Was Mut mit einem Bügeleisen zu tun hat und wie man sich im Job abseilen kann. Das fand der SPORTaktiv-Kletternovize beim Alpinklettern am Roten Turm in den Lienzer Dolomiten heraus. Achtung, Spoiler: Drei Bergführer braucht es gegen einen flauen Magen im vierten Grad.

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Früher hätt’s des nit geben“, sagt Heli und zieht an der kleinen, gewuzelten Zigarette, „dass man sich einen Bergführer nimmt und losklettert.“ Damit will uns der Osttiroler Bergführer mit dem für hier typischen Charme wohl nur sagen: Bischt a Kletterer oder bischt koana. Doch die Zeiten haben sich geändert und Helmut Mühlmann, wie der 58-Jährige mit vollem Namen heißt, hat so einen Nicht-Kletterer an der Leine und darf ihn auf den Berg bugsieren. Der Berg ist der Rote Turm, ein Klassiker in den Lienzer Dolomiten, und der Nicht-Kletterer ist der SPORTaktiv-Redakteur mit null Kraxelerfahrung.

Das Naturbedürfnis, unsere Sehnsucht nach Bergen, der Outdoorboom in der Ausprägung Klettern und der Trend, sich einen Experten als Coach und Anführer zu schnappen, hat auch für diese Branche den Vorteil, dass Bergführer mittlerweile ein echtes Berufsbild geworden ist. Mit gar nicht so schlechter Buchungslage. Also sieht Heli das ganz entspannt, dass er einen echten Anfänger an der Angel hat und ihn gerade Richtung Roter Turm anleint.

Davor macht uns noch die „Hausherrin“ fit für den Berg. Lokalmatadorin Lisi Steurer ist eine der besten Kletterinnen Österreichs, selbst seit 2003 Bergführerin (Alpinschule Bergstatt Lienz) und Ausbildnerin. Sie macht mit uns Trittschulung und lässt uns auf 2200 Metern Seehöhe um die Karlsbader Hütte marschieren. „Damit starte ich immer bei Kletterkursen, denn viele der neuen Kletterer-Generation kommen aus der Halle und sind am Fels ausgezeichnet unterwegs – aber beim Zustieg und Abstieg im alpinen Gelände tun sie sich schwer.“ Ihre Tipps sind schnell umgesetzt: lose Stellen mit Schotter, Steinen, Geröll meiden und am festen Fels auftreten. Locker über Sprunggelenk, Kniegelenk, Hüftgelenk bewegen. Das schafft unsere kleine Journalistengruppe problemlos.

Damit Lisi die kleine Heidi betreuen kann (siehe Interview unten), übernehmen drei Bergführer das Kommando. Eingangs erwähnter Helmut „Heli“ Mühlmann, Matthias Wurzer und der Südtiroler Felix Tschurtschenthaler, alle im Status zwischen Local Heroes und Legenden. Das schafft Vertrauen und die Schulung für Standbau, Seil- und Klettergurt-Management am Übungsfelsen hinter der Hütte mit den Burschen hat echt Unterhaltungswert. Obwohl ich als Laie mit Vokabeln wie Expressschlinge und Twist-Lock-Karabiner und mit Knoten wie Mastwurf, Sackstich und Prusik heillos überfordert bin.  
 

Meine Anfänger­fehler:

  1. Zu große Schritte und Bewegungen. Besser: kleine Schritte machen, im Fluss der Bewegungen und im Rhythmus bleiben. „Tänzeln.“
  2. Zu viel mit den Armen ziehen. Besser: Aus den Beinen heraus nach oben arbeiten bzw. beim Abstieg nach unten („Kniebeuge“).
  3. Den Schuh falsch aufsetzen. Besser: „Spitz steigen“, d. h. den Schuh nur mit den Fußspitzen aufsetzen, Ferse nach unten drücken.
  4. Zu viel und zu weit in Ritzen steigen, das blockiert und schränkt die Bewegung ein. Besser: „außen“ am Fels steigen, die Beine in Engstellen „ausspreizen“.
  5. Zu weit nach oben schauen. Besser: in kurzen Abschnitten denken, z. b. die nächsten 30 Zentimeter, bis zum nächsten Griff.
  6. Mit dem Oberkörper zu nah am Felsen. Besser: ab und zu wegdrücken und aufrichten.
  7. Zu wenig Vertrauen in Griffe, Sohle, Seile, Knoten und Karabiner. Besser: Üben, üben, üben. Kurse, Kurse, Kurse. 

