Ein bissl Grant und ein paar ernst gemeinte Botschaften über Lawinengefahr und Respekt am Berg. Der bayrische Comedian Markus Stoll über seine Sportleidenschaft, Raumschiffuhren und Knackwurschtfetz’n. 

Christoph Heigl
Christoph Heigl


Kein Auge bleibt trocken, wenn er als sein Alter Ego „Harry G“ mit bayrischem Grant über Mitmenschen und deren Gewohnheiten herzieht. Als Comedian hat Markus Stoll gerade sein drittes Bühnenprogramm „Hoamboy“ laufen. 83 Millionen Aufrufe haben seine Youtube-­Videos über Wellness, SUVs, Helikopter-Eltern und „15 Jogger, die jeder kennt“. Speziell seine Sportvideos mit einer ordentlichen Breitseite für Skitourengeher, Biker und Wanderer treffen punktgenau. Kein Wunder, denn Stoll ist selbst leidenschaftlicher Sportler mit Faible für Schnee und Zweirad. Der ehemalige Investment-Manager kennt die Typen und Gschaftler nur zu genau. Da fühlt sich jeder irgendwo ertappt.

Begriffe wie Rapha, Harscheisen, Mullet oder Ötzi weisen dich als Insider aus. Du machst auch in den Videos gute Figur. Wie viel Sportler Markus Stoll steckt in deinem „Harry G“? 
Wenn man die Sportarten selbst ausübt, stolpert man früher oder später über diese ganzen Begriffe, Themen und Entwicklungen. Wenn du Rennrad fährst, kommst du nicht am Aero-Frame vorbei, beim Mountainbiken das 27,5 versus 29 Zoll. Was mich von anderen unterscheidet, ist, dass ich als Comedian, Schauspieler und Videomacher drauf schaue und alles z’sammsammle. Ich seziere die Sportart, seziere die Kleidung und dann muss ich bloß in die Köpfe der Leute rein. Also „coffee racer“ versus „quäl dich“ zum Beispiel. Was ich beobachte, schreibe ich nieder. 

Also auch bei Skitouren?
Bei Skitouren ist das noch einfacher, weil selbst der Einsteiger wenig „Gschaftlmöglichkeiten“ hat. Ski, Felle, Bindung, Schuhe, fertig. Du hast nicht so viele Entscheidungen zu treffen. Die Fashionindustrie entdeckt das aber gerade, so wie die Modeindustrie das Rennrad entdeckt hat. Früher war alles einfärbig, dann dominierte über Jahrzehnte die Raceoptik, jetzt kommt über diverse Marken der ästhetische Style dazu. Hochfunktionell, hochqualitativ und ästhetisch. Bei Skitouren dauert es noch. Meistens kommt es auch erst über die Frauenmode in den Männerbereich. Das Skifahren generell wird ja immer noch mit so einem Verkleidungsaspekt verbunden. Wenn du heute noch die Preußen auf der Skipiste siehst, haben die ja oft das Bedürfnis, sich was „Lustiges“ anzuziehen, wie im Fasching. Wie lange sind Leute mit einem Eishockeytrikot Ski gefahren! Warum eigentlich? Wenn beides im Gleichklang ist, Ästhetisches und Funktionalität, dann ist es perfekt.

Wie bist du selbst beim Sport gekleidet? Knallig oder dezent?
Ich steh auf ästhetische, normale Kleidung mit Funktionalität, nicht nur Schwarz. Allzu knallige Farben sind in meinem Alter nix mehr. Beim Rennrad ziehe ich keine rosa Socken mehr an (lacht). Das liegt aber auch daran, dass ich nicht mehr so braun werde, dass es gut ausschaut ...

