Bergrettungsmediziner sind ­sowohl ausgebildete Bergretter als auch Not­ärzte. Sie kommen im Skitourenwinter ­naturgemäß in Situationen, in denen ­es ums Überleben geht. Was der Bergrettungsarzt ­Stefan Heschl Skitourengehern zur ­Sicherheit rät. Und welche Rolle ­harte Fakten und Emotionen für die Retter in den Bergen spielen. 

Christof Domenig
Christof Domenig

Als am 25. Dezember 2019 ein steirischer Skitourengeher nach fünf Stunden aus einer Lawine lebend geborgen wurde, war der Begriff „Weihnachtswunder“ aufgelegt. Mit dem Wort „Wunder“ tut sich der oberste steirische Berg­rettungsarzt Stefan Heschl (damals nicht im Einsatz, er freute sich aber mit den Kollegen riesig mit) dennoch etwas schwer. Obwohl die Assoziation für Laien natürlich nachvollziehbar ist. „Es waren günstige Umstände, die Rettungskette hat perfekt funktioniert“, sagt Heschl. Der Verschüttete habe die Möglichkeit zu atmen gehabt. Es gebe sie, die Fälle, wo eine Bergung nach Lawinenunfällen durch verschiedene Umstände erst sehr spät gelinge, und die dennoch gut ausgehen, wo Opfer überraschend lange Zeit überleben. 

Im Schnitt gibt es in Österreich 20 tödliche Lawinenunfälle pro Jahr, und die Zahl der Opfer steigt nicht, obwohl ständig mehr Skitourengeher unterwegs sind – das nur vorausgeschickt, um die Sache gleich in ein korrektes Licht zu rücken. Auf Statistiken, Daten und Fakten stützt sich auch Bergrettungsmediziner Heschl, wenn es darum geht, Verhaltensempfehlungen für Skitourengeher zu deren Sicherheit abzuleiten. „Kommt es zu einem Lawinenunfall, dann gilt es zunächst, eine Ganzverschüttung zu verhindern.“ Denn laut Statistik sterben rund 52 Prozent der Menschen, die von Lawinen zur Gänze verschüttet werden, aber nur rund 4 Prozent der Teilverschütteten. Weil ­Lawinenairbags derzeit die einzige wirkungsvolle Möglichkeit sind, die eine Ganzverschüttung verhindern können, appelliert Heschl, Lawinenrucksäcke zu verwenden.

Und dieses Ausrüstungsteil nicht nur zu tragen, sondern die Rucksäcke auch warten zu lassen und den Umgang damit zu trainieren. „Es zeigt sich in Studien, dass eine gewisse Anzahl an Sportlern, die einen Airbagrucksack tragen, im Ernstfall nicht zum Auslösen kommt. Und dass es dabei wiederum professionelle Anwender wie Bergführer oder Bergretter signifikant häufiger schaffen, ihren Airbag zu betätigen.“ Die Empfehlung lautet daher, mit dem Airbag auch regelmäßig zu üben, Probeauslösungen durchzuführen.

„Die bestimmt zentralste Forschungsarbeit in der Lawinenmedizin ist jene des ‚Lawinenmedizinpapstes‘ Hermann Brugger“, erklärt Stefan Heschl. Die 1994 herausgegebene und seither mehrmals ergänzte Arbeit wertet die durchschnittlichen Überlebenszeiten von ganzverschütteten Lawinenopfern aus. Bruggers „Überlebenskurve“ von Lawinenopfern zeige ein sehr deutliches Bild – das für die Bergretter genauso wie auch für die Kameradenrettung einige wichtige Aufschlüsse bereithalte. 

Grob könne man drei Phasen unterscheiden, erklärt Heschl: In den ersten Minuten sind die Überlebenschancen unter einer Lawine sehr gut. „Die rasche Bergung ist daher das Hauptziel, die kann so rasch nur durch Kameradenrettung gelingen. Bergretter können nie so schnell vor Ort sein.“ ­Heschl appelliert, die Abläufe für einen Notfall zu erlernen und immer wieder zu trainieren. Dazu gehören die Suche mit dem Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS), das Sondieren und das systematische Ausschaufeln. Bei allem ließe sich Zeit sparen oder verlieren. Nach wenigen Minuten zeigt sich in der Kurve ein deutlicher Knick. Phase zwei in der Überlebenskurve nach Brugger ist die Erstickungsphase, sie dauert bis rund 40 Minuten. Wer nach diesen 40 Minuten unter einer Lawinen noch am Leben sei, könne sicher atmen und habe dann unter Umständen auch noch wesentlich länger die Chance zu überleben. So findet auch das Wunder vom vorjährigen Christtag eine rationale Erklärung.

Eine Bergung kann so rasch nur durch Kameraden-Rettung gelingen. 

Stefan Heschl

Und doch Emotionen
Emotionen spielen dennoch eine große Rolle im Leben von Bergrettern und Bergrettungsärzten. „Wir versuchen alle, in Einsätzen sehr professionell zu agieren – was nicht heißt, dass man sich nicht im Nachhinein viele Gedanken macht. Auch für Einsatzkräfte ist die psychische Belastung nicht zu unterschätzen“, erklärt Heschl. Bergretter, die in Österreich übrigens alle ehrenamtlich tätig sind (genauso Bergrettungsärzte), könnten in belastenden Fällen auch Hilfe von Kriseninterventionsteams in Anspruch nehmen.

