Hier schreiben die Athleten: Siebenkämpferin Verena Preiner über ihr grandioses Jahr 2019, ihre Gedanken zur Vorbereitung auf die abgesagten Olympischen Spiele und ihr Verhältnis zu ihrer Konkurrentin Ivona Dadic.

Ich habe in meinem Leben ja schon viele Siebenkämpfe absolviert, aber so gut geschlafen wie zwischen dem ersten und zweiten Tag bei der WM in Doha habe ich noch nie. Oft hat man noch eine Menge Adrenalin im Körper, ist unruhig und macht sich Gedanken darüber, wo man in den ersten vier Disziplinen noch mehr hätte rausholen können. In dieser Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 2019 war ich innerlich aber total ruhig. Ich hatte einen guten Wettkampftag hinter mir, lag auf Rang sechs – und hatte trotzdem nicht das Gefühl, noch ein ernstes Wörtchen um die Medaillen mitreden zu können. Also habe ich geschlafen wie ein Stein. Im Nachhinein auch für mich ein kurioser Gedanke. Am Ende wurde ich tatsächlich Dritte, was wohl daran lag, dass ich den Amerikanerinnen Erica Bougard und Kandell Williams gleich beim Weitsprung – ziemlich überraschend – ein paar entscheidende Punkte abnehmen konnte. Beim Speerwurf hatte ich dann zwar einen weichen Arm und auch ziemlich weiche Knie, beim abschließenden 800-Meter-Lauf wusste ich aber, dass ich mir Bronze nicht mehr nehmen lassen würde. Auch wenn einem kurz der Gedanke kommt, dass man jetzt bloß keinen Blödsinn machen darf, auf die Linie treten und disqualifiziert werden zum Beispiel. Es ist für den Kopf schon ein Vorteil, wenn die eigene Lieblingsdisziplin beim Mehrkampf ganz zum Schluss kommt. Auch wenn die 800 Meter immer wehtun – zu wissen, dass man dort zu den Besten gehört, gibt einem eine gewisse Sicherheit, ein gutes Gefühl.

Die Medaille in Doha war der Höhepunkt eines Jahres, das wahrlich keines war wie jedes andere. Im Schnelldurchlauf: Vor der Hallen-EM ein Band im Knöchel gerissen, vor dem Meeting in Götzis umgeknickt und absagen müssen. Und trotzdem wusste ich, dass ich gut drauf bin, die Form passt. In Teneriffa, wo wir ganz spontan und kurzfristig anstelle von Götzis gemeldet haben, habe ich auf Anhieb das Olympialimit geschafft, was eine Menge Druck rausgenommen hat. Das war wichtig für das Meeting Ende Juni in Ratingen, als mir viele Dinge aufgingen und ich mit 6591 Punkten einen österreichischen Rekord aufgestellt habe. Ungeplant, diese Marke hatte ich vorher nicht auf der Rechnung. Doch seit diesem Tag wusste ich: Ich bin eine von denen, die bei der WM um eine Medaille kämpfen können. Eine der sechs, sieben Kandidatinnen für Bronze, da die ersten beiden Plätze an Katarina Johnson-Thompson und Nafissatou Thiam ja mehr oder weniger schon vergeben waren. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in Österreich auch deswegen so gute Mehrkämpferinnen haben, weil wir gegenseitig von der internen Konkurrenz profitieren. Mit Ivona Dadic verbindet mich eine rein sportliche Rivalität, privat verstehen wir uns sehr gut. Wer hofft, bei uns einen Zickenkrieg auszumachen, liegt definitiv falsch. Wir haben uns auf Trainingslagern oder Wettkämpfen schon öfter ein Zimmer geteilt, und als mein Trainer Wolfgang Adler Ivi noch im Weitsprung trainiert hat, haben wir einander öfter Tipps gegeben, wie wir uns verbessern können. Und ganz ehrlich: Wenn Ivi so etwas passiert wie in Doha, wo sie sich beim ersten Wettkampf verletzt und aufgeben muss, leidet man auch als Gegnerin mit. Auch wenn während eines Siebenkampfes kaum Zeit bleibt, sich über andere Dinge Gedanken zu machen als über die nächste Disziplin, die es zu absolvieren gilt.

Es gehört schon viel dazu, einen perfekten Wettkampf abzuliefern, nicht zuletzt der Faktor Glück.

Verena Preiner

Ich habe Ivona für Olympia in Tokio jedenfalls auf dem Zettel als eine der Athletinnen, die um die Medaillen kämpfen werden. Ich selbst will mir gar nicht zu viel Druck machen, es sind meine ersten Spiele, die Karten werden wieder neu gemischt. Aber natürlich macht es auch etwas mit einem, wenn man so ein Jahr erlebt wie ich 2019. Das Selbstbewusstsein steigt, ich weiß aus Erfahrung, dass ich auch bei Großereignissen ein Ausrufezeichen setzen kann. Verstecken werde ich mich jedenfalls nicht. Aber es gehört schon viel dazu, einen perfekten Wettkampf abzuliefern, nicht zuletzt der Faktor Glück. Wenn du beim Weitsprung Gegenwind hast und dir dann die entscheidenden Zentimeter fehlen, ist das einfach Pech und nicht zu ändern. Mein Plan für 2020 wäre gewesen, schon zehn Tage vor meinem Wettkampf nach Japan zu reisen, um mich zu akklimatisieren, mir das Stadion genau anzuschauen und mich an alles zu gewöhnen. Andere Sportler wollten viel kurzfristiger anreisen, um sich nicht groß umstellen zu müssen. Wie mir das bekommen würde, wollte ich eigentlich bei der Hallen-WM in China im März ausprobieren, doch die wurde bereits wegen des Coronavirus abgesagt. Die Vorfreude auf die Stadt und die Spiele war jedenfalls riesig. Auf dieses spezielle Flair im olympischen Dorf bin ich schon richtig gespannt, das wird sicher eine großartige Erfahrung – wenn auch erst ein Jahr später als geplant.

Nun habe ich mehr als ein Jahr Zeit, mich voll auf den Formaufbau Richtung Olympia zu konzentrieren. Bis jetzt ist es mir dank des ausgeklügelten Trainings von Wolfi Adler, mit dem ich seit mittlerweile neun Jahren zusammenarbeite, jedes Jahr gelungen, meine persönliche Bestleistung nach oben zu schrauben. Natürlich ist das auch für 2020 beziehungsweise 2021 das Ziel. Das Geheimnis dahinter ist simpel: viel und harte kontinuierliche Arbeit gepaart mit ständigem Feilen an der Technik. Weil das aber jede Athletin auf Weltklasse­niveau macht, versuchen wir auch, so gut es geht an Schrauben wie Ernährung und Psychologie zu drehen. Es gibt ja kaum eine Sportart, bei der das Zusammenspiel aus An- und Entspannung so komplex ist wie bei einem Mehrkampf. Du kannst nicht permanent auf 100 Prozent sein, ohne zu ermüden, musst aber sieben Mal voll da sein, wenn es darauf ankommt. Gut, wenn man dann wenigstens in der Nacht dazwischen einen gesegneten Schlaf hat.

Du kannst nicht permanent auf 100 Prozent sein, ohne zu ermüden, musst aber sieben Mal voll da sein.

Verena Preiner

Hinweis 
Dieser Text ist vor dem umfassenden ­Ausbruch der Corona-Krise und somit vor der Entscheidung um die Olympia-Absage entstanden.