Drei Temperaturzonen innerhalb von sieben Stunden. Das bringt der Herbst im Allgemeinen und der Granfondo Stelvio Santini in Bormio im Speziellen. Eine Bekleidungsgeschichte in gemäßigtem Renntempo.
Bormio, Nord-Italien, 6.20 Uhr. Es ist stockfinster und die Wetterapp sagt 11 Grad. Das ist für die Seehöhe von 1225 Metern mitten in den Alpen und Mitte September überraschend warm. Wenn man aber zum Start des großen Stelvio-Rennradmarathons rollt und viele Stunden und Höhenmeter vor sich hat, fragt man sich, wie warm und wie kalt es noch wird. Immerhin wartet der Zielbogen erst hoch oben auf 2757 Metern Seehöhe am legendären Passo Stelvio.
Beim Racebriefing am Vorabend gibt es Tipps der Organisatoren. „Alles mitnehmen, was ihr im Koffer habt“, lautet ein Ratschlag, „oben am Stelvio weiß man nie, wie das Wetter umschlägt.“ Der italienische Bekleidungsspezialist Santini ist Hauptsponsor des Events und hat eine kleine Gruppe von Journalisten zum „Granfondo“ eingeladen. Glücklicherweise gibt es eine Erleichterung: Die Veranstalter ermöglichen allen Radfahrern den Gepäcktransport von Wechselgewand hinauf zum Passo, grazie mille.
Davor stehen wir am Start mitten in Bormio und frösteln mit 2500 anderen Teilnehmern dem Startschuss entgegen. Weil die Vormittagstemperaturen dann rasch gegen 14,15 Grad steigen werden, entscheiden wir uns für möglichst flexible Rennradmode. Das heißt: Baselayer, kurzes Santini-Renntrikot (bei der Veranstaltung verpflichtend zu tragen), an den Unterarmen sogenannte Ärmlinge, darüber noch eine dünnes, ärmelloses Windgilet, Kurzfingerhandschuhe, unten die kurze Radhose. Einige Mitstreiter haben auch Beinlinge an, auch keine blöde Idee. Der Start gelingt und es geht zunächst eine Stunde lang mit 50 km/h das Valtellina-Tal hinab. Temperatur? Passt, alles richtig gemacht. Gut, ein wärmendes Radkäppi unter dem Helm wäre nützlich gewesen, auch wegen des stile italiano.
Freundlicher Applaus von Kirchgängern, Passanten und Urlaubern. Radfahren hat echt Kultur hier.
Der Wendepunkt der Strecke ist das wunderschöne Teglio. Bis auf knapp 400 Meter Seehöhe sind wir schon herunten, es ist angenehm warm und jetzt wartet die erste Bergwertung nach Teglio hinauf. Die Straße durch die Weinberge ist steil und tendiert mit ihren Werten (bis 18 Prozent) vom Wein eher Richtung Grappa. Streckenkenner ziehen sich hier um und als der Schweiß von der Stirn in die Brille rinnt, merke ich warum. Auf meinem Sigma kann ich nicht nur die 18 Grad Steigung ablesen, sondern auch die fast sommerlichen 20 Grad. Also weg mit der Windweste, weg mit den Ärmlingen, alles hinten hinein in die drei Rückentaschen des Kurzarmtrikots. Dort verstaut sind auch Mini-Pumpe, Ersatzschlauch, Mini-Tool, Handy, zwei Gels und die Santini-Stoffmaske, die beim Start zu tragen war. Immer wieder lotsen uns Polizeimotorräder mit Blaulicht durch die Dörfer, das fühlt sich herrlich profimäßig an. Freundlicher Applaus von Kirchgängern, Passanten und Urlaubern. Radfahren hat echt Kultur hier.
Achtung, Winter!
Italiener und generell Süd-Europäer verstehen unter Wintertemperaturen etwas anderes als Österreicher im Zentralalpenraum. Für Santini und Co. sind 4 bis 8 Grad plus frostig, da fährt der Ötztaler noch mit kurzer Hose. Bitterkalt wird es durch den Windchillfaktor tatsächlich bei Minusgraden. Bis etwa minus fünf, zehn Grad kann man noch ganz gut Rad fahren, dann aber eher windgeschütztes Mountainbiken. Spezialthema MTB: Achtung, Schwitzgefahr! Ähnlich wie beim Skitourengehen kommt man bergauf mit erstaunlich wenig aus. Oben Jacke aus dem Rucksack und fertig.
Einstellung:
Genauso wichtig wie gute Radbekleidung ist die richtige Einstellung. Freude am Radfahren bringt Wärme in den Körper. Wer mit der Einstellung loskurbelt, dass es eh viel zu kalt ist, der friert garantiert schneller.
