichtlich der eigenen Fahrgeschwindigkeit, ob man gerne springt, lieber gemächlich den Trail genießt … Von agil bis tempofest finden sich hier in den jeweiligen Federwegsklassen passende E-Partner. 

Apropos „E“: Auch das Thema Full-Power- oder Minimal Assist sollte man für sich vorab oder noch besser direkt bei einer Probefahrt klären. Ob „e“ oder „E“-Bike, spielt KTMs Thomas Pressl hier bewusst mit der Schreibweise, das ist hier die Frage. Beide Konzepte haben für ihn ihre Berechtigung am Markt, können und sollten aber nicht direkt miteinander verglichen werden. „Der Minimal Assist bietet ein sehr natürliches Fahrgefühl und stellt das Grundgefühl der Leichtigkeit des Radfahrens noch mehr in den Vordergrund. Beim Full-Power- Assist kann der Spaß selbst noch im extremen Uphill-Gelände gesucht und gefunden werden – entsprechendes Fahrkönnen und erlaubtes Terrain vorausgesetzt“, umreißt der erfahrene Produktentwickler die beiden E-Systeme. 

Ganz allgemeine Punkte, die es für Christian Gaal beim Kauf zu berücksichtigen gilt, sind Fahrposition sowie Kontaktpunkte wie Sattel und Griffe. Viele E-Biker kommen von einer langen „Abstinenz“ zurück aufs Bike oder starten überhaupt erst in ihre MTB-Karriere. Hier ist es unheimlich wichtig, das Bike individuell auf sich selbst anzupassen, da man „auf einen Schlag nicht mehr 10 km, sondern plötzlich 30-, 40- oder 50-km-Touren fahren wird. Dazu muss die Geometrie passen, man muss sich am Rad wohlfühlen. 

Motorwahl 
Egal, ob man sich für Minimal Assists (auch Light-E-MTB genannt) oder für Full-Power-Assist entscheidet: Gesetzt ist für Benjamin Brochhagen von Radon der Mittelmotor. Er bietet gegenüber anderen Antriebskonzepten klare Vorteile und hat sich mittlerweile am E-MTB relativ konkurrenzlos durchgesetzt. „Der tiefe Schwerpunkt und das daraus resultierende gute und sichere Fahrverhalten helfen auch dem Einsteiger. Dazu lässt sich der Motor sehr gut ins Rad integrieren. Die Integration des Akkus in den Rahmen hat beim Mittelmotorkonzept schließlich nebst optischen und Design-Aspekten auch technische Gründe“, wie Benjamin Brochhagen weiter erklärt. So lässt sich der Akku gut ins Gesamtkonzept des Rades einfügen und liegt möglichst zentral im Rahmen. Gleichzeitig ist er gut vor äußeren Einflüssen geschützt. 

Stärken der Minimal Assists sieht Thomas Pressl ganz klar in der „Natürlichkeit“ des Fahrverhaltens. „Das Fahrrad ist im Vordergrund, der Antrieb dezent im Hintergrund“, so seine Philosophie. Als Zielgruppe sieht Pressl Biker, welche „schon immer am Mountainbike sitzen und nun ihren Horizont erweitern oder schlicht mit geringerer Anstrengung die Gipfel erklimmen wollen“. Für sportiv Orientierte ein Vorteil des Konzepts ist die hohe geforderte Trittfrequenz, um die volle Leistung der Motoren abzurufen. Für manche mag dies aber vielleicht auch ein Nachteil des Konzepts sein. 

Genau in dieser niedrigen, bequemen Trittfrequenz haben viele Full-Power-Assists ihre Stärken. Entsprechend sieht Pressl die Zielgruppe auch etwas breiter. Der Tourenfahrer, welcher sich mit niedrigster Trittfrequenz den Radweg entlangschieben lässt bis hin zum Hochleistungs-Enduristen, der die Herausforderung in extrem technischen Uphills sucht, findet sich genauso in der Zielgruppe wie schwergewichtige Biker, die ebenfalls am Full-Power-Konzept Freude finden dürften. Wer sich nun schlussendlich in welcher Kategorie wiederfindet, das ist, wie es Christian Gaal ausdrückt, individuell: „Die Masse möchte das Maximum an Ausstattung und Power fürs Geld, wie beim Auto meist auch. Leute, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen, wissen genau, ob sie ein Minimal-Assist- oder ein Full-Power-E-Bike wollen und warum. Und dann gibt es noch die Gruppe: ‚Eigentlich brauche ich kein E-Bike, aber etwas Unterstützung ist schon gut‘: Die greift meist zum Minimal Assist.“ 

Unser klarer Rat für alle Unschlüssigen: Holt euch bei unseren Top 6 E-MTB Minimal Assist und unseren Top 12 E-MTB Full Power Inspiration. Aber vor allem: Klappert die Händler eurer Umgebung ab und geht auf ausgiebige Probefahrt.