Caja Schöpf war Profi-Freestyle-Skierin, ist Freeriderin, ­arbeitet als Sportpsychologin und geht leidenschaftlich gern auf Skitouren. Was die Contour-Athletin dort in der Natur findet und was alle dort finden können.

Christof Domenig
Christof Domenig


Erst Freestyle-Skifahren, dann Freeriden, Eisklettern – du bist aber auch im Trailrunning und Mountainbiken aktiv. Wo reiht sich in deinem „sportlichen Portfolio“ das Skitourengehen ein?
Es reiht sich da ein, dass ich mich generell gern bewege. Ich bin ein Mensch, der das auch braucht. Das „Sich-etwas-Erarbeiten“. Anreiz ist ganz klar das Naturerlebnis, das Draußensein, sich da zu spüren und auch Fleckerl zu entdecken, wo nicht jeder hinkommt. Mein Strava-Tracking bleibt dann ausgeschaltet. Es ist, glaube ich, eine gute Balance zwischen den Sportarten – hier findest du die Ruhe an einsamen Orten – dort steht das Sich-Verausgaben, die ­Action.

Ist es auch der Kontrast zwischen Aufstieg und Abfahrt, der das Skitourengehen von anderen Sportarten abhebt? Und ist damit vielleicht auch der Reiz, den es mittlerweile für sehr viele bekommen hat, zu erklären?
Ja, vielleicht. Man hat dieses Anstrengende, den hohen Puls bergauf und dann diese belohnende Leichtigkeit bergab. Ich finde das schon einen schönen Kontrast. Bewegung ist wichtig, der Mensch hat zwei Beine, um damit zu gehen. Und es ist eben dieses Leichte bergab – wenn man nicht gerade Steilwände fährt. Was die gestiegene Beliebtheit sicher auch ausmacht: dass in unserer schnelllebigen, lauten, von Reizen überfluteten Welt viele die Ruhe suchen statt den Rummel eines Skigebiets.

Frage an die Sportpsychologin: Warum kommen wir nach einer gelungenen Skitour so glücklich zurück?
Zum einen, das ist ja auch wissenschaftlich bewiesen, ist es die Endorphinausschüttung durch Bewegung, die einfach guttut, den Stress abbaut. Dafür muss es jedoch nicht eine Skitour sein: Es reicht, sich dreimal die Woche eine halbe Stunde zu bewegen. Aber man setzt sich ja auch hohe Ziele. Einen Gipfel zu erreichen, stellt ein Erfolgserlebnis dar. Das Naturerlebnis, die Ruhe und das Runterkommen, oder dass man in einer Hütte fein einkehrt: alles weitere Komponenten, die dem Wohlfühlen dienen. Eventuell war man auch mit Freunden unterwegs, dann hat man noch die soziale Komponente mit dabei. Da hat man ein Rundum-Sorglos-­Paket zur Selbstfürsorge geschnürt. Schlau wäre nun, sich von diesem großen Paket was runterzubrechen und  im Alltag mehr solcher kleiner Erlebnisse zu integrieren.

Auf Skitouren kommt die Sicherheitskomponente hinzu. Noch mal die Psychologin gefragt: Warum fällt es schwer auf einen ­Gipfel oder Hang zu verzichten, selbst wenn man sich vielleicht in der Situation nicht ganz wohlfühlt? 
Ein wichtiger Punkt ist, dass der Mensch sich generell mit dem Neinsagen schwertut. Wir dürfen aber Nein sagen, auch dem Chef, wenn es zu viel wird. Dann das Thema, sich zu scheitern zu erlauben – ich darf auch heute nicht auf dem Gipfel gewesen sein und es war trotzdem ein schöner Ausflug. Beziehungsweise – was heißt hier „scheitern“: Sicherheit geht vor! Dass man im Vorhinein für sich auch klare Regeln setzt: Was bin ich bereit zu riskieren? Und dass man das vorab definiert. Eine ganz wichtige Rolle spielt auch Gruppendynamik: Meistens werden Fehlentscheidungen in Gruppen getroffen.

