Eine gute Lawinen-Sicherheitsausrüstung (also: LVS-Gerät, Sonde und Schaufel sowie eventuell Airbagrucksack) anzuschaffen, ist eine Seite – die richtige Bergung, eine ganz andere. Um diese Message zu unterstreichen, haben wir uns eine Ausbildung im Rahmen der Ortovox Safety Academy genauer angeschaut.


Vier Minuten können richtig lang sein. Wenn man sich in Skischuhen und im Sprintmodus im mittelsteilen, verschneiten Gelände auf und ab kämpft, da brennen die Muskeln, da pumpt das Herz wie verrückt Blut durch die Adern, da rinnt der Schweiß auch bei tiefen Minusgraden. Die vier Minuten können aber auch verdammt kurz sein, weil die Stoppuhr des Bergführers unbarmherzig rennt. Zeit abgelaufen, zurück an den Start. Kein Problem, man erholt sich und lässt sich erklären, was schon gut und was nicht optimal war – und startet den nächsten Versuch.

Zum echten Problem wird die Geschichte dann, wenn im Ernstfall ein Freund, ein Verwandter, ein Familienmitglied unterm Schnee liegt und es darauf ankommt, dass jetzt eben kein Fehler passiert, der die Suchmannschaft oder einen einzelnen Suchenden wieder um mehrere Minuten zurückwirft.

Vier Minuten hat jeder Kursteilnehmer in Harald Koidls Lawinenseminaren Zeit, das im Schnee an unbekannter Stelle vergrabene LVS-Gerät mittels Grob- und Feinsuche aufzuspüren. Diese vier Minuten stehen am ersten Tag beim zweitägigen Sicherheitsseminar der Ortovox Safety Academy in Haralds Alpincenter Wildschönau im Mittelpunkt. Obwohl allein mit diesen vier Minuten im Ernstfall noch nicht viel gewonnen wäre. Beim Sondieren und Schaufeln gehen Stress und körperliche Belastung weiter. „Ich will, dass jeder spürt, wie anstrengend eine Notfallbergung ist“, erklärt Harald. Drei Viertel der Zeit bei der Bergung eines Lawinenopfers geht allein fürs Schaufeln drauf, auch wenn mehrere Leute sich gut genug auskennen, um im System gemeinsam graben zu können. „Der leichteste Pulverschnee“, erklärt der Bergführer, „wiegt 90 bis 100 Kilo pro Kubikmeter. Gepresster Schnee 250 bis 300 Kilo. Und drei Kubikmeter sind wegzuschaufeln, um einen Menschen aus einem Meter Tiefe bergen zu können“. Ergibt überschlagsmäßig gerechnet annähernd eine Tonne, die zu bewegen ist ...

PROFIRETTER KOMMEN ZU SPÄT
Wer nicht mehr als vier Minuten Zeit für die Suche mit dem Suchgerät aufwendet, hat eine realistische Chance, ein Lawinenopfer in 15 Minuten zu bergen. Der Zeitraum, in dem ein Verschütteter gute Überlebenschancen hat. Wer noch nie die zahlreichen notwendigen Handgriffe und Schritte trainiert und verinnerlicht hat, hat keine Chance, das zu schaffen. Auf den Profiretter warten? Schlechte Entscheidung: „Selbst unter optimalen Bedingungen schafft es kaum ein Bergrettungstrupp schneller als in 20 bis 25 Minuten zu einer Unglücksstelle“, erklärt Harald Koidl. Allein von daher versteht es sich fast von selbst, dass nur ins Gelände sollte, wer eine entsprechende Ausbildung absolviert hat.

BRUCH DES IDYLLS
So wie viele Tourentage beginnt auch der zweitägige Kurs im Alpincenter Wildschönau beschaulich: bei einem Kaffee. Die acht Kurs teilnehmer lernen einander und ihren Kursleiter kennen. Die meisten bezeichnen sich als Skitouren-Einsteiger, aber auch zur Auffrischung von einmal erworbenem Wissen kommen einige. Aber kaum einer ist in solchen Kursen dabei (oder gibt es zumindest zu), der vorher schon jahrelang ohne Ausbildung im Gelände unterwegs zwar. Obwohl der Alpinschulleiter sich über jeden freuen würde, der – spät, aber doch – zur Vernunft kommt: „Das Bewusstsein dafür ist zwar schon gestiegen, trotzdem ist es noch viel zu klein.“