Dann geht’s endlich in den richtigen Fels. Dort, wo unser SPORTaktiv-Kolumnist Herbert Ranggetiner – auch so eine Legende – am Roten Turm die schwierigsten Routen bis in den 9. Grad erstbegangen hat, nehmen wir uns die beliebte Anfängerroute „Bügeleisen“ vor. „Ein 2er bis 3er“, sagen die Bergführer. Dass sie sich für so was (Schwierigkeitsgrade siehe Infobox) im Normalfall gar nicht anseilen, verschweigen sie galant. „Solche Routen gehen Osttiroler zum Supermarkt“, scherzt mein bayrischer Kollege.

Aus dem Tourenbuch wissen wir, der Einstieg ist ein „Vierer“, also etwas knifflig. Für Laien hat Reinhold Messner die Grade so beschrieben: „Eins ist das Begehen einer steilen Treppe, ein Zehner das Klettern an einer Raufasertapete.“ Heli seilt mich und meine Seilschaft Anja an und gibt Kommandos. „Schön ruhig und gleichmäßig steigen.“ Die ersten Griffe gelingen, dann bin ich wohl beim Vierer, denn weder Hand noch Schuhe finden auf die Schnelle einen Halt. Na bravo, der Anfänger strauchelt auf den ersten Metern. Schweiß rinnt aus dem Helm Richtung Nase, die wohl etwas bleich wird. Ein Ruck von oben am Seil, ich riskiere am glatten Fels und irgendwie klappt es, uff.

Beim Blick nach oben erkenne ich keine Route, niemals schaffe ich es da rauf, denke ich. „Nur bis zum nächsten Griff schauen“, mahnt Heli von oben. „Spitz steigen“, ist einer der Tipps. „Auf Reibung gehen“ heißt, der Sohle vertrauen und „keine langen Schritte“ sollen Kraft sparen. „Tänzeln“, sagt Heli. Wenn er klettert, schaut es leicht aus. „Die ersten Schritte vom Bergsteigen zum Felsklettern“ stand auf der Presseeinladung und meine Journalistenkollegen haben diese ersten Schritte schon ein paar Mal absolviert. Sie haben ihren Spaß mit dem SPORTaktiv-Rookie in ihrer Mitte. Ich übe mich in Galgenhumor, mache aus der Drei-Punkt-Kletterei die „Sieben-Punkt-Technik“ mit 2 x Hand, 2 x Fuß, 2 x Kniescheibe und 1 x Hintern. Elegant wie ein Seelöwe hänge ich am Felsen, aber an den einfacheren Passagen fasse ich Vertrauen in meine Bergschuhe (erstaunlich, welchen Grip die Sohle der Schuhspitze hat) und meine Arme. Dass ich zwei Tage später den Muskelkater meines Lebens haben werde, ahne ich da noch nicht. Dass hier Zehnjährige mühelos raufkommen, erfahre ich auch später. Die Bügeleisenkante wird nach oben hin aber leichter, auch wenn es seitlich und hinter uns mittlerweile seeeehr weit hinuntergeht. Das leicht mulmige Gefühl im Magen bleibt.

Dann geht es weiter auf den Roten Turm, der den spektakulären Felsenkessel um die Karlsbader Hütte dominiert. Aufstieg wieder als 2er und 3er, vorbei am Holzschild „Nur für Geübte“ und über den Schneiderkamin rauf auf den 2702 Meter hohen Gipfel. Der Fels ist extrem griffig, die Aussicht atemberaubend. Auch der Abstieg über den Schmittkamin raubt mir ein paar Mal den Atem. Beim Klettern nach unten sieht man nämlich seine Füße nicht immer. Eine Passage werden wir abgeseilt, auch ein Erlebnis auf 2600 Metern Höhe im blanken Fels. Sobald Heli bei mir Verunsicherung merkt, kommen aufmunternde Worte. Ich werde gelobt wie ein Kindergartenkind am ersten Tag. Das taugt mir.

Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, sinkt der Adrenalinlevel schlagartig und die positiven Emotionen sacken. So fühlt sich also Alpinklettern im Anfängerniveau an. Respekt vor allen, die mehr draufhaben. Was unsere Bergführer sonst meistern, wenn sie kein Kindergartenkind an der Leine haben, kann ich mir nur ausmalen.

