Die „Tutti Frutti Epic"-Tour sollte jeder Biker einmal in ­seinem Leben gefahren sein! Das findet zumindest Bikelegende Hans Rey – und nimmt den Leser gleich mit auf eine Runde in den „3000 Mountain Park" im italienischen Ferienort Livigno.

Text: Hans Rey / Fotos: Markus Greber


Rasch die Eckpunkte: Die „Tutti Frutti Epic" ist eine neue, permanent ausgeschilderte Tour, die ab heuer jeder in seinem eigenen Tempo abfahren kann. Auf den 45 Kilometern sind nur wenige hundert Meter bergauf in die Pedale zu treten – weil alle Trails per Gondelbahn oder Sessellift erreichbar sind. Ihr müsst für die Tour auch keineswegs Fähigkeiten wie Brian Lopes mitbringen, mein Partner auf dieser Jungfernfahrt. Brian ist eine Bike-Ikone, war Weltmeister und wurde in die „MTB Hall of Fame" aufgenommen – so wie meine Wenigkeit ...

Die Schwierigkeit aller Trails bewegt sich zwischen rot und blau, sprich: mittel oder leicht. Sie sind also für alle Könnensstufen geeignet und perfekt für Cross-Country-, All-Mountain- und Enduro-Bikes.

Rund um Livigno sind in den vergangenen Jahren 25 Kilometer an speziellen Flow Trails enstanden. Dazu kommt das vorhandene Netzwerk an natürlichen Trails, macht zusammen 3.500 Abfahrtshöhenmeter. Livignos Slogan „Feel the Alps" heißt jetzt inoffiziell schon „Feel the Flow". Denkt aber bloß nicht, dass Trails, auf denen sich Familien und Anfänger wohlfühlen, langweilig für Profis sind. Nicht, wenn sie richtig gebaut sind!

FLOW UND CAPPUCCINO
Start und Ziel der Tutti Frutti ist die Talstation der „Livigno Centro"-Gondelbahn. Oben angekommen beginnt der „Roller Coaster", einer meiner Lieblingstrails auf der Epic. Italiens einziger kompletter Flow-Country-Trail bietet auf vier Kilometern feine Anleger, kleine Wellen und eine unglaubliche Aussicht, bevor es mit dem Vetta-Sessellift wieder bergauf geht. Der nächste Abschnitt beinhaltet mit dem „Coast to Coast", dem „S-Way" und dem letzten Teil des „H-Dreams" eine Vielzahl an Trails, bevor du am anderen Ende des Berges bei der Mittelstation der „Carosello 3000" ankommst.

Eine kurze Gondelfahrt und einen Cappuccino später fahren wir den neuesten Trail der Gegend, den „Bikers United" hinab – als Erste überhaupt. Es ist immer ein Vergnügen, hinter Brian herzufahren. Was er am Bike macht, ist einfach unglaublich. Sogar auf einem Einsteiger-Trail schafft er es, neue und interessante Lines zu verbinden und Dinge zu machen, die ich bei keinem anderen Fahrer je gesehen habe. Aus zwei unschuldigen Wellen wird zum Beispiel einfach ein kräftiger Doppelsprung.

DREI SÄULEN EINES TRAILS
Nach einem schnellen Selfie mit schottischen Hochlandrindern, die hier weiden, sind wir zurück in der Gondel – für ein überfälliges Instagram-Update und um unserer Armmuskulatur eine kleine Pause zu gönnen. Die nächste Etappe ist doppelt so lang. Wenn du nicht oft stehenbleibst, bist du in 18 Minuten durch. Sie verbindet den oberen Teil des „Coast to Coast" mit dem „H-Dream" und ist ein roter Trail mit ein paar größeren, aber fahrbaren Sprüngen ohne böse Überraschungen. Drei Säulen sind es, die für mich einen großartigen Trail ausmachen: Nachhaltigkeit, Sicherheit, Berechenbarkeit. Und das gilt für Profi- genauso wie für Einsteiger-Trails.

Am Ende des „H-Dream" folgt ein kurzer Übergang von der Carosello-Mittelstation zur „Blueberry Line", ein weiterer flowiger Trail, der extrem Spaß macht. Der Trail spuckt dich dann direkt bei der Tea-Borch-Hütte, einer der zahlreichen Hütten in der Gegend aus. Wir sind jetzt bei der Hälfte der Tour, grinsen aber schon über das ganze Gesicht. Nächster Stopp ist der Gipfel der Carosello 3000 auf – wie der Name schon sagt – 3.000 Metern. Hier gönnen wir uns ein Mittagessen und lassen uns für einen Moment in die Liegestühle fallen. Die Aussicht ist unglaublich. Direkt im Westen die Schweiz und im Osten erheben sich drei der höchsten Berge Italiens: die Ortlergruppe, die Königsspitze „Gran Zebru" und der Stilfserjoch-Gletscher.

HEIRATSANTRAG IN DER HÜTTE
Nächster Checkpoint auf der Tutti-Frutti-Reise ist „Madonon". Ein guter Biker braucht 25 Minuten für die Strecke. Die sind es wirklich wert – es ist ein Highlight der gesamten Tour. Für mich sowieso, 2008 habe ich meiner Carmen hier einen Heiratsantrag gemacht. Zu meiner Überraschung fand ich dort eine charmante, kleine Hütte, von der aus man das ganze Tal überblickt und bis zu den Gletschern des Bernina-Massivs sieht. Solche Hütten finden sich in der ganzen Gegend um Livigno verstreut. Wenn du Glück hast, so wie ich damals mit Carmen und jetzt auch mit Brian, hat jemand eine Flasche Wein dagelassen. Die nahe Madonna-Statue ist eines der Wahrzeichen dieser Gegend und ganz in der Nähe gibt es auch eine Freiluft-Toilette mit einem unschlagbaren Panoramablick ...

Von hier fahren wir über einen Singletrail zum Lac Salin, einem kleinen See, dann weiter zur Rückseite des Carosello und schließlich einen Naturtrail hinunter ins „Val Federia". eines der schönsten und abgeschiedensten Täler, das du dir vorstellen kannst. Auf halbem Weg bleiben wir auf der Alpe Federia stehen, wo offenbar alle Kühe von Livigno (und eine Senner-Familie) den Sommer verbringen. Weil die Tour fast zu Ende ist, stoßen Brian und ich mit einem Bier an.

Eine halbe Stunde später sind wir zurück in Livigno und Brian besteht darauf, eine Runde im See zu schwimmen. Meine Gedanken sind währenddessen schon bei der „Gelateria Talgliede". Ich weiß nämlich, dass der Besitzer vor Kurzem eine neue Sorte kreiert hat: „Tutti Frutti" heißt sie.

MTB-Pinoier Hans Rey

Die Bikelegende

HANS REY, 50, ist ein Pionier im Trial- und Extrem-Freeride-Mountainbiken. Der gebürtige Deutsche gewann mehrere Weltmeisterschaften sowie eine Silbermedaille bei den ersten XGames 1995.

Seit 2008 ist Rey US-Bürger und lebt in Laguna Beach, Kalifornien.


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