Du machst dich über den Ausstattungsfetischismus von Freizeitsportlern lustig. Wie hältst du es selbst damit? Hast du die „Raumschiff-Uhr“ mit und „Knackwurschtfetzn“ an? Bist du Ausrüstungsfreak oder Minimalist?
Ich hab natürlich die komplette Ausrüstung für Ski und Freeride, das Nötige ist dabei, nie mehr. Die Garmin am Handgelenk taugt mir für Höhenmeter bei Skitouren, das ist ein Zusatzgewinn und ein guter Begleiter geworden. Aber das war es auch schon mit Digital-Luxus. Mein Downhill-Helm hat eine GoPro-Halterung, da war noch nie eine Kamera montiert. 

Was ist dein Lieblingssport? 
Das Mountainbike war seit Ende der 80er mein ständiger Begleiter. Der Weg zur Schule, erste Waldeinsätze, irgendwann Downhill und Freeride, als ich in Innsbruck studiert habe. Das war eine verrückte New-School-Szene, eine eingeschworene Gemeinde von Underdogs. Skifahren begleitet mich, seit ich 3 bin, daraus ist das Snowboard geworden und relativ früh, Ende der 90er, wieder die Rückkehr zum Ski, ausgelöst durch die Twintip-Ski. Ich bin Freeride-Wettbewerbe gefahren, aber nicht erwähnenswert. Skitouren mache ich seit etwa zehn Jahren. Das Skitouren-­Video von Harry G. ist noch knapp vor Corona entstanden. Aber durch die stehenden Lifte ist es explodiert, du hast in München keine Tourenski mehr kriegt.

Wie fährst du Ski?
Ich fahre immer Gelände, seit 30 Jahren, aber nie gefährliche Hänge. Schon als Kind waren mir diese Waldpisten am liebsten, Sprung hier, Sprung dort, das Verspielte, so wie in den Follow-Cam-Videos von Candide Thovex – ein extrem kreativer Sport, wenn du das Gelände für dich interpretierst. Mein Sohn ist 5, ich bin gespannt, wann wir gemeinsam auf Waldabfahrten gehen.

Auf wie viele Skitage kommst du pro Winter?
Nimmer so viele, vielleicht 20. Früher war es das Ohne-Ende-Fahren, das gibt mir heute nix mehr, dann reichen auch mal zwei Stunden und ein Mittagessen. Auch das kann die Krönung des Tages sein.

Wie viele Paar Ski hast du im Keller?
Zehn Paar? Alte, neue, zwei verschiedene Tourenski, fünf für Piste, Freeride extrem und Freeride normal. Da kommt schon was z’samm …

Du warnst auch vor den Gefahren. Du hast 2016 in einem Interview von „zwei Mini-Lawinen“ erzählt.
Einmal war’s ganz blöd. Ich bin auf einem Pistenziehweg gestanden und von oben ist der Hang runtergekommen und hat mich mitgespült. Ich war verschüttet, total beschissen, weil du nix dafür kannst. Ich hab noch ein bisserl rausgesehen und es waren Leute da, die mich rausgeholt haben. Alles okay. Das zweite Mal war es eine kleine Lawine, aus der wir zum Glück auch wieder rausgekommen sind. Aber du merkst, wie schnell es gehen kann. Einmal bin ich beim Springen im Tiefschnee nach vorne gestürzt, hatte aber leider die Hände hinten und bin kopfüber festgesteckt. Da hast du verloren. Aber durch ein bissl Rütteln und mit der Hilfe vom Kollegen kam ich raus. Mittlerweile bin ich sehr viel alleine unterwegs, auch aus Zeitgründen, und das ist natürlich komplett anders einzuschätzen als zu zweit oder dritt.

Du fährst seit 38 Jahren Ski, seit 25 im Gelände, hast also Erfahrung und sagst dennoch: „Ich kann überhaupt nichts einschätzen. Ich habe immer Leute mit dabei, die sich auskennen, und wenn die sagen „nein“, da ist es dann auch gut.“
Die Tiefschneesituation wird von jedem unterschätzt. Tatsächlich musst du erleben, wie machtlos du bist, wenn du mitrutscht und wie schnell das geht. Nein, du musst es nicht erleben, aber du musst glauben, dass es das gibt. Ich kann grundsätzlich Gefahr am Berg einschätzen, Wege, Steine, Rutschgefahr, aber beim Skifahren kannst du diese Scheiß-Lawinensituation nie voll einschätzen. Wenn das Schneeprofil genau heute nicht stimmt? Zumindest ich kann das noch immer nicht einschätzen. Ich habe Lawinen- und Sicherheitskurse besucht, aber ich frage mich ständig: Und wann ist es eigentlich perfekt?

