Ja, ihr habt richtig gelesen. Sennahoj heißt schlicht Johannes und steht als Synonym für die Rückwärtslaufleidenschaft von Johannes Gosch. Wie der Grazer zu seiner Liebe gekommen ist und warum jeder Läufer vom Retourgang profitieren kann. 

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Denn Bewegung ist Dünger für unser Gehirn. Diese Geschichte beginnt mit dem letzten und nicht mit dem ersten Satz. Der Mann, mit dem wir eine Laufrunde drehen wollen, ist schließlich passionierter Rückwärtsläufer, daneben Sportwissenschafter, Sportpsychologe und vor allem Läufer aus Leidenschaft. Irgendwann während des Studiums hatte Johannes Gosch „eine kreative Phase“. Er wollte beim Laufen einmal etwas anders machen. „Das hat angefangen mit einem Lauf vom Ziel zum Start“, erinnert sich der heute 56-jährige Grazer. Weitergegangen ist es dann mit kurzen Rückwärtsläufen, die immer länger wurden, bis er sich eines Tages dazu entschieden hat, den Silvesterlauf mit dem Rücken voraus in Angriff zu nehmen. „Ich hab das erst alles als Projekt für mein Studium gesehen.“ Aus dem einfach immer mehr und mehr geworden ist. Mit dem Welschmarathon im Rückwärtsgang als Höhepunkt.

Die 42,195 Kilometer rückwärts durchs steirische Weinland sind mit ordentlich Höhenmetern ausgestattet und alles andere als ein einfacher Marathon. Aber wie bitte schafft man so eine Distanz, ohne sich komplett Hals und Nacken durch ständiges Umdrehen zu ruinieren? „Ich hatte zwei Begleitläufer, die mir immer gesagt haben, was kommt.“ Dabei hat er in seiner Hochphase auch mit der Sicht viel experimentiert. „Sogar mit Rückspiegel hab ich es probiert, aber das war Blödsinn.“ Auch spezielle Brillen mit Spiegeln hat er bald wieder verworfen. Bei langen Läufen empfehlen sich Begleiter, bei kürzeren das Umdrehen. „Man tastet sich an die längeren Distanzen ja langsam heran. Und man lernt bewusst zu schauen und das Bild abzuspeichern, damit man nicht ständig schauen muss“, erzählt Gosch.

Ausgleich zur Monotonie
Da sind wir schon mittendrin bei den positiven Effekten des „Retrorunnings“, wie die Sportart offiziell heißt. „Die perihpere Wahrnehmung verbessert sich“, sagt Gosch. Dazu bekommst du ein besseres Gefühl für deinen Körper, weil du aufmerksamer und achtsamer sein musst. „Durch den Rückwärtsschritt wird auch die Hüfte offener.“ Etwas, das der Schrittlänge beim Vorwärtslaufen ebenfalls sehr gut bekommt. Es werden andere Muskelgruppen beansprucht – ein optimaler Ausgleich zur Monotonie. Auch die Haltung verbessert sich. Und das hat nicht nur einen körperlichen Effekt. „Durch die Rückwärtsbewegung lehnst du dich automatisch mit dem Oberkörper ein wenig nach hinten“, sagt Gosch. „Dadurch ist der Oberkörper aufrechter, du läufst mit breiterer Brust und nicht nach vorne zusammengeklappt.“ Das wiederum sorgt dafür, dass man sich besser fühlt. „Probier einmal, die Schultern nach vorne zu geben und den Kopf hängen zu lassen und sag dir, dass du dich super fühlst.“ Funktioniert nicht, wie Gosch aus seinen Seminaren weiß. Wenn wir uns gut fühlen, stark und selbstbewusst, gehen wir aufrecht und haben die sprichwörtlich breite Brust. Durch die Wechselwirkung können wir also mit der richtigen Haltung auch den Geist beeinflussen.
Auch wenn er heute seine Rückwärts-Primetime hinter sich hat, empfiehlt Gosch es immer noch als Trainings-Alternative. „Auf langen Läufen immer wieder ein paar Meter eingestreut ist das optimal.“ Mit mehr Übung darf es dann schon auch einmal ein Kilometer sein. Wie beim Gift gilt auch hier: Die Dosis macht’s. Übertreiben bringt also gar nichts. „Das hab ich zwischendurch aber getan“, gibt Gosch zu. Bei der WM 2010 in Kapfenberg wollte er es allen zeigen. Der Sieg über 100 Meter sollte her. „Just im Finale ist mir dann aber kurz vor dem Ziel die Achillessehne gerissen.“ 
 

Sporterziehertag 2017

In meiner besten Zeit hab ich rückwärts unterschrieben.

