Mit dem Rüstzeug, um abseits der Wanderwege sicher am Berg unterwegs zu sein, kommt niemand auf die Welt. Das Wissen und Können hierfür zu vermitteln, ist das Metier von Alpinschulen und -vereinen. Aber wie läuft eine Alpinausbildung tatsächlich ab? Monika Neiheisser hat für SPORTaktiv einen Kurs mitgemacht – und viel gelernt.

Von Monika Neiheisser


Meine Bergpartnerin hängt in einer Gletscherspalte und ich muss sie bergen. Dazu habe ich soeben das Mannschaftsseil mit dem Eispickel im Schnee gesichert. Beim Anlegen der Reepschnur am gespannten Seil mittels Prusikschlingen hilft mir Bergführer Engelbert. Ich atme tief ein und ziehe sie mit aller Kraft Hub um Hub im Flaschenzugprinzip aus der Spalte.

Erstaunlich einfach und kraftsparend ist das. Ganz so entspannt wird die Bergung im Ernstfall nicht vonstattengehen, denn den üben wir im Moment bloß – bei idealen Bedingungen in traumhafter Bergkulisse. Damit der Notfall hoffentlich gar nie eintritt, lernen wir auch, den Gletscher zu lesen und die Tour gut vorzubereiten. Doch es muss nicht immer eine Hochtour sein: Auch beim Wandern, Klettersteiggehen und Klettern im Gebirge lauern viele Gefahren.

ÜBERFORDERTE SPORTLER
Laut Statistik ereignen sich die meisten Unfälle beim Wandern. Wobei die Zahl der Verunfallten seit Jahren konstant bleibt, trotz ungebrochenen Wanderbooms. Verdreifacht hat sich hingegen die Zahl der Hilferufe ohne Verletzte, bedingt durch Überforderung, Verlaufen oder Versteigen. Als „heißer Kandidat" ist da der Klettersteig zu nennen: Hier haben sich die Einsätze verzehnfacht, die durch sogenannte „Blockierungen" entstehen, wenn der Klettersteiggeher weder vor noch zurück kann. Und fast immer ist das Überschätzen der eigenen Fähigkeiten die Ursache. Viele dieser Notfälle müssten aber gar nicht sein. In den unterschiedlichsten alpinen Ausbildungskursen kann jeder das nötige Know-how erlernen, das er für seine Unternehmungen am Berg braucht. Und vor allem lernt man von kompetenten Bergführern, sich selbst, seine Fähigkeiten und seine Grenzen realistisch einzuschätzen.

Ich selbst möchte mich für den Bergsommer fit machen, indem ich schon Gelerntes auffrische und Neues hinzulerne – auch, wenn ich in meinem Leben schon auf einige Berge gestiegen bin. Ich entscheide mich für das alpine Ausbildungsprogramm der ASI (Alpinschule Innsbruck). „Klettersteiggehen, Klettern und Hochtouren" stehen auf dem Programm. Der Unterricht beginnt mit Beamer und Laptop im Seminarraum eines Hotels im Kletter-Eldorado Arco am Gardasee. „Klettersteiggehen" steht auf dem Stundenplan. Bergführer Florian Kluckner erklärt die Schwierigkeitsgrade A bis E, ruft mir die Zwei-Karabiner-Sicherung, den Partnercheck, den Sicherheitsabstand und einiges mehr in Erinnerung. Ah ja, die kraftsparende Klettermethode mit ausgestreckten Armen.

REIN IN DIE SCHLUCHT
Der Praxistest lässt nicht lange auf sich warten. Wir hängen uns im Klettersteig Rio Sallagoni ein, einem mittelschweren Schluchtensteig, der sich über den gleichnamigen Fluss entlang schlängelt. Bereits der Einstieg hat's in sich. An der senkrechten Klammwand suche ich mit meinen Füßen auf rutschig feuchten Metallbügeln Halt, während sich meine Hände ans Stahlseil klammern – mit angewinkelten Armen. Ich erinnere mich ans vorhin Gehörte, versuche, mich bewusst zu entspannen und hänge mich mit gestreckten Armen ans Sicherungsseil. Wow, echte Entlastung für die Bizepse.

Auch Neulinge in Sachen Klettersteig sind in der Gruppe mit dabei – und bald werden ernsthafte Zweifel bei der anspruchsvollen Einstiegspassage spürbar. Doch Florian gibt allen Tipps und Vertrauen. So hangeln wir uns weiter, um von einem Steigbügel zum anderen zu gelangen – immer auf die vorschriftsmäßige Sicherung des Klettersteigsets am Sicherungsseil mit zwei Karabinern achtend, während unter uns der Rio Sallagoni zu Tal rauscht.

Nach einer halben Stunde wird ein Notausstieg auf der linken Seite sichtbar, doch Florian verspricht: „Das schwierigste Stück liegt bereits hinter uns". Also klettern alle weiter, hinein in die immer enger werdende, surreale, feucht-nebelige Schlucht. Eine wackelige Herausforderung ist noch die Dreiseil-Brücke, die sich am Ende über den Bach spannt. Ohne Schwindelfreiheit geht jetzt gar nichts mehr. Unter Florians Anleitung sichern wir uns an den Führungsseilen und balancieren in luftigen Höhen zum gegenüberliegenden Ufer. Geschafft! Stolz leuchtet aus den Augen, als wir den Hüftgurt abstreifen und das letzte Stück zum Castel Drena aufsteigen, um die Aussicht über das Sarcatal zu genießen.