Von der Gefahr wieder zum Witz. Wie viel Spott, Grant und Humor verträgt der von dir auf die Schaufel genommene Freizeitsportler?
Das weiß ich doch nicht! (lacht) Je extremer die Sportler sind, umso weniger Spaß verstehen sie bei ihrer Sportart. Wer aber selber manchmal am Berg über sich lachen muss, versteht das schon.
 
Wie sind die Reaktionen auf deine Sportvideos?
Beim Radfahren grinsen manche schon, wenn sie mich sehen, und präsentieren mir demonstrativ ihr Set-up und ihre Klamotten. Mit den Videos sind wir zu einer Art Instanz geworden, dass wer sagt, schau ich hab genau diese Schuhe. Das haben wir uns erarbeitet.

Gibt es Sportarten, die humorbefreiter sind oder sich weniger eignen?
Meistens ist es der Austattungsfetischismus und der Moment, wo die Industrie diesen befeuert und voll auslebt. Beim Tennis gibt es das nicht mehr, Carbonschläger und tolle Schuhe, das hatten wir vor 10 Jahren! Aber Rennrad, Freeride, das ist neu. Was es für Ski gibt! Und welche Brillen und Outfits! Ein nicht endenwollendes Thema so viele Möglichkeiten, Designs abzubilden. Skischuhe mit Goldschnallen! Warum jetzt erst? Wie konnten wir nur Jahrzehnte mit silbernen fahren? 

Welcher Sport reizt dich noch? Was hat Spott-Potenzial? 
Golf ganz sicher. Langlaufen auch – aber da gibt’s nicht so viele Gschaftler. Und Berg-Yoga! Wenn du 2000 Höhenmeter hochkachelst und dann steht dort so eine Amsel wie ein Flamingo in der Yogapant auf der Holzplanke und macht den Krieger in die Felswand hinein. Da hört es bei mir ganz auf. Ich sage ja immer, Sport ohne Schnee, Eisregen und Hagel im Gesicht und ohne mit sportlicher Höchstleistung zu performen – das ist für mich kein Sport. (*Augenzwinkern)

Wer sind diese sportlichen „Gschaftler“ in deinen Storys?
Es gibt den „Hobby-Gschaftler“, der setzt sich in München aufs Rennrad und quatscht in voller Lautstärke mit seinem Kollegen über den Ötzi-Radmarathon oder übers Material. „Hast du den Baumwollreifen jetzt schon länger?“ Und die hört man kilometerweit gschafteln. Beim Skitourengehen sind das die, die du von Weitem schon hörst. Und dann gibt es den zweiten, den „professional Gschaftler“, der ist Tiroler, der im vollen Tempo neben dir hergeht, wo du selbst nicht mehr sprechen kannst, ohne dass dir die Lungen einklappen, und er textet dich voll. Du hängst her wie ein kaputter Schäferhund und er erzählt dir vom Supererlebnis am Matterhorn, wo er superschnell oben war. 

Wenn der privat ruhige Markus Stoll den grantigen Harry G mit auf Skitour nimmt, wie endet das? Im Streit?
Wir sind ein- und dieselbe Person. Wenn ich bei der Skitour mit dem Skistecken diese Steighilfen hinten umklappen soll – was noch nie ein Mensch geschafft hat! – dann können sich der Harry und der Markus wunderbar aufregen. Oder wenn ich die Felle oben abziehe und sie im Wind bei der Jacke kleben bleiben. Oder letztens hat’s mir das Sackerl von den Fellen den Hang hinunterg’waht. Ich hasse das. Ich könnt mich laufend aufregen.

