Ob auf 5000 Meter in Bhutan oder beim legendären Western States Endurance Run: Rosanna Buchauer zählt zu den besten Trail-Läuferinnen der Welt. Woher sie ihre Stärke nimmt: Das bespricht sie in aller Ruhe mit sich selbst …

Axel Rabenstein
Axel Rabenstein

Rosanna, du bist ein Kind der Berge. Kannst du ein paar Erinnerungen mit uns teilen?
Mein Opa war sein Leben lang Bergführer, er hat seine Liebe zu den Bergen an meinen Vater weitergegeben. Wir haben auf der Bergwachthütte übernachtet, auf der Alm gepicknickt, waren im Klettergarten. Wenn wir draußen waren, ging’s meistens nach oben.

Hast du mal überlegt, wie dein Leben am Meer verlaufen wäre?
Zumindest kurz! Nach der Schule war ich sechs Monate in Costa Rica. Es war wunderschön, ich habe das Surfen für mich entdeckt. Gleichzeitig merkte ich, dass ich dort ­leben möchte, wo es Schnee und Berge gibt.

Stimmt es, dass du schon als Schülerin gerne laufen gingst?
Ja, ich habe immer viel Zeit mit mir selbst verbracht. Nach dem Trubel in der Schule hatte ich beim Laufen meine Ruhe. Niemand ist dabei, einfach nur ich – das tut mir gut.

Seit deinem Studium in Innsbruck bist du mehr und mehr in die Berge gelaufen. Auf der Suche nach Abwechslung? Oder noch mehr Einsamkeit?
Innsbruck ist eine sportliche Stadt. Läuft man zehn Kilometer am Inn entlang, ist man nicht alleine. Also bin ich Almen oder Waldwege hochgelaufen. Dahinter steckte immer der Wunsch, mich in aller Ruhe verausgaben zu können.

Was gibt dir das?
Ich brauche Zeit, um zu reflektieren, was um mich herum passiert. Nach meinen Einheiten habe ich mehr Energie, kann besser zuhören, für meine Freunde da sein. Weil ich Zeit für mich hatte, weil ich weiß, wo ich stehe und was ich will.

Du sprichst gerne von deinem inneren Dialog. Wie erlebst du ihn?
Es ist ein Dialog, der immer wieder neu besetzt wird. Meistens sind das drei bis sechs Personen oder innere Stimmen. Manche sind eingeladen, andere auch nicht. 

Wer ist eingeladen und wer nicht?
Ich selbst bin meine beste Freundin, die ist herzlich eingeladen. Ich muss aber auch mit dem ungebetenen Zweifel umgehen. Wenn man seine inneren Stimmen trainiert, wenn man lernt, sie zu orchestrieren und zu bestimmen, wer mit einem spricht, kann man daraus Stärke ziehen. Das hilft mir während meiner langen Rennen sehr.

Nach meinen Einheiten habe ich mehr Energie, kann besser zuhören, für meine Freunde da sein. Weil ich Zeit für mich hatte.

Rosanna Buchauer

Wie trainierst du deine Stimmen?
In einem ersten Schritt habe ich mit meiner Mentaltrainerin identifiziert, welche typischen Rollen und Stimmen auf mich einwirken. Sie waren in Wettkämpfen besonders laut, aber auch in einem intensiven Training.

Wie wirken die negativen Stimmen auf dich ein?
Die Skeptikerin kann sich fragen, was andere über mich denken, ob ich gut genug bin. In einem Bergintervall von acht Minuten denke ich vielleicht nach zwei Minuten, dass ich es nicht schaffen werde. Der Zuspruch wiederum kann sagen, dass ich mir das schon oft gedacht habe und doch immer geschafft habe. Diese positiven Stimmen kann man, wenn sie gut trainiert sind, regelrecht aktivieren und als Energiequelle nutzen.

Trainierst du strukturiert oder noch immer nach Lust und Laune?
Wenn ich vier Stunden Rad fahren gehen soll, kann es sein, dass ich einen Freund mitnehme und unter der angestrebten Herzfrequenz trainiert habe. Dafür hatten wir eine schöne Zeit! Bei den Intervallen versuche ich dafür, den Vorgaben meines Trainers genau zu folgen und alles aus mir rauszuholen.

Was machst du zur Verletzungs­prävention?
Was ich gelernt habe: Die beste Prävention ist Schlaf. Das gibt Sehnen, Bändern und Knochen Stabilität. Hinzu kommen achtsame Ernährung und regelmäßige Physiotherapie. Ein guter Physio merkt sofort, wenn sich etwas verschiebt. So kann man potenziellen Problemen entgegenwirken und reagiert nicht erst, wenn schon etwas wehtut.

