Mit diesen Tipps geht es im Frühling mit Tourenbike oder All Mountain noch komfortabler in und über die Berge.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Setzen wir einmal voraus, dass die Rahmengröße eures Touren- oder All Mountain-Bikes zu den Körperproportionen und zu den individuellen Ansprüchen an Verspieltheit respektive Laufruhe passt, der Sattel in seiner Höhe gut eingestellt wurde, Reifenwahl und Luftdruck dem Einsatzgebiet entsprechen und das Fahrwerk passend abgestimmt wurde. Was jetzt den Fahrspaß und -komfort noch trüben kann? Wer hier ins Detail geht und kleine wie größere Wehwechen beseitigen möchte, der sollte sich auch sein Cockpit, seinen Sattel, seine Übersetzung, eventuell den sogenannten Q-Faktor und möglicherweise auch das Pedalsystem in einem tiefgreifendem, professionellen Bikefitting näher ansehen. Und auch den eigenen Körper, dessen individuelle Problemzonen, muskuläre Schwächen und etwaige Verletzungsvorgeschichten gilt es zu kennen und bei Bedarf geführt durch professionelle Hände – sprich physiotherapeutische Behandlung – zu optimieren.

Fürs Sitzfleisch
Uli Plaumann, lange selbst als Bikefitterin tättig und heute bei SQlab im Bereich Forschung und Entwicklung tätig, identifiziert bei All Mountain- und Tourenbikern ein „Einschlafen der Hände sowie Unannehmlichkeiten im Sitzbereich, insbesondere aufgrund eines unbequemen Sattels“ als häufiges Problem. Die für Touren- und All Mountain-Bikes typische, moderate und eher aufrechte Sitzposition erhöht die Belastung auf die Sitzknochen, erst recht, wenn dann auch noch ein Rucksack mit auf Tour geht. Zwar, so Uli Plaumanns Erfahrung, schont die aufrechtere Sitzposition die Wirbelsäule, die Sitzknochen werden aber zusätzlich belastet. Die erhöhte Muskelspannung führt zu Taubheitsgefühlen und Verspannungen sowie dazu, dass sensible Gefäßstrukturen komprimiert werden. Entsprechend ist gerade auch bei vermeintlich „entspannten“ Geometrien und Sitzpositionen eine individuell abgestimmte Sattelbreite, bestimmt durch eine Sitzknochenvermessung, ratsam, um das Körper- und Rucksackgewicht optimal zu verteilen und sensible Strukturen zu entlasten.

Rund ums Cockpit
Ebenfalls einen Blick wert ist das Cockpit. Dass hier einmal ein Vorbau in der Länge nicht passt und entsprechend getauscht wird, um die Position am Rad zu optimieren, ist noch eher gängig. Der geschulte Blick eines Bikefitters kann hier rasch zu einem besseren Fit führen. Interessant zu beobachten ist aber auch, dass, wie Walter Berchtold, bei Thalinger Lange für den Vertrieb von bikefitting.com zuständig, bemerkt, „die Lenkerbreite in den letzten Jahren immer größer geworden ist“. Ein breiter Lenker, so der Experte, bietet im rauen Gelände einfach mehr Kontrolle. Allerdings, gibt Uli Plaumann hier zu bedenken, können zu breite Lenker auch die Brustmuskulatur belasten, Nacken- und Schulterverspannungen verursachen und den Druck auf die Hände erhöhen. 

Lenker mit mehr Rise (der Höhenunterschied zwischen Klemmbereich und Griffbereich am Lenker) helfen dabei, die Sitzposition zu entspannen – mehr dazu etwas weiter unten im Text. Gerade bei breiten Lenkern, welche den Fahrer eher nach vorne über den Lenker zwingen, hilft oft auch der Backsweep (die „Biegung“ des Lenkers in Richtung des Fahrers) dabei, eine angenehme Hand-Unterarm-Position zu erreichen, die Gelenksbelastung zu reduzieren und die Griffsicherheit zu verbessern – so der Tenor beider Experten. Durch leichtes Vor- und Rückrotieren des Lenkers im Vorbau lässt sich die Geometrie an individuelle Vorlieben adaptieren. 

Wie breit ein Lenker tatsächlich sein sollte, dazu gibt es nicht wirklich eine Faustregel. Bemerkt man, dass man dazu neigt, den Lenker weiter innen zu greifen, macht es vermutlich Sinn, diesen schrittweise an den dazu vorgesehenen Markierungen zu kürzen (oder kürzen zu lassen). „Leider haben viele Hersteller über alle Rahmengrößen hinweg einheitliche Lenkerbreiten“, so Walter Berchtold. Unsere Empfehlung: breiten Lenkern eine Chance geben, verschiedene Breiten ausprobieren und gegebenenfalls stückweise reduzieren. „Etwas breiter als schulterbreit, um eine neutrale Position zu ermöglichen“, empfiehlt Specializeds XC-Produktmanager Brian Gordon als gute, komfortable Ausgangsposition. „720 bis 760 mm“ ist der Bereich, in dem Uli Plaumann Touren- und All Mountain-Biker durchschnittlicher Statur sieht. Die genaue Breite bleibt aber individuell.

