Johannes Maria Schwarz ist Priester und Weitwanderer. Nach dem Fußmarsch nach Jerusalem und retour über 14.000 Kilometer macht er sich jetzt auf Pilgerschaft über die Alpen.

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Mit seinem schwarzen, bodenlangen Priestergewand, seiner stattlichen Figur, dem kahlen Kopf und dem Rauschebart ist Johannes M. Schwarz eine imposante Erscheinung. Kombiniert mit einer sonoren Ö1-Stimme, genauso tiefgehender wie unterhaltsamer Rhetorik und einem Talent für Medienarbeit (Fotos, Videos, Social Media, Youtube-Kanal) ist der 40-jährige Priester aus Oberösterreich gern gesehner Gast bei Vorträgen. Mit seiner Pilgerreise von Liechtenstein nach Jerusalem und retour wurde er auch außerhalb kirchlicher Kreise bekannt. Ab 15. Mai machte sich Pater Schwarz auf die 4100 Kilometer lange Route von Aquileia (ITA) über den gesamten Alpenbogen bis auf die Klosterinsel von Lerins (FRA). Davor fand der Priester noch Zeit für ein Interview mit SPORTaktiv.

Sie beschreiben, dass es Ihnen Freude bereitet, wenn Sie sich auf Wanderungen als Priester zu erkennen geben, weil die Menschen dann offen und neugierig sind. Welche Anekdote davon erzählen Sie am liebsten?
Wenn man bei einer Berghütte als Priester auftaucht, kann das in zwei Richtungen gehen. Die erste ist, dass man mit den üblichen Themen gelöchert wird: Zölibat, Kreuzzüge, Zölibat, Hexenverfolgungen, Zölibat und dann endlich der Zölibat. Tatsächlich scheint die selbst auferlegte „Intim-Verweigerung“ vielen Menschen mehr zu schaffen zu machen als die komplexen Mechanismen der Dreifaltigkeitslehre. 

Und bei religiösen Menschen?
In die andere Richtung geht es, wenn ich auf einen gläubigen Menschen treffe, der mich als Priester in seinen Dienst nimmt. Dazu hat er nämlich ein Recht. Priester ist man nicht während einer 40-Stunden-Woche, als Priester ist man für den Dienst an den Menschen geweiht. Unterwegs meist durch das Segnen, durch das Tragen eines Anliegens im Gebet, durch ein Wort des Rates oder der Ermutigung. Am schönsten ist für mich der priesterliche Dienst unterwegs jedoch in der Feier der heiligen Messe und im Hören der Beichte. Und mit der Beichte hängen auch ein paar meiner ergreifendsten Erfahrungen zusammen. Auf dem Rückweg von Jerusalem durfte ich einem Menschen eine besonders schwierige Beichte abnehmen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, 14.000 Kilometer zu marschieren, nur um diese eine Beichte zu hören, wäre es wert gewesen. Jeder Umweg, jedes Sich-­Verlaufen, jeder verlorene Tag, jeder Gewaltmarsch, der mich in genau jenem Moment diesem Menschen begegnen haben lassen, fanden darin einen Wert.

Auf Ihrer Homepage steht groß „Vita Hominis Peregrinatio“ – das Leben des Menschen ist Pilgerschaft. Warum muss der Mensch immer wieder aufbrechen? Und wohin?
Die lateinische Wurzel für das deutsche Wort Pilger [peregrinus] bedeutet eigentlich „der Fremde“. So schwingt in dem Spruch mit, dass der Mensch hier auf Erden in der Fremde ist. So gesehen muss er gar nicht aufbrechen. Er ist schon unterwegs, noch bevor er seine ersten wackeligen Schritte macht. Wohin? Nun, hoffentlich dorthin, wo seine eigentliche Heimat ist. Diese Heimat, so würde ich sagen, ist bei Gott. Nur dort, bei seinem Schöpfer, ist der Mensch nicht fremd, ist er bis ins Letzte erkannt und geliebt. Das ist eine „fromme“ Antwort, ich weiß, aber schließlich bin ich katholischer Priester.