Ist beim Humor alles erlaubt? Wo ziehst du die Grenzen? 
Bei Minderheiten, Gehandicapten, älteren Menschen, generell bei benachteiligten Personen. Die disse ich nicht. Wenn bei uns in Bayern der Araber in Scheichklamotten mit der Großfamilie mit der Gondel auf den Herzogstand kommt, darf ich das schon sagen, das ist ja witzig. Ich versuche, bei der Zielgruppe meines Humors immer bei meinesgleichen plus minus 10 Jahre zu bleiben.

Zuerst wird gegrantelt, dann kommst du mit der Message und versöhnlichen Botschaften zu Toleranz und Respekt am Berg, See und auf der Straße, zu Müll, Abkürzungen, Leichtsinn. Woher kommt dieser Antrieb?
Das wichtigste Equipment ist das Hirn. Und es ist nicht verboten, das einzuschalten. Im ganzen Freizeitsport ist der Platz ein wenig knapp geworden, sogar bei den Skitouren.

Verstehst du das als Auftrag für die junge Community im Netz? 
Wir sind alle da draußen, keiner steht über dem anderen. Vor allem hat kein Schnellerer mehr Rechte als ein Langsamer. Manchmal muss man sich erden. Wie unwichtig wir doch sind, wenn wir einen Berg hochlaufen. Deine Leistung wird 200 Mal am Tag ebenbürtig von anderen erbracht. Du bist einer von vielen.

Was bringt dein persönlicher Ski- und Sportwinter? 
Ein paar größere, geführte Skitouren à la Großvenediger wahrscheinlich, für Ambitionierte nix Weltbewegendes, aber für mich so kleine Meilensteine. 

BEST OF HARRY G

„Die gfoin ma, die Karwendl-Hanswurschtn. Da wohnen‘s in einem 50-Parteien-Bunker irgendwo in Schwabing und suchen dann im Karwendel die Einsamkeit. Um 3 in der Früh. Du Depp!“ (Harry G übers Wandern)

„Eine Kondition wie ein Döner, aber La Paloma pfeifen! Und mit die teuersten Mountainbikes den Berg raufgasen, aber beim Runterfahren stellen sie sich an wie ein Zwölfjähriger, der einen Sattelzug rückwärts einparkt.“ (Harry G über Mountainbiker)

„Da planens irgendwas auf Strava z’samm, verabreden sich auf Facebook und dann fallen’s über die Landstraßen her wie ein Heuschreckenschwarm. Ein Sport für Individualisten! Das ist ja nicht oaner, das sind ganze Geschwader!“ (Harry G über Rennradfahrer)

„Am Königsplatz demonstrieren, und dann mit’n Diesel 400 km in die Berg nei’fahren, damit sie eine nachhaltige Skitour gehen. Die Menschheit ist komplett verblödet.“ (Harry G über Skitouren)

Markus Stoll: „Die Gschaftler hörst du schon von weitem“
Markus Stoll

Geboren am 30. Mai 1979 in Regensburg (D), bayrischer Schauspieler, Comedian, Buchautor, Künstlername: „Harry G“ (nach Harald Gmeinwieser, einem verstorbenen Freund seines Vaters).

Kindheit am Schliersee in Bayern, BWL-Studium in Innsbruck und Buenos Aires, Job als Investment-­Manager; Geburtsstunde als „Harry G“ mit Oktoberfest-Video 2013. In seinen Youtube-Videos nimmt Stoll viele Mitmenschen und Gewohnheiten aufs Korn, u.a. auch Freizeitsportler. Selbst ist Stoll exzellenter Skifahrer und Rennradfahrer. Daneben Filmrollen in u.a. Der Beischläfer (Amazon, 2. Staffel ab 12.11.), Sauerkrautkoma, Leberkäsjunkie, Rosenheim Cops.

Stoll ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in München.

WEB: www.harry-g.com