HALBAUTOMAT UND PENDELSTURZAn der Felswand: Outdoor-Redakteurin Monika Neiheisser erprobte, wie auch Freizeitsportler von einer Alpinausbildung profitieren. / Bild: Monika Neiheisser
Den Klettergurt legen wir erst wieder an, nachdem wir gelernt haben, was ein „Halbautomat" und ein „Pendelsturz" ist, wie sich der Schnappkarabiner vom Save-Lock-Karabiner unterscheidet oder dass die „Ambosswolke" Gewitter bringt. Alles notwendige theoretische Grundlagen im Kletterkurs. Schauplatz ist ein Klettergarten in Arco, doch bevor es richtig losgeht, „quält" uns Florian noch unvermeidbar mit Knotentechnik: Sitzt der Achter? Sind die „Micky Maus-Ohren" zum Halbmastknoten in die richtige Richtung verdreht? Beim Thema Sicherung ist besondere Aufmerksamkeit gefordert, denn dabei passieren die meisten Fehler, die zu Kletterunfällen führen.

Erst dann tauschen wir die Zustiegschuhe gegen enge Kletterpatschen. Florian klettert elegant am mittelsteilen Felsen empor, um das Kletterseil 22 Meter höher an einer Umlenkung am Berg einzuhängen, wie es beim Toprope-Klettern üblich ist. Zurück am Fuß des Berges, übergibt er mir das Seilende, das ich über den frisch gelernten Achterknoten mit dem Klettergurt verbinde. Kletternovizin Eileen soll mich sichern – mein eben noch entspannter Zustand schmilzt dahin: „Was, wenn ich abrutsche und die Sicherung schiefgeht?" Doch Bergführer Florian wacht mit Argusaugen über das Geschehen. Mit dem ersten Tritt am Fels sind meine Zweifel verflogen und ich suche Felsvorsprünge für meine Hände, kleine Trittstellen, um die Füße zu platzieren. Ich verlagere mein Gewicht mal nach links, nach rechts, um den Körperschwerpunkt immer über dem Bein zu halten – so, wie wir es gezeigt bekommen haben.

Ein Spiel, das fordernd ist und doch Spaß macht. Oben angekommen, zieht mich die berühmte Felswand des Colodri, die viele alpine Kletterrouten bietet, in ihren Bann. Das wäre doch noch ein Ziel! Doch jetzt muss ich erst einmal wieder absteigen. Im 90-Grad-Winkel stoße ich mich breitbeinig vom Felsen ab und lasse mich langsam am Seil zu Boden gleiten. Unten angekommen, glänzen nicht nur meine Augen euphorisch. Auch Eileen ist stolz, mich ohne aktives Zutun von Florian gesichert zu haben. Wir sind ein gutes Team!

KÖNIGSDISZIPLIN HOCHTOUREN
Wie wichtig Teamarbeit am Berg ist, erleben wir dann in der Ausbildung zum Hochtourengehen (Teil 3 meines Kurses) nochmals in einer anderen Dimension. Ein Ortswechsel ist dafür nötig, nach Arco ist nun der Stubaier Gletscher die Kulisse. Nun gilt es zum Beispiel, zu fünft im Gleichschritt als Seilschaft den Berg zu erklimmen. Eine echte Herausforderung, im eigenen Rhythmus stabil zu bleiben und trotzdem die Temposchwankungen innerhalb der Gruppe aufzufangen. Denn nur bei optimal gespanntem Seil ist die Sicherheit trotz Spaltensturzgefahr gegeben. Auch bei der Bergung eines Gestürzten ist das reibungslose Zusammenspiel der Seilschaft gefragt. Jeder kommt an die Reihe, um die notwendigen Handgriffe nicht nur theoretisch zu lernen, sondern auch selbst durchzuführen.

Gegen Ende des Kurses, nach den Tagen des gegenseitigen Vertrauens, gemeinsamen Lachens und Lernens werden plötzlich Pläne für erste „echte" Unternehmungen am Berg geschmiedet. Die Besteigung des „Zuckerhütls", mit 3.505 Meter der markanteste Gipfel der Stubaier Alpen, reizt. Denn sich mit gutem Gewissen solchen Herausforderungen stellen zu können, diesem Ziel sind wir in diesen Tagen einen wichtigen Schritt näher gerückt ...

Lernen vom Bergprofi
Jeder Outdoor-Begeisterte, der einfache Wanderwege verlassen und in alpines Gelände vordringen möchte, sollte sich zunächst in die Hände eines Bergführers begeben. Auch wenn man länger keine Tour mehr gemacht hat, kann und soll man in Kursen sein Wissen auffrischen und dazulernen.
Die Alpinschule Innsbruck (ASI), bei der Redakteurin Monika Neiheisser die Ausbildung „Klettersteiggehen, Klettern und Hochtouren" absolviert hat, hat dazu viele nützliche Kurse und Ausbildungsangebote. Aber auch alle anderen Alpinvereine und -schulen (siehe auch S. 40) sind natürlich kompetente Ansprechpartner, wenn es darum geht, sein Wissen und Können im Bergsport weiterzuentwickeln.

KONTAKT: www.asi.at



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