 

Du hast zuletzt das Snowman Race in Bhutan gewonnen. 186 Kilometer im Himalaya. Wie waren deine Eindrücke?
Ich stand noch nie so körperlich müde an einer Startlinie. Wir waren fünf Tage vorher in 4000 bis 4800 Meter Höhe, ohne fließendes Wasser oder Toiletten. Während des Rennens haben wir auf bis zu 5000 Meter im Zelt übernachtet. Die ­Herausforderung waren weniger die sechs bis acht Stunden Laufen am Tag, es ging darum, sich so gut zu erholen, dass man am nächsten Morgen wieder gesund und motiviert an den Start gehen konnte.

Auf den Plätzen zwei bis vier landeten Läuferinnen aus Bhutan. Wie konntest du in dieser Höhe die ­Einheimischen hinter dir lassen?
Die lokalen Athletinnen hatten sicher den Vorteil, dass sie an die Höhe gewöhnt waren. Mein Vorteil ist, dass ich schon immer ein starkes soziales Umfeld hatte. Das schenkt mir ein Urvertrauen in mich und meine Welt. So schaffe ich es häufig, im Hier und Jetzt zu sein. Beim Erholen in den Nächten habe ich mich an den kleinen Dingen erfreut, darüber, dass ich ein Wärmepflaster fand oder einfach guten Appetit hatte, um meine Energiespeicher aufzufüllen. Ich denke, dass ich über die fünf Tage im Vergleich zu anderen Athletinnen relativ gut geschlafen und ­gegessen habe.

Welche negativen Stimmen kamen während des Rennens?
Verzweiflung und Angst waren ­präsent. Erstaunlicherweise an den Tagen, an denen es nicht am gefährlichsten war. Das objektiv größte Problem hatte ich, als ich am vierten Tag höhenkrank wurde. Ich stürzte immer wieder, war wie betrunken. Mein innerer Dialog war aber klar und fast schon belustigt. Zuvor, am zweiten Tag, hatte ich subjektiv mehr negative Gefühle. Mein Körper war müde, ich fragte mich, wie ich das schaffen sollte. Was, wenn ich die Nacht nicht schlafen würde? Wenn ich nicht mehr essen könnte? Es ging hin bis zu Tränen, aus Angst, dass ich Hilfe benötigen und nicht gefunden würde. Echtes Kopfdrama …

Wie hast du deine sportliche Belastung gesteuert?
Das war das Spannende. Es ging darum, ans Limit zu gehen, ohne alles zu riskieren. Weil klar war, dass ich es auf eigenen Beinen bis ins nächste Nachtlager schaffen musste.

Es ging darum, ans Limit zu gehen, ohne alles zu riskieren. Weil klar war, dass ich es auf eigenen Beinen bis ins nächste Nachtlager schaffen musste.

Rosanna Buchauer

Mit dem Snowman Race weist Bhutan auf die Folgen des Klimawandels hin. Wie sind die Menschen vor Ort betroffen?
Durch verstärkte Gletscherschmelzen werden Dörfer überschwemmt. Es kommt zu lebensgefährlichen Erdrutschen. Die Industrieländer verursachen die Klimaerwärmung, Länder wie Bhutan leiden darunter und können kaum etwas dagegen tun. Man fühlt sich beschämt und versucht, wenigstens seinen kleinen Beitrag zu leisten, auf den Klimawandel aufmerksam zu machen.

Was kann man als Trailrunner sonst noch tun?
Wir brauchen natürlich große Lösungen. Aber im Trailrunning wird immerhin versucht, die Kalender so zu gestalten, dass die Athleten ein halbes Jahr in Europa und ein halbes in Übersee sind, um die Anzahl der Flüge zu reduzieren. Ich habe ein Ticket für den Western States Endurance Run in Kalifornien erhalten. Ich werde das Rennen mit einem Trainingscamp und Besuchen verbinden, so spare ich Flüge.

Bist du inzwischen von der Lust auf Erfolg angetrieben? Oder noch immer von der reinen Freude am Laufen? 
Es ist weniger der Ehrgeiz, der mich antreibt, als vielmehr der Sinn, den mir das Laufen gibt. Deshalb suche ich mir auch gerne neue Herausforderungen. Beim Western States im Juni will ich ohne Blick auf eine Platzierung meine ersten 100 Meilen ins Ziel bringen – und mich einfach dabei erleben, wie ich an meine Grenzen gehe. 

Stark am Limit: Top-Ultratrailrunnerin ­Rosanna Buchauer über ihre Kraftquellen
Rosanna Buchauer 

(* 3. Mai 1990 in Inzell, Bayern) meldete sich 2016 spontan zum Großglockner Ultratrail (GGUT) an und lief direkt aufs Podium. Seitdem wurde sie zweimal WM-Fünfte im Long-Trail und holte bei der WM 2023 Team-Silber. 2024 wurde sie Dritte beim Ultra Trail du Mont Blanc (UTMB) über 101 K (CCC), gewann den Lavaredo Ultra Trail und das Snowman Race in Bhutan. Rosanna ist ledig und lebt in Innsbruck (Tirol).

WEB: www.rosannabuchauer.com