Johannes Gosch

In dieser Zeit hat er sich voll „seiner“ Sportart verschrieben. Er hat den österreichischen Verband gegründet, ist die 100 Meter in 17 Sekunden (!) gelaufen. Wem das langsam vorkommt, der möge das einmal vorwärts probieren. Ja, sogar unterschrieben hat er rückwärts. Also Sennahoj und nicht Johannes. „Das hat auf der Post das eine oder andere Mal für Probleme gesorgt. Da musste ich dann immer meinen Ausweis herzeigen, wenn ich ein Paket abgeholt hab, weil als Adressat ja Johannes und nicht Sennahoj gestanden ist“, sagt er und lacht. 

Nacktlauf bei Vollmond
Wer den Rückwärtsläufer und Sportpsychologen kennenlernt, sieht einen Mann, der in sich ruht, aber über den Tellerrand hinausblickt. Der Neues wagt – aber nicht in Harakiri-Aktionen. Bei Gosch entsteht erst immer ein Plan im Kopf und dann ein Projekt. Als Bub vom Land in der Südweststeiermark hat er mit 12, 13 Jahren gemerkt: Wenn ich trainiere, bin ich besser als die anderen. So hat seine sprichwörtliche Laufbahn begonnen. In einem Sport, der damals nicht so en vogue war wie heute. Nach dem Präsenzdienst war er lange als Exekutivbeamter tätig, hat dann währenddessen wieder den Horizont erweitert und mit dem Studium begonnen. Die halblustigen Kommentare, warum er nicht rückwärts zur Arbeit kommt und, dass er alles nur der Inszenierung wegen macht, hat er weggesteckt und ist seinen Weg gegangen. Immer mit einem Schuss kreativen Andersseins. „Einmal bin ich bei Vollmond nackt rückwärts auf den Plabutsch, einen Berg im Grazer Umland, gelaufen.“

Heute hat er eine sportwissenschaftliche und sportpsychologische Beratungsstelle, betreut das Nationalteam der Sportschützen mental und hat mit Erich Frischenschlager, einem Hochschulprofessor für Bewegungswissenschaften und Sportpädagogik, einen Ratgeber geschrieben, wie man seine Lebensqualität steigert. Auch Übungskärtchen für den Alltag haben die beiden entwickelt. „Darum geht es mir: gesund bleiben bis ins Alter.“ Darum hat er seine extremen sportlichen Projekte zurückgeschraubt, läuft heute nur noch „weil es mir guttut“. Er hält auch ein Plädoyer für Bewegung, als Mittel zur Steigerung der Lernfähigkeit. „Wenn wir komplexe Sportarten ausüben, erhöhen wir die Anzahl der neuronalen Verschaltungen“, sagt Gosch. Und das geht in jedem Alter, nicht nur in der Schulzeit.  Oder mit einfachen Übungen abseits des Sportplatzes oder der Turnhalle. In Seminaren lässt er Leute gerne gemeinsam bis 100 zählen. „Bei ungeraden Zahlen müssen sie die linke Hand heben, bei Geraden die rechte, bei Zahlen, die durch drei teilbar sind müssen sie klatschen, bei Zahlen, die durch fünf teilbar sind hüpfen.“ 
Den Zusammenhang zwischen Körper und Geist zu fördern – das ist so etwas wie die Mission, die Sennahoj Gosch antreibt. Ob vorwärts oder rückwärts. „Denn Bewegung ist Dünger für unser Gehirn.“

Ab und zu rückwärts zu laufen verbessert den Laufstil.

Johannes Gosch
Johannes Gosch
Johannes Gosch

ist Sportwissenschafter mit den Schwerpunkten Sportpsychologie und Bewegtes Lernen. www.active-life.at