Das Corona-Jahr hat uns einen Rad- und Bikeboom beschert, der uns genauso Grenzen wie eine rosige Zukunft aufzeigt. Beim MTB-Kongress in Saalbach wurde eine entscheidende Frage diskutiert: Wer kümmert sich in Österreich eigentlich um das Thema Mountainbike?

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Wer ist der Kümmerer? Diese Frage war im Herbst beim Mountainbike-Kongress in Saalbach eines der zentralen Themen. Neben Digitalisierung, Gesundheitsmotor E-Bike und den Interessenkonflikten in der Natur. Also: Wer kümmert sich in Österreich um das Thema Mountainbike? Warum? Und wie gut? Und warum geht die Entwicklung um ein flächendeckend legales und attraktives Streckenangebot, um Konfliktminimierung und im Grunde um den „Next Level“ des ganzen Prozesses trotzdem nicht so schnell, wie es sich viele wünschen. Wir listen ein paar der aufgezeigten „Kümmerer“ auf:

Der Tourismus
Der Mountainbike-Kongress ist eingebettet in die Bikedestination Saalbach. Hier sind Biker ausdrücklich erwünscht und willkommen, es gibt viele legale Trails, die Bergbahnen transportieren die Radfahrer wenn gewünscht nach oben. So entsteht ein Geschäftsmodell, von dem viele profitieren, und das „Skigebiet“ kann im Sommer viele Nächtigungen generieren (bereits 120.000 Biker-Nächtigungen pro Jahr, etwa ein Sechstel des Sommerbetriebes). „Vor allem, wenn sich große Bergbahnen des Themas annehmen, wird das gut funktionieren“, ist Saalbachs Marketingleiter Wolfgang Quas überzeugt. Also auch Seilbahnunternehmen als Mitspieler? Die Vermutung liegt nahe, siehe auch Graz und Innsbruck. Um das Thema Bike und Rad kümmern sich erfolgreich auch Tourismusregionen im restlichen Salzburg, in Kärnten, im stets hochgelobten Tirol, in der Steiermark bis nach Niederösterreich und ins Burgenland. 

Dazu gibt es aber auch kritische Stimmen: „Das Thema Bike wurde uns umgehängt, weil sich bei uns sonst niemand darum kümmert“, formulierte es eine Touristikerin stellvertretend für andere. „Es ist keine dezidierte Aufgabe des Tourismus, eine Bikeinfrastruktur aufzubauen oder zu erhalten.“ Doch selbst die offizielle Österreich-Werbung setzt auf dieses Thema und lancierte die kontroversiell diskutierte Kampagne „You like it? Bike it!“. Fazit: Der Tourismus ist und bleibt einer der größten Kümmerer.

Die Skigebiete
Für Außenstehende vielleicht kurios, aber die meisten legalen Angebote entstehen rund um Skigebiete. Infrastruktur (Lifte, Baufirmen, Beherbergung, Gastro etc.) und ein pro Sport eingestelltes Umfeld machen Dinge möglich. Siehe wieder Saalbach, Sölden, Schladming, Petzen, Nassfeld, Kitzbühel, bis hin zu den Wexl Trails in St. Corona (NÖ). Auch der Klimawandel bringt immer mehr zum Umdenken. Randnotiz: Die Bikestrecken der Skigebiete sind meistens künstlich gebaute Trails, die (steil) bergab führen und eine kleine, aber größer werdende Gruppe der Trailbiker ansprechen. Wohlgemerkt auch E-Mountainbiker natürlich. Tourenradfahrer („Forststraßenbiker“) werden hier eher nicht bedient.

Die Politik
Auf Bundesebene ist die Politik Teil der Lösungen und der Probleme. Wieder: Wer ist der Kümmerer? Das Sportministerium? Das Gesundheitsministerium? Das Landwirtschafts-, Forst- und Tourismusministerium? Klimaschutz und Umwelt? Unterricht und Bildung? Das Justizministerium als Hüter über das Forstgesetz? Sportminister Werner Kogler schaltete sich am Kongress per Video zu. „Der Vergleich zum Skifahren ist absolut zulässig. Wir haben die Berge und den Klimawandel – da kann das Mountainbiken nur profitieren.“ Initiativen der Bundespolitik sind aber bis dato nicht bekannt.