Also: Wenn mir mein Bauchgefühl schon sagt, es ist aber ganz schön eingeblasen und ausgesetzt, dann wäre es gut, auf das zu hören. Menschen verlernen, auf ihre Körpersignale zu hören. Es wäre auch gut, dann abzuwägen und sich die Konsequenzen – stürz ich ab oder nicht – zu visualisieren und dann erst die Entscheidung zu treffen.
Ein Punkt, der noch ganz spannend ist: Das Glück, wenn gerade nichts passiert, nehme ich in der Regel gar nicht wahr. Wir nehmen das Pech wahr, wenn was passiert. Und deshalb sollte man sich darüber bewusst sein und das Glück nicht herausfordern.

Beim Gedanken: „Jetzt hab ich aber ganz schön Glück gehabt“ bin ich folglich schon zu weit gegangen?
Würde ich sagen. Da sind wir bei noch einem Punkt: bereit sein, die Verantwortung zu übernehmen, wenn du beispielsweise mit deinem Spezl in den Hang reinfährst.

Bei „Verantwortung“ liegt der Begriff „Freiheit“ nahe, der mit Skitouren gern assoziiert wird. Freiheit und Verantwortung gehören aber zusammen, oder?
Voll. Entscheidungen treffen zu können, bedeutet Freiheit zu haben. Aber dann muss ich auch die Verantwortung für meine Entscheidung tragen. Das ist es, was oft ausgeblendet wird.
 

Was wäre dein wichtigster Safety-­Tipp für Neueinsteiger oder alle, die noch nicht so lange dabei sind?
Realistische Selbsteinschätzung – was kann ich, was kann ich noch nicht. Es gibt so viele Bergschulen, die bieten coole Lawinenkurse an. Nehmt euch für schwierige Touren mal einen Bergführer, von dem man superviel lernen kann. Saugt das Wissen auf, informiert euch, steigt klein ein. Ein Ultrarunner läuft auch nicht von heute auf morgen 100 Kilometer. Man muss sich ranarbeiten an die Thematik, ich merke selber immer wieder, wie viel Erfahrung man braucht. 

Skitourengehen hat früher als stark männerlastig gegolten, jetzt entdecken es immer mehr Frauen. Wie findest du das und haben Frauen deiner Erfahrung nach einen etwas anderen Zugang dazu als Männer?
Ich würde mir wünschen, dass wir irgendwann an dem Punkt sind, dass solche Fragen gar nicht mehr gestellt werden. Der Mensch geht gerne Skitouren. Leider waren wir an einem Punkt, wo es lange sehr männerdominiert war, und jetzt bewegen wir uns auf einen Punkt hin, dass die Frage, ob Männer oder Frauen Skitouren gehen, irgendwann wegfällt. Das wäre schön. Der Unterschied? Der Bergführer Michael Larcher baut in seinen grandiosen Vorträgen gern den Ratschlag ein: Wenn man auf Tour zweifelt, die Frau in der Gruppe fragen. Dass das Bauchgefühl mehr zur Geltung kommt, dass vielleicht eher Bereitschaft herrscht, umzudrehen. Auf der anderen Seite sind Frauen auch unglaublich ehrgeizig. Ich glaube, Unterschiede verschwinden langsam. Gott sei Dank.

Was sind „besondere Momente“ für dich auf einer Skitour?
Es muss gar nicht das Gipfelerlebnis sein – aber schon: irgendwo Ausblick haben. Gern oberhalb der Baumgrenze, was man zum Beispiel im ganz hohen Norden Europas sehr schnell hat. Und dann mag ich die Momente – wenn man etwas hört, dann nur seinen Atem. Und wenn man den anhält, hört man gar nichts. Das hat man oft Richtung Spätnachmittag, Richtung Sonnenuntergang, wenn man die Möglichkeit hat. Frühmorgens oder spätnachmittags: Das sind die Momente, wo ganz krasse Stille herrscht. Es ist arschkalt und einsam und trotzdem ist da so eine Geborgenheit. Das ist vielleicht auch das, was den Bergmenschen ausmacht. Der Meermensch denkt sich da wahrscheinlich: „Oh Gott“.

