Ob schnelle Feierabendrunde, die Tour am Wochenende mit unbekanntem Ziel oder epische Bikepacking­abenteuer. Gravelbikes mit Adventure-Anspruch machen alles mit.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer


Seit die ersten Granfondos und Querfeldeinräder mit breiteren Reifen und teils etwas höher bauenden Gabeln zum Gravelbike „hochgerüstet“ wurden, hat sich der Markt stark gewandelt. Heute haben sich neben den Eier legenden Wollmilchsäuen (sprich: jenen Gravels, die so gut wie alle Szenarien zwischen einsamer Straße, namensgebendem Schotter und dem großen Abenteuer abseits ausgetretener Pfade mehr oder minder beherrschen) auch echte Spezialisten auf ihrem Gebiet entwickelt. Sehnige Racer beispielsweise, teils mit Aero-Rahmen und voll und ganz auf die wachsende Gemeinde der Gravelracer getrimmt. Auf der anderen Seite aber auch echte Adventure-Bikes, die, bereit für große Abenteuer, mit Robustheit, großer Zuladung und echter Geländetauglichkeit punkten. Mit enormer Reifenfreiheit machen sie Raum für komfortable und griffige Pneus, lassen sich oftmals dank diverser Ösen mit robusten Gepäcklösungen aufrüsten und bieten mit entspannten Geometrien komfortable Sitzpositionen für kurze wie lange Strecken.

Für große Abenteuer
Weshalb die Zunahme an Spezialisten, das Aufkommen von Subkategorien? Waren es anfangs zum großen Teil Rennradfahrer, die sich mit Gravels abseits des Asphalts bewegen wollten, stiegen mit zunehmender Beliebtheit auch vermehrt Mountainbiker aufs Gravel. Entsprechend wuchsen die Anforderungen an die Geländegängigkeit der Räder – eben für ein Mehr an Abenteuer und Entdeckertum, das auch vor Singletracks nicht haltzumachen braucht. Auch für Specia­lizeds Christian Köhr hat sich der Markt in den letzten Jahren aufgespalten. Die „adventure-orientierte Kategorie“, wie er es ausdrückt, eignet sich dabei nicht nur für Profis, sondern auch für den Einstieg in den Sport besonders gut. Im eigenen Produktportfolio ist es beispielsweise das Diverge, das stark in diesen Sektor schlägt. Eine eher aufrechte Sitzposition, die SWAT- Box (ein Staufach) im Unterrohr, diverse Möglichkeiten der Anbringung von Taschen und Trinkflaschen sowie das innovative Future-Shock- System (eine Federung am Lenker) machen das Rad zur idealen Plattform für alle Wege.

Die Sache mit der Federung
Rennbügel (die gebogenen Lenker der Rennräder) und Federung? Damit dominierte zwar ein gewisser John Tomac bereits in den frühen 90er-Jahren die Mountainbike-Szene, wirklich durchgesetzt hatte sich die Sache aber nie. Unerbittliches Kopfsteinpflaster wie jenes in den Pavé-Sektoren bei Paris–Roubaix waren es schließlich, die nach und nach den Ruf nach mehr Dämpfung am Straßenrad laut werden ließen. Einige wilde Konstruktionen folgten, ebneten „gemäßigten“ Dämpfungstechnologien wie Treks IsoSpeed oder Specializeds Future Shock den Weg. Kein Wunder, dass diese Technologien von der Straße schnell auch ihren Weg in die für ruppige Pfade konstruierten Gravels fanden. Je nach Vorhaben beginnen aktuell auch „echte“ Federgabeln und fullsuspension-ähnliche Räder wie Cannondales Topstone Carbon oder Niners MCR 9 RDO Anspruch auf die Krone zu erheben. Cannondale hat mit der Lefty Oliver eine spezifische Federgabel samt federndem KinPin-Hinterbau im Programm. Für Marketing Manager Daniel Häberle ist echter Federweg – solange er straff und nicht zu üppig ausfällt – bei vermehrtem Schotter- und Trail­einsatz immer ein Gewinn.