Auf Landes- und Gemeindeebene wird es schon konkreter. Das Land Kärnten hat mit Ex-Profi Paco Wrolich einen „Kurbler“ für Radprojekte fix angestellt, in Tirol hat die Landesregierung im Forst-Themenmanagement seit vielen Jahren Bikeexperten wie Didi Stöhr und Lars Lotze engagiert. In den großen Kommunen poppt das Thema auch auf, siehe Graz, Salzburg oder Innsbruck, wo sich Vizebürgermeister Johannes Anzengruber gerade des Themas annimmt. „Wir haben in Innsbruck eine große Bike­community“, erzählte Anzengruber am Kongress. Aber es gibt nur drei legale Trails für Tausende Biker, deshalb wird auf 30 bis 40 illegale Trails ausgewichen. „So entsteht ein extremer Druck von allen Seiten.“ Auch in und rund um Salzburg gibt es eine ähnliche Situation. „Der Druck auf den Ballungsraum Salzburg ist enorm“, erzählte Stefan Schnöll, Landesrat für Verkehr, Infrastruktur und Sport. Fazit: Auf regionaler Ebene gibt es Initiativen und Ansprechpartner. 

Die Gesundheitssparte
Schwieriger ist es im Bereich Gesundheit. Dabei sprachen sich auch am Kongress wieder viele Experten für das Rad und das E-Bike als „Gesundheitsmotor“ aus, geeignet für adipöse Jugendliche genauso wie für ältere Menschen. Ein Euro, der bei Jungen in Gesundheitsvorsorge investiert wird, erspart später fünf Euro bei Behandlungen von Krankheitssymptomen. „E-Biken auf Krankenschein“ lautete schon vor zwei Jahren die provokante Forderung am Kongress. Noch ist keiner aufgesprungen..

Ist es die Aufgabe des Tourismus, Bike-Infrastruktur zu schaffen?

Next Level: Wer kümmert sich in Österreich um das Thema MTB?

Der Spitzensport 
Auch der Spitzensport hat es bislang verabsäumt, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Der Radsportverband konzentriert sich auf Leistungskader, Talente, Weltmeisterschaften und traditionell eher aufs Rennrad, da bleibt für das generelle Hobby-Mountainbiken der Gesamtbevölkerung kein Augenmerk. Also Leistungssport versus Breitensport? Müsste nicht sein. Geeignete Vorbilder aus dem Leistungssport wären da. Seit Ex-Profi Gerhard „Zadi“ Zadrobilek, der nächstes Jahr 60 wird, gibt es aber keinen mit entsprechender Bekanntheit und Medienwirkung. Kennt man österreichische Weltcupfahrer und Olympia­starter? Da haben David Trummer, Vali Höll und Co. noch einen langen Weg vor sich. Austria is a too small country ...

Die Bike-Vereine 
In Österreich gibt es viele engagierte Radvereine, die Nachwuchsarbeit machen, Anfängerkurse und Ausfahrten anbieten und Rennen organisieren. Sie sind an den Wurzeln des Sports, aber nicht an den Hebeln der Macht. Große Strukturen lassen sich leider nicht auf Vereinsebene schaffen und enthusiastische Klubfunktionäre zerreiben sich allzu oft in den Hierarchieebenen. Aber: Vereine sind extrem wichtig.

Die Medien
Ja, wäre das Biken öfter in den Medien, klagen viele. Aber wie erreicht man mit Medien die Breite? Und ist es der Breitensport oder der Leistungssport, der für Quote sorgen kann? Man hofft auf Sendezeiten im ORF, dass Red Bull TV die Lust an den Livestreams nicht verliert, auf Social Media und Bike-Influencer genauso wie auf Artikel in Zeitungen, Magazinen wie „Lines“, auf Standard Online („Tretlager“) – und natürlich auf das SPORTaktiv-Magazin. Fazit: grundsätzlich breite Vielfalt ohne gemeinsame Stimme und Stoßrichtung

Kann Breitensport oder Leistungssport für Quote sorgen?

YouTube-Star Wibmer
Apropos Social Media: Wer ist der bekannteste Biker Österreichs? Der reichweitenstärkste ist jedenfalls der Osttiroler Fabio Wibmer. Mit seinen kultigen Videos hat er Hunderte Millionen (!) Klicks auf YouTube, er zieht Millionen Follower an und ist ein echter Star. Ihm folgt die Jugend, sie kaufen sogar seine Sick-Pullover und Caps. Sollte er sich mehr um „das Biken“ in Österreich kümmern? Oder macht er nicht ohnehin das Beste im Sinne des Sports? Ein Fabio Wibmer, der beim Minister hockt oder bei einer Forststraßenfreigabe das Band durchschneidet, ist wohl auch nicht ideal eingesetzt.