Wo ist Ihnen der Glaube leichtgefallen. Und wo besonders schwer?
Der Glaube ist mir auf meinem Weg nie sonderlich schwergefallen. Neun Jahre Studium und viele Erfahrungen waren ja hoffentlich nicht umsonst. Aber, dass mein Glaube immer von ruhender, kraftvoller Liebe begleitet gewesen wäre, kann ich nicht behaupten. Ich bin oft mit meinen Schwächen konfrontiert gewesen, mit meiner Ungeduld beispielsweise. Durch Russland mit den schwierigen Bedingungen und einer gewissen Müdigkeit nach den ersten hundert Tagen, stand mir dieser Fehler oft vor Augen. 

Wo war es auf Ihren Reisen schwer, täglich die Messe zu lesen?
Logistisch war es nur im Iran eine Herausforderung. Da musste ich hoffen, dass man mein Gepäck nicht genau durchsucht und mir den Messwein nicht abnimmt. Das Messfeiern war mehr eine Frage der Organisation. Ich war ja nicht auf Kirchen angewiesen, ich hatte meine eigene kleine Sakristei im Rucksack dabei. Und mein Zelt war so ausgewählt, dass ich darin knieend die Messe feiern konnte – eine mobile Kapelle sozusagen.

In Ihren Büchern finden sich viele Details zu Land und Leuten. Woher stammen Ihr großes Wissen und die Neugierde über Geschichte und Geografie der bereisten Länder?
Ein großes Wissen habe ich gar nicht. Aber eine gewisse Neugierde und ein Forscherdrang wurden mir in die Wiege gelegt. So versuche ich unterwegs immer, etwas zu entdecken und zu lernen.

Ihre Wanderungen sind voller Erzählungen über unendlich große Gastfreundschaft. Sind die Menschen zu Reisenden besonders freundlich? 
In einer ukrainischen Stadt kann man so fremd und verlassen sein wie irgendwo. In einem ukrainischen Dorf hingegen werden Tür, Tor und Herz geöffnet. Es kommt also auf die Situation an. Ich als europäischer Exot wurde in Jordanien auch dort herangewunken, wo der syrische Flüchtling vielleicht keine Aufnahme fand. Und in ein ärmliches armenisches Haus wird man eher eingeladen als in eine Schweizer Villa. 

Sie beschreiben auch Begegnungen mit wilden Hunden, aggressiven Autofahrern und Maschinengewehren. Haben Sie nie Angst? 
Natürlich habe ich auch Angst. Angst ist für sich genommen ja nichts Schlechtes. Angst signalisiert, dass die Sinne etwas Bedrohliches wahrnehmen. Ohne Angst hätten wir eine unüberschaubare Anzahl von Bergunfällen. Niemand würde mehr auf sicheren Tritt achten, sich anseilen oder bei Gewitter vom Grat absteigen. Ein Problem wird die Angst nur, wenn sie die Vernunft nicht nur zum Handeln bewegt, sondern entgegen der Vernunft das Handeln regiert.

Machen Sie körperliches Training vor den Wanderungen? Oder vertraut man auf Kraft und Energie „von oben“?
Wer monatelang durch die Landschaft stiefelt, findet unterwegs zu seiner Form. Wichtig ist, dass man langsam beginnt und auf den Körper achtet. Da die Via Alpina Sacra vom Terrain und dem verfügbaren Zeitfenster eine besondere Herausforderung wird, habe ich jetzt versucht, mich wieder an das Rucksackgewicht zu gewöhnen und etwas abzuspecken. In den Wochen vor dem Start möchte ich wenigstens für 8 bis 14 steile Kilometer täglich vor die Tür kommen. 