Winteridyll herrscht nicht nur draußen, sondern auch auf den Bildern, die Harald bald einmal zeigt. Winterlandschaften wie aus dem Bilderbuch, der Start zu herrlichen Tourentagen. Eine zweite Serie Bilder zeigt, was an diesen Tagen passiert ist. Nicht um zu schocken oder schlechte Laune zu verbreiten. „Viele lassen sich von idyllischen Bedingungen einlullen“, weiß der Bergprofi – „wird schon nichts passieren“, heißt das gefährliche Motto. Kaum mehr als eine Stunde dauern das Kennenlernen und die theoretische Einführung. Jeder bekommt nochmals sein eigenes, mitgebrachtes LVS-Gerät erklärt, mit dem geübt werden soll. Nur nebenbei erwähnt: Auch wenn „Ortovox“ über der Veranstaltung steht, spielt die Marke des eigenen Geräts keine Rolle.
Dann geht es gleich hinaus zum Training, bei dem für jeden die Verpflichtung besteht, die Sache mit den „vier Minuten“ hinzubekommen.

Während sich Eintages-Kurse auf das Thema Bergung beschränken, fließen in die zweitägigen Veranstaltungen die ebenso wichtigen Themen Tourenplanung und das Interpretieren von Gefahrensituationen mit ein. Zumindest bekommt man einen Eindruck davon vermittelt. Um am frühen Morgen des zweiten Tages zur Tour aufbrechen zu können, muss sie also geplant werden: Informationen werden gesammelt, Karten studiert: Was ist darauf zu sehen? Wo wird voraussichtlich die steilste und gefährlichste Stelle der Tour sein? Alle Informationen müssen mit dem aktuellen Lawinenlagebericht in Verbindung gebracht werden – noch ein Thema, das die Kursteilnehmer beschäftigt. Zur Planung gehört schließlich auch, eine Alternative bereit zu haben, falls die Situation vor Ort nicht dem Erwarteten entspricht. Am Ende wird noch die Ausrüstung durchgegangen, die jeder tags darauf dabei haben muss.

„HIRN EIN“ AM PARKPLATZ
Tag zwei, der Tourentag. Und schon beim Parkplatz heißt es wieder: „Hirn einschalten.“ Was ist zu sehen außer einer weißen Winterlandschaft unter blauem Himmel? Am Vortag wurde schon einiges angesprochen, was erst draußen in der Landschaft wirklich ein logisches Bild macht: Mit welcher Art von Schnee hat man es zu tun? Wie hat der Wind ihn verfrachtet? Was sagt das alles über die lokale Gefahrenlage aus? Die Gruppe kommt gemeinsam mit dem Bergführer zum Schluss, dass die geplante Tour an diesem Tag machbar ist.

Nach dem LVS-Check marschiert die Gruppe los. Andere Tourengeher haben noch früher an diesem Morgen Spuren im Gelände hinterlassen. Das bringt den Bergführer gleich zu einem Thema, bei dem er emotional wird: „Einfach Spuren nachzurennen, ist der Hauptfehler, den viele machen. Ihr sollt euren eigenen Kopf zum Denken benutzen“, trichtert er den Teilnehmern ein. „Weil sich schon nach wenigen Stunden die Situation temperaturbedingt völlig geändert haben kann; weil man nie weiß, wer die Spur hinterlassen hat; und weil nicht nur Lawinengefahr droht, sondern man irgendwann vielleicht vor einer Felswand ansteht und nicht mehr vor und zurück kann ...“

WIEDERSEHEN IM NÄCHSTEN KURS
Unterwegs wird immer wieder gestoppt: Gefahrenzeichen werden ins Visier genommen, ein Schneeprofil gegraben, erklärt, was Anzeichen einer gut oder schlecht verfestigten Schneedecke sind. Auch für die „magischen 30 Grad“ Hangneigung (unter der bei Lawinenwarnstufe 3 aller Wahrscheinlichkeit nach keine Lawine abgeht) soll jeder rasch ein Gefühl entwickeln. Und natürlich wird das Hauptthema des Seminars, das Suchen nach Verunglückten und deren Bergung, auch noch einmal geübt.

Am Ende des zweitägigen Kurses in der Wildschönau sind alle acht Teilnehmer zwar weit davon entfernt, Experten in Lawinenkunde zu sein. Aber man hat einen guten ersten Eindruck bekommen: „Mehr ist es nicht, was in zwei Tagen unterzubringen ist – aber ich hoffe, alle in einem Fünf-Tage-Kurs wiederzusehen“, gibt Harald allen mit auf den Weg. Man weiß, wie die richtige Bergung mit dem LVS-Gerät funktioniert, auch wenn weiteres regelmäßiges Trainieren ein Muss ist. Vor allem aber ist der Blick geschärft: für die Notwendigkeit, sich im Gelände eben nicht darauf zu verlassen, „dass schon nichts passieren wird“ ...


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