Die App-Größen
Dienstleister und Apps wie Komoot, Strava und Outdooractive mischen auch mit, immerhin sorgen sie für die Veröffentlichung und Bewerbung der legalen touristischen Angebote genauso wie für die von Nutzern generierten Inhalte. Kann man sie in die Pflicht nehmen? Schwer, sie verfolgen andere Ziele. Andererseits kümmern sie sich um die Anliegen der Community und waren wie im Falle von Komoot oder Outdooractive auch in Saalbach als Vortragende dabei.

Der Handel, die Hersteller
Um die Produktion neuer Bikes kümmern sich die Hersteller, um den Verkauf der Handel. Und das haben sie im heurigen Jahr so erfolgreich gemacht, dass die Bikebranche gut durch die Krise taucht. Ausverkauft, hieß es sogar oft. Vielfach diskutiert wird, ob auch Handel und Hersteller mehr daran interessiert sein sollten, dass ihre Sportgeräte legal bewegt werden können. „Ich kann mit meinem neuen Mountainbike die Stadt Salzburg eigentlich gar nicht auf legalem Weg verlassen“, merkte ein Kongressteilnehmer an. Nicht am Radweg, weil nicht StVO-konform, nicht im Gelände, weil nicht legal. Die Frage bleibt offen: Lassen sich Österreichs Größen wie KTM, Simplon, Woom oder Shops und Handelsketten für Initiativen und Kampagnen einspannen?

Forststraßen sind Betriebsstätten unter freiem Himmel.

Forst- und Jagdwirtschaft
Österreichweit gibt es viele positive Beispiele, wie Grundeigentümer Straßen und Wege freigeben. „In ganz Österreich stellen wir über 2200 Kilometer Mountainbikestrecken bereit, insbesondere in touristischen Ballungszentren“, heißt es auf der Website der Bundesforste. Aber die Forststraßen mit Bikefahrverbot – das sind die heißesten Konfliktfelder. Im Sinne aller, die im Wald arbeiten, formulierte es Salzburgs Landesjägermeister Max Mayr-Melnhof sehr pointiert: „Forststraßen sind Betriebsstätten unter freiem Himmel.“ Er sei aber selbst Biker und setze sich für ganz gezielte Freigaben ein. Best Practice aus Schottland: Die staatliche schottische Forst- und Landverwaltung betreibt sieben preisgekrönte Mountainbikezentren („7 Stanes“) und schafft sich seit 1994 neben der klassischen Forstarbeit eine Einnahmequelle, die immer ergiebiger sprudelt.

Private Initiativen, neu: „MIA“ 
In Österreich gibt es zahlreiche Initiativen auf privater Basis. Als neueste Bewegung ist die Mountainbike-Initiative Austria seit Herbst in Gründung, kurz „MIA“. „Wir sind eine Arbeitsgemeinschaft aus motivierten Menschen, verteilt in ganz Österreich, die sich der Situation des Mountainbikens in Österreich annehmen und sie verbessern möchten. Als ehrenamtliche Initiative gestartet, wollen wir im Dialog mit allen Lebensraumpartnern etwas bewegen.“ So steht es auf der MIA-Website www.mtb-austria.at. Aus der Bikeszene sind bekannte Namen wie René Sendlhofer-Schag, Alex Pinter, Steffen Arora, Max Hofstätter, Nina Kraxner, Christoph Malin, Hari Maier, Markus Pekoll und Christoph Berger-Schauer unter den Initiatoren. Hunderte Interessenten haben sich online bereits angeschlossen. MIA hat das Potenzial, die gemeinsame Stimme des Bikens in Österreich zu werden. 

Wir und ihr
Wer kümmert sich um das Thema Mountainbiken in Österreich, war die Frage. Und eine Antwort muss auch lauten: Du, ich und alle, die da draußen biken. Jeder von uns trägt zum Erscheinungsbild, zum Image und zur Zukunft des Sports bei. Jede Begegnung im Wald, in der Gondel, auf der Hütte, im Shop und am Parkplatz formt im Gegenüber ein Bild „des Bikers“ und „der Bikerin“. Schwarzes Schaf oder leuchtendes Vorbild. In diesem Sinne: Jeder ist ein Kümmerer.