In Videos und Büchern setzen Sie sich detailliert mit Ihrem Material auseinander. Sind Sie ein Materialfreak?
Grammzähler bin ich eigentlich keiner. Mit meinen priesterlichen Gerätschaften und der Filmausrüstung habe ich allein schon 6 kg Zuladung als „Sonderposten“. Dass ich bei den anderen Gegenständen dann auf das Gewicht achten muss, ist klar. Aber meine Ausrüstung ist nicht das Teuerste und Leichteste, das es gibt. Ich kürze auch nicht den Griff der Zahnbürste oder schneide die Etiketten aus der Kleidung. Mir ist ein gutes Tragesystem wichtiger als ein für mich utopisch minimales Rucksackgewicht. Bin eben Priester und Filmenthusiast. Mein Rucksack-Grundgewicht von 12 kg ist gerade noch tragbar. Zum Glück bin ich  ja ein „stabil gebauter“ Mann ...

Worauf achten Sie beim Material?
Langlebigkeit ist mein Thema. Ein gebraucht gekauftes Leicht-Zelt, das nach 15.000 Kilometern immer noch einwandfrei funktioniert, bekommt die Daumen hoch. Ansonsten bevorzuge ich Ausrüstung, die in Europa oder in kleinen Familienbetrieben hergestellt wurde. Das gilt noch nicht für alle meine Ausrüstungsgegenstände, von denen viele auch schon älter sind, aber ganz allgemein ist das Thema rund um nachvollziehbare Sozial- und Umweltstandards mit dem Boom im Outdoorbereich wichtiger geworden.

Auf der Jerusalemreise waren Sie für Ihren Blog „4kmh.com“ oft online, hatten Smartphone, Solarpanele und für jedes Land eine SIM-Karte dabei. Welche Technik verwenden Sie bei der Via Alpina Sacra?
Solarpanele und SIM-Karten erübrigen sich bei einer Alpentraverse heutzutage. Die Technik, die ich mittrage, ist auf das Produzieren von Videos zugeschnitten. Stativ, drei Objektive, eine Systemkamera, Batterien, Mikrofon machen den Hauptteil aus. Ich hoffe, damit im Anschluss eine interessante Reihe zu erstellen.

Wie und nach welchen Kriterien stellen Sie Routen und Tagesetappen zusammen?
Die Route der Via Alpina Sacra ergibt sich aus dem Versuch, die wichtigsten, schönsten, interessantesten, höchstgelegenen Wallfahrtsorte, Kirchen, Klöster und Pilgerstätten im Alpenbogen durch einen Weg zu verbinden. Ich habe zwar schon 3000 Höhenmeter an einem Tag in Angriff genommen, aber in voller Montur und das über Wochen versuche ich, pro Tag nicht weit über 2200 Höhenmeter im Aufstieg bei gleichzeitig 30 Kilometer in der Horizontalen zu machen. Die Tagesetappen sind nur grob geplant, da Wetter und andere Faktoren unweigerlich zu Änderungen führen. Bei einer 4100 Kilometer langen Strecke muss man flexibel bleiben.

Johannes M. Schwarz
Dr. theol. Johannes M. Schwarz

... Jahrgang 1978, katholischer Priester, Dogmatiker, Buchautor, Medienschaffender. Wuchs in der Nähe von Linz auf, in jungen Jahren Straßenkünstler, Ausbildungsschwerpunkt Schauspiel und Bildende Kunst in Sydney und Linz, studierte am ITI in Gaming Theologie, von 2004 bis 2013 Kaplan in Triesenberg, Liechtenstein. Von 2013 bis 2014 über 15 Monate Pilgerreise zu Fuß nach Jerusalem und wieder zurück. 2014 Berufung zum Vizedirektor am Priesterseminar in Heiligenkreuz. Ab Sommer 2016 dreijährige Freistellung für katechetische Medienarbeit. Von Mai bis Oktober als Pilger auf der Via Alpina Sacra unterwegs. www.4kmh.com