Heschl ist selbst über einen emotionalen Fall endgültig zur Bergrettung gestoßen: „Ein Mann war zwei Tage lang in den Bergen abgängig, ich war an der Suche beteiligt und die Hoffnung schien nur noch gering. Dann hat man ihn doch noch gefunden und alles ist gut ausgegangen.“ Keine Emotionen gibt es bei der Bergrettung jedoch in einem anderen Sinn, betont Heschl: „Wir verurteilen niemanden, der in eine Lawinensituation geraten ist. Unsere Aufgabe ist es, zu helfen, aus dieser Situation herauszukommen.“ Mit Schlagzeilen, dass leichtsinnige Sportler Bergretter in Gefahr bringen, haben die Retter überhaupt keine Freude.

Dass vor allem eine fehlende Tourenplanung häufig zu Problemen führt, weiß der Bergrettungsarzt auch. „Information ist heute leicht zugänglich, man lädt sich einen GPS-Track herunter und geht dem nach. Diese Einfachheit verleitet manche, sich in Situationen zu begeben, wo ihnen das Risiko vielleicht gar nicht bewusst ist“, erklärt Stefan Heschl. Sein Appell: „Gerade wenn viele Leute neu auf Skitouren gehen, sollte das auch dazu führen, dass man sich adäquat vorbereitet. Lernen bei alpinen Vereinen, bei Bergführern; mit einfachen Touren beginnen und die eigenen Fähigkeiten nicht überschätzen, sich hocharbeiten zu schwierigen Touren; Wenn man diese Grundregeln einhält, dann steht vielen schönen Stunden in der Natur mit größter Wahrscheinlichkeit nichts im Weg.“

Bleibt noch eine (emotionale) Frage: Man las und hörte in den letzten Jahren immer wieder, dass den Menschen die Dankbarkeit abhanden komme, Bergretter sogar beschimpft würden. Dieser Eindruck sei eher den Schlagzeilen und der aufgeregten Social-Media-Gesellschaft geschuldet als der Realtität, meint Stefan Heschl: „Bis auf sehr wenige unrühmliche Ausnahmefälle sind Gerettete sehr dankbar und zeigen das auch. Das ist immer eine schöne Bestätigung für unsere Arbeit.“

Die Einfachheit verleitet manche dazu, sich in Situationen zu begeben, in denen ihnen das Risiko vielleicht gar nicht bewusst ist. 

Stefan Heschl

Safety Basics

Wer im freien Gelände ­eigenverantwortlich ­auf Skitour geht, sollte unbedingt die Sicherheits-­Regeln kennen und beachten. Hier die Basics in Kurzform.

Tourenplanung
Einen GPS-Track runterladen und nachgehen ist keine Tourenplanung. Die Route festlegen und Schlüsselstellen vorab zu checken gehört ebenso dazu wie sich in Sachen Wetter und Lawinensitation auf den neuesten Stand zu bringen – am Vorabend der Tour mit morgendlichem Update. ­Sinnvoll: einen „Plan B“ bereit haben.

Selbsteinschätzung
Entspricht die Wunschtour überhaupt meinen Kenntnissen und Fähigkeiten? Die Naturfreunde haben mit „W3“ („Wer geht wann wohin?“) vor einigen Jahren einen Leitfaden zur Selbsteinschätzung erstellt – unverändert zu empfehlen: w3.naturfreunde.at

Lawinenlagebericht
Gehört auch zur Tourenplanung! Nicht alle Informationen des Lawinenlageberichts sind für Einsteiger schon zu verstehen – die Gefahrenstufe und die Basisinformation sollte aber jeder korrekt deuten können. Mit der Zeit sollte man in der Lage sein, immer tiefer in den Materie des Lageberichts einzutauchen. 

Notfall-Ausrüstung
Ein Muss: LVS-Gerät, Schaufel, Sonde, Mobiltelefon mit eingespeicherter Notfallnummer (140 oder 112), Erste-Hilfe-Paket und Biwaksack. Empfehlenswert: Airbagrucksack. Mit der Ausrüstung muss man sich auch vertraut machen, die Kameradenrettung sollte man so oft wie möglich trainieren.

Wacher Geist
Nicht nur mitgehen, sondern mitdenken ist im freien Gelände gefragt. Immer wieder die Erwartungshaltung mit den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort abgleichen. Auch Einsteiger sollten schon in der Lage sein, jederzeit ihren Standort zu bestimmen. Augen und Ohren ständig offen halten.

In der Gruppe
Nie allein ins freie Gelände ist ein wichtiger Grundsatz. In der Gruppe gilt zugleich: Die Tour wird auf das schwächste Gruppenmitglied abgestimmt.

Sich selbst hinterfragen
Auf Tour gilt es, sich ständig mit anderen auszutauschen – wie beurteilen sie die Sicherheitssituation? Andere Meinungen zulassen und die eigene auch hinterfragen hilft zu einem kritischen Blick. Wenn Zweifel bestehen, wählt man die sichere Seite.

Ein Leben lang dazulernen
Der Besuch eines Skitourenkurses, wie er von Alpinschulen und alpinen Vereinen angeboten wird, ist der ideale Einstieg ins eigenverantwortliche Skitourengehen. Zugleich gilt: ein Leben lang dazulernen! 

Stefan Heschl
DDr. Stefan Heschl

ist Landesarzt der Bergrettung Steiermark.
WEB: www.bergrettung-stmk.at