Schwierigkeitsgrade, Alpinklettern:

I: Einfachste Form der Felskletterei, kein leichtes Gehgelände mehr. Anfänger müssen am Seil gesichert werden, Schwindelfreiheit erforderlich. 
II: Mäßige Schwierigkeiten. Hier beginnt die Kletterei mit Drei-Punkt-Haltung.
III: Mittlere Schwierigkeiten. Zwischensicherungen an exponierten Stellen empfehlenswert. Senkrechte Stellen verlangen bereits Kraftaufwand. Geübte und erfahrene Kletterer können Passagen dieser Schwierigkeit noch ohne Seilsicherung erklettern.
IV: Große Schwierigkeiten. Hier beginnt die Kletterei schärferer Richtung. Erhebliche Klettererfahrung notwendig. Längere Kletterstellen bedürfen meist mehrerer Zwischensicherungen. Nicht mehr ohne Seilsicherung. 
V: Sehr große Schwierigkeiten. Erhöhte Anforderungen an körperliche Voraussetzungen, Klettertechnik und Erfahrung. 
VI: Überaus große Schwierigkeiten. Die Kletterei erfordert weit überdurchschnittliches Können und hervorragenden Trainingszustand. Große Ausgesetztheit, oft verbunden mit kleinen Standplätzen. 
VII: Außergewöhnlich große Schwierigkeiten. Akrobatisches Klettervermögen, ausgefeilte Sicherungstechniken.
VIII: Hohe Schwierigkeiten. Ein Schwierigkeitsgrad, der nur von wenigen Kletterern erreicht wird.
IX: Sehr hoher Schwierigkeitsgrad, der nur von sehr wenigen Kletterern beherrscht wird.
X: Sehr, sehr hoher Schwierigkeitsgrad, den nur noch professionelle Kletterer beherrschen.
XI bzw. XII: Hier liegt der Weltrekord bzw. das bislang Mögliche, weltweit nur von einer Handvoll absoluter Ausnahmetalente gemeistert.

Quelle UIAA-Skala bzw. Alpenskala

   
---------------------------- INTERVIEW ----------------------------


„Am berg bin ich sicherer als im Tal“

Lisi Steurer aus Lienz ist Bergsteigerin, Alpinistin, Bergführerin, Ausbildnerin und Vortragende in Sachen Natur, Alpen und Bergsport.
Infos: www.lisisteurer.at

Was bedeuten dir die Berge?
Diese Berge, die Lienzer Dolomiten, sind meine Heimat. Ich war mit 5 das erste Mal am Roten Turm und kann mich noch genau erinnern, wie besonders das war und dass wir um 4 Uhr aufgestanden sind – ein superspannender Tag.

Du warst jetzt auch während der Schwangerschaft aktiv?
Ich habe erst mit sieben Monaten den Babybauch bekommen, bin noch bis in den 9. Grad geklettert. Skitouren habe ich bis Anfang des neunten Monats gemacht. Für mich ist das ganz normal und sicherer, als im Tal unten auf vereisten Gehsteigen spazieren zu gehen.

Eure Tochter Heidi ist jetzt vier Monate. Wie hat sie euch verändert?
Ich muss jetzt viel effizienter sein und besser planen. Aber sie ist ein sehr entspanntes Kind und wir haben sie fast immer in den Bergen mit. Wird interessant, wenn sie dann zu krabbeln beginnt …

Was muss ein Kletteranfänger mitbringen?
Trittsicherheit im alpinen, brüchigen Gelände und auf Schotter und eine gewisse Affinität zu Wander- und Klettersteigen. Fitness? Wer sich Klettern zutraut, ist meistens nicht unfit.

Ab welchem Alter können Kinder anfangen?
Mit 5 kann man in den Klettergarten, in die Halle und ein bisschen bouldern. Alpinklettern in den Bergen funktioniert ab 10 Jahren ganz gut, so was wie die „Bügeleisenkante“ ist dann möglich. Wichtig ist das Zeitmanagement beim Zu- und Abstieg und dass man mit Themen wie Höhe, Gefahr und Vertrauen mit viel Ruhe und Fingerspitzengefühl und eher spielerisch umgeht. Sonst gibt’s schnell ein Drama.

Wie siehst du den Kletterboom generell?
Erstens gibt es den Hallenboom, der ein neues, hohes technisches Kletterniveau mit sich bringt und dem Alpinklettern guttut. Und zweitens gibt es den Massenandrang zu den Klettersteigen. In Summe ist die Nachfrage nach Kursangeboten in den letzten fünf, sechs Jahren viel größer geworden. Es gibt jetzt auch viele junge Menschen mit dem klaren Berufsziel „Bergführer“ und da kann man – auch im Hinblick auf Skitourenangebote – ganz klar sagen: Das ist ein Beruf mit Zukunft.

Erste Hilfe bei Notfällen

  •  Verletzte bergen, sichern und bequem lagern
  •  Notruf absetzen, z.B. die europäische Notrufnummer 112
  •  Verletzte psychisch betreuen, keine Panik
  •  Atmung überprüfen und erleichtern
  •  Verletzte versorgen, ev. mit Wärmedecke


Web: www.erstehilfe.at