Und auch für Köhr hat das Thema Federung am Gravel absolut Zukunft. Nicht nur, weil sie dabei unterstützt unwegsameres Gelände zu bewältigen, sondern vielmehr auch aus Gründen der Bequemlichkeit (des Komforts) und der Ermüdung. Egal ob Federsysteme im Gabel-Bereich oder am Sitzrohr, beides, so der Experte, hätte zur Folge, dass Fahrten abseits des Asphalts zu weniger starker Ermüdung im Körper führen. Abseits des Rennsports wo es um Sekunden geht, hat dies zur Folge, dass die Ausfahrt als angenehmer empfunden wird, längere Strecken zurückgelegt werden können. Besonders bei Einsteigern in den Radsport, älteren Menschen oder Personen, die sonst nie Erschütterungen im Oberkörper erfahren haben, ist die Federung ein gern gesehenes Feature. Und macht der Sport mehr Spaß, bleibt man auch länger dran.

Eine Frage der Reifen
Federung, wie auch immer diese aussieht, kann, muss aber nicht ans Adventure-Gravel. Fahrtechnisch versierte Puristen verlangen nach einfachen, wartungsfreien Systemen für ihre Ausflüge ins Gelände. Und dank modern gezeichneter Rahmen mit teils guter Eigendämpfung sowie massig Reifenfreiheit kommt auch dort der Komfort nicht zu kurz. Zwar können volu­minöse Reifen keine Federgabel ersetzten – breite, griffige Reifen wissen sich jedoch auch in anspruchsvollem Gelände zu bewegen und sorgen dank niedrigen möglichen Luftdrucks für überraschend viel Komfort. „Diejenigen, die eher moderat fahren und gerne auch Radwege und Straßen miteinbeziehen, kommen sicher auch mit der Dämpfung der Reifen klar“, fasst Häberle zusammen. 42 mm aufwärts dürfen es dabei schon sein. Der Reifen ist, wie Köhr erklärt, nun mal der einzige Kontaktpunkt des Bikes zum Boden – minderwertige oder zu stark respektive zu gering aufgepumpte Reifen machen sich daher ganz klar auch im Komfort bemerkbar.

Zunehmend bieten Bikes auch die Möglichkeit, neben 42 bis 50 mm breiten 700c-Reifen auch 650b- Laufräder mit teils noch breiteren Pneus zwischen die Achsaufnahmen zu klemmen. Dadurch rücken vereinzelt sogar echte MTB-Reifen in den Fokus – was die Geländefähigkeiten natürlich nochmals deutlich erweitert, dafür aber auch mit Abstrichen auf der Straße und in der Geschwindigkeit bezahlt werden möchte. Ein guter Kompromiss für Erkundungstouren ohne extremsten Geländeanspruch sind wohl 700c-Felgen mit um die 25 mm Innenweite und Reifen um die 45 mm. 45 mm sind auch für Häberle die Gravel-Grenze: „Alles darüber schreit für mich nach einem Hardtail“. Ob Tubeless (unser Tipp für maximale Pannensicherheit und minimalen Rollwiderstand), mit modernem TPU- oder herkömmlichem Butylschlauch, das bleibt Geschmackssache.

Taschen-Trend
Stark, so Häberle, ist auch das Thema Gepäck am Gravel nachgefragt. Wichtig ist, dass das Rad so ausgelegt ist, dass es auch beladen sicher steuerbar bleibt. Ein klassische Rahmenform und zusätzliche Anschraubpunkte an Rahmen und Gabel „helfen“ beim Tragen. Bewährt haben sich am Gravel  (je nach Tourenprofil und Länge) Taschen im Rahmendreieck, da sie den Schwerpunkt neutral halten, dazu Lenkertaschen und gegebenenfalls eine kleine Tasche vorne sowie eine etwas größere Satteltasche. Voll ausgestattet, kann man mit seinem Adventure-Gravel auch mal hinterm Horizont verschwinden.