Momente, wo ganz krasse Stille herrscht, arschkalt und einsam und trotzdem ist da so eine Geborgenheit.

Caja Schöpf

Du warst viel in der Ferne auf Skitouren und Freeriden, hast andererseits die bayerischen Berge vor der Haustür und vor zwei Jahren den Film „7 Summits of Bavaria“ mit sieben Gipfeln auf Tourenskiern in sieben Tagen gemacht. Was bedeutet dir die Ferne, was die Berge vor der Haustür?
So viel bin ich gar nicht mehr in der Ferne – aus mehreren Gründen, sicher auch, um weite Flüge zu reduzieren. Das war auch der Grund für „7 Summits of Bavaria“: zu zeigen, dass es auch hier so viele schöne Gipfel gibt, auf denen ich auch noch nicht war. Manchmal hilft es, vor der eigenen Haustür zu schauen, was es hier Schönes und Tolles gibt. Man muss gar nicht immer so weit weg. Ich möchte natürlich meine Reisen nicht missen. Ob es Kaschmir war, Norwegen, oder Georgien, Japan, Kanada ... Ferne Länder zu entdecken, hat mir immer superviel bedeutet. Wenn es nicht einen ganz so großen ökologischen Aspekt mit sich bringen würde, dann würde ich vielleicht nach wie vor so viel reisen. Auf der anderen Seite finde ich es auch manchmal anstrengend und genieße es sehr, zu sehen, was es gar nicht so weit weg gibt. Das Einzige: Norwegen – da bin ich einfach unfassbar gern.

Etwas anderes noch – stimmt es, dass deine Ur-Ur-Oma laut ihrem ­Tagebuch, das in deinem Besitz ist, schon 1903 das Matterhorn bestiegen hat?
Ja, das stimmt. Das ist absoluter Wahnsinn. Sie war damals schon auf allem oben, ob es Dufour war, Matterhorn, Castor. 1903 war sie eben auf dem Matterhorn. Sie hat auch beim DAV Wiesbaden (Sektion des Deutschen Alpenvereins; Anm.) einen Vortrag gehalten über Frauen im Bergsport, dass sie nicht im Reifrock rumspazieren sollten, sondern sich auch am Berg ertüchtigen sollten, um Selbstvertrauen zu gewinnen. 

Was sollte man von dir einmal in ­deinem Tagebuch entdecken?
(Nach längerem Überlegen) Wenn, dann vielleicht wirklich die „7 Summits of Bavaria“ – die bedeuten mir schon viel. Ein supererfolgreicher Film und nur hier. Mit einem guten Freund von mir, dem Bergführer Ludwig Karrasch. Zu erkennen, dass man nicht immer größer, schneller, weiter muss – sondern dass, wenn etwas vor der Haustür liegt, es zum Greifen nah ist und man Freude daran empfindet: Dass das unheimlich wertvoll sein kann. 

Caja Schöpf
Caja Schöpf

Am 26. März 1985 in Ohlstadt (D) geboren, war Profi-Freestyle-Skierin, studierte Psychologie und ist ausgebildete Verhaltenspsychotherapeutin und Sportpsychologin.

Nach Ende der Wettkampfkarriere wirkte sie in etlichen Freeride-Filmen mit. Sie lebt in Garmisch-Partenkirchen, ist Ambassador mehrerer Sportmarken ­(u. a. Contour, adidas TERREX) im Sommer- und Wintersport und betreibt den Sportpsychologie-Podcast „Sport im Kopf“.

Instagram: @cajaschoepf