Ebenfalls Einfluss auf Ergonomie und Fahrfunktion hat die Höhe des Cockpits, erklärt Uli Plaumann: „Ein höheres Cockpit entspannt die Sitzposition, während ein tieferes die Traktion über den Druck auf das Vorderrad erhöht.“ Spacer (die runden Platzhalter, welche am Schaft der Gabel über dem Steuersatz verbaut sind) unter oder über dem Vorbau sind der einfachste Weg, um hier Anpassungen vorzunehmen. Mehr Spacer unter dem Vorbau (die Schaftlänge limitiert hier den Verstellbereich) können Verspannungen und Taubheitsgefühle lindern, weniger Spacer unter dem Vorbau begünstigen die Wendigkeit des Bikes und die Traktion am Vorderrad und ermöglichen eine bessere Kletterposition. Zu beachten gilt hier: Variiert man die Höhe des Cockpits mittels Spacer, verändert man nicht nur die Höhe, sondern auch den Reach, da die Spacer den Vorbau im Winkel der Gabel und nicht rein vertikal verschieben. Möchte man rein die  Höhe beeinflussen, ohne dabei Einfluss auf die Distanz zwischen Lenker und Tretlager zu nehmen, sind Lenker mit mehr oder weniger Rise das Mittel der Wahl. 

Bei Schmerzen hilft oft auch ein physiotherapeutischer Check – nicht immer ist das Bike schuld an Problemen. Gezielte Übungen wirken Wunder.

Spin it, baby
Vor allem Probleme im Bereich der Kniegelenke können ihren Ursprung auch in der Übersetzung des Bikes haben. Zwar hat jeder Fahrer seine individuelle Trittfrequenz, welche er als angenehm wahrnimmt, wie auch Walter Berchtold betont. Fakt ist allerdings, dass sich in höheren Trittfrequenzen die Belastung auf die Muskulatur reduziert, weil der Wechsel zwischen Belastung und Erholung schneller passiert. „Fährt man am Berg mit einem schweren Gang, wird man eher den Muskel spüren, als wenn man die gleiche Geschwindigkeit mit einem leichteren Gang, aber einer höheren Trittfrequenz fährt“, veranschaulicht Berchtold den Zusammenhang zwischen Übersetzung, Trittfrequenz und muskulärer Beanspruchung. Bei (zu) niedrigen Trittfrequenzen kann die muskuläre Belastung Knieprobleme begünstigen, hat man damit bereits eine Vorgeschichte, empfiehlt sich eine höhere Trittfrequenz. „Die Kettenblattgröße, oder noch besser die generelle Übersetzung, sollte so gewählt werden, dass ich auch auf Steigungen immer noch eine Trittfrequenz zwischen 70 und 90 U/min halten kann. Höhere Trittfrequenzen müssen aber auch trainiert werden“, gibt Berchtold mit auf den Weg. Sowohl Kassetten als auch Kettenblätter lassen sich verhältnismäßig einfach tauschen.

Zusätzlich zur Übersetzung wirkt sich im Bereich des Antriebs auch der sogenannte Q-Faktor, welcher die Breite der Kurbel respektive den Abstand der Pedale voneinander beschreibt, auf die Kraftübertragung aus. Der Q-Faktor beeinflusst die Achse von Fuß, Unterschenkel, Oberschenkel und Hüfte. Umso geradliniger die Kraftübertragung aus der Hüfte nach unten geht, desto effizienter fällt laut Berchtold auch der Tritt aus. Während es im MTB-­Bereich hier eher um minimales Feintuning geht, kann der Q-Faktor bei manchem E-MTB deutlich breiter ausfallen. SQlab bietet Pedale an, welche hier durch unterschiedliche Achslängen Anpassungen erlauben, um die Fußstellung zu stabilisieren und die natürliche Beinachse zu unterstützen. 
Studien zufolge könne ein zu breiter Q-Faktor zwar die Leistung beeinträchtigen, gesundheitliche Probleme seien hier aber nicht nachgewiesen, relativiert Uli Plaumann. Schmerzen im Knie oder ungewollter Kontakt mit Kurbel oder Kettenstreben in der Tretbewegung resultierten eher aus zu schmalen Pedalauflageflächen, was die Stabilität des Fußes beeinträchtigt. Hier sollte man gegebenenfalls unterschiedliche Modelle ausprobieren.

Baustelle Körper
Nicht immer sind die Ursachen für Probleme im Sattel einzig und allein am Fahrrad zu suchen. Specializeds Brian Gordon, selbst erfolgreich im Rennzirkus unterwegs, weiß um die vielen Probleme von Fuß über Knie bis zu Hüfte, unterem Rücken, Schulter und Nacken Bescheid. Treten die Probleme einzig am Bike auf, kann ein guter Bikefitter hier eventuell Abhilfe schaffen. Bleiben die Wehwechen aber auch abseits des Bikens bestehen, rät er, einen Physiotherapeuten aufzusuchen. ­Lokale muskuläre Schwächen oder Dysbalancen können hier genauso problematisch werden wie alte Verletzungen, welche durch die Belastung am Rad plötzlich wieder zum Vorschein kommen. Ein paar Einheiten beim Physiotherapeuten eures Vertrauens und vor allem Konsequenz im Durchführen der Übungen kann hier Wunder bewirken.