Es geht mittlerweile retour Richtung Bormio hinauf. Jetzt kommt der Höhenmeterhammer, denn die folgenden 60 Kilometer gehen bergauf und haben mehr als 2000 hm. Sicherheitshalber wurde die Medium-Strecke gewählt (137 km, 3053 hm), so lassen wir den berüchtigten Mortirolo der Langdistanz (151 km, 4058 hm) links bzw. rechts liegen. Die Temperaturen fallen, der 20er am Thermometer verabschiedet sich genauso schnell wie der 30er im Temposchnitt. Spätestens ab Bormio wird es langsam hochalpin, die Temperaturen sinken auf 18, 16, 14 Grad, es bleibt aber sonnig, die Ersten ziehen dennoch die Ärmlinge wieder hoch. Im für den Verkehr gesperrten Serpentinenkarussell Richtung Passo Umbrail wird es weder fad noch kalt, erst beim Anblick von „König Stelvio“ (deutsch: Stilfserjoch) fröstelt es. Erstens, weil die Gebäude des atemberaubenden Passübergangs in den Vinschgau noch so atemraubend weit entfernt sind, und zweitens, weil auftauchende Wolken in der hochalpinen Ortler-Umgebung für mystische Stimmung und sogar ein paar Tropfen aus dem Nebel sorgen. Am Sigma lese ich nur noch 8 Grad, als ich durch den Zielbogen auf 2757 Metern rolle, und jetzt brauche ich dringend warmes Gewand. Ein Heer von Freiwilligen koordiniert den Kleidungsservice und ich ziehe mich für die 20 km lange Abfahrt nach Bormio hinunter an. Santini-Käppi unter den Helm (das gab es als „Finisher“-Edition am Zielstrich), verschwitztes Trikot gegen trockenes Langarmtrikot tauschen, darüber eine wind- und wasserdichte Winterjacke, Beinlinge, winddichte Langfinger-Handschuhe. Sollte reichen. Eine Woche später hat es am selben Ort -2 Grad und leichten Schneefall. Für den Giro d’Italia haben sie Jahre zuvor schon mal den Schneepflug vorausschicken müssen. Mein Mittelweg im Herbststyle erweist sich als guter Kompromiss, manche fahren sommerlich zurück ins Tal, andere wie Polarforscher. Bormio empfängt mich wieder mit 20 Grad. Auf zur Pasta-Party.
Bekleidungs-ABC von Kopf bis Fuß
Kopf: Für Herbst/Winter empfehlen sich weniger gut belüftete, eher geschlossene Helme. Darunter: Helmkappe, Buff oder dünne Winterhaube mit Ohrenschutz. Bei großer Kälte auch Hals und Mund schützen. Brille als Wind- und Kälteschutz!
Funktionsunterwäsche: Wärmende Schicht (wie Skiunterwäsche), darüber Fleece, Merino oder Polartec-Stoffe, die Feuchtigkeit nach außen transportieren.
Wärme- und Iso-Schicht: Langarmtrikots mit Windschutzlösungen. Wenn es im Herbst noch wechselhaft ist: Ärmlinge. Sonst leicht gefütterte Wintertrikots. Windwesten als Ergänzung in Trikottasche oder Rucksack.
Jacken: Je nach Temperatur dünne oder dicken Winterjacken. Winddicht, wasserabweisend (Wasserdicht heißt meistens Schweißbad). Entscheidend ist, dass sie lang geschnitten sind (auch die Ärmel) und bis über den Hintern reichen. Zwiebelprinzip!
Handschuhe: Aufpassen auf den empfohlenen Temperaturbereich, weil Finger sehr kälteempfindlich, fürs Lenken, Bremsen und Schalten aber essenziell sind. Guter Grip auf der Innenhand und an den Fingerspitzen wichtig (Silikonprints).
Hosen: Wenn es noch herbstelt, machen Beinlinge einen guten Job. Unter 10 Grad braucht es die lange Winterradhose, mit winddichten Softshell-Einsätzen bei Knie und Hüfte. Am Rennrad oder Gravelbike möglichst eng geschnitten, Mountainbiker können auf weite und robuste Winterpants zurückgreifen. Kombination aus langer Hose und (Winter-)Baggyshort darüber möglich.
Socken: Möglichst dick, möglichst lang. Unser Tipp: Skisocken.
Schuhe: Dünne Überzieher oder dicke Neopren-Überschuhe sind flexibel einsetzbar. Gegen null Grad braucht es echte, gefütterte Winterschuhe.
Santini
Santini hat sich mit Funktionskleidung (u. a. Weltmeistertrikots der UCI) und als Hauptsponsor des Granfondo Stelvio einen Namen gemacht. Das Familienunternehmen aus Bergamo wird von Monica und Paola Santini geführt, den Töchtern von Firmengründer Pietro Santini. Auf „Made in Italia“ ist man stolz, auf die Leidenschaft für Radsport auch. „Wir machen das für die Menschen“, sagt Monica Santini. Marketing Manager Matteo Tolio und Designer Fergus Niland unterstreichen die hohe Qualität der Produkte, die durch die Kooperation mit Polartec auf dem neuesten Stand in Sachen High-Performance, Wetterschutz und Atmungsaktivität sind.
www.santinicycling.com