Wenn Schneeschuh-­Wandern zu fad ist und man ins Tourengehen schnuppern will: Kann man mit Alpinausrüstung die erste Skitour wagen? Ein Low-Budget-Bastel­experiment mit Akkuschrauber, Bindungsschablone, Rahmenbindung – und mit einer Warnung.

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Skitourengehen ist faszinierend. Das muss man unbedingt einmal ausprobieren. Der Haken: Man braucht einiges an Ausrüstung. In Zeiten von Corona und Kurzarbeit sitzt das Geld bei den meisten aber nicht so locker, als dass man sich das Equipment gleich spontan im Shop besorgt. Für Ski, Bindung, Schuhe, Felle und Nebengeräusche sind gleich einmal 1500 bis 2000 Euro fällig. Das komplette Equipment für ein erstes Testen auszuleihen, ist eine gute Möglichkeit. Man kann schnuppern und den Sport ausprobieren.

Unser Ansatz ist anders: Wir greifen zum Akkuschrauber, Alpinschuh, zum Second-Hand-Ski und basteln die Test-Ausrüstung selbst zusammen. Wie weit kommen wir im einfachsten Gelände mit herkömmlicher Alpinausrüstung? Warnhinweis: Das ist keine Bauanleitung zum Nachmachen (siehe auch Interview Lisi Steurer), das ist ein Experiment im Low-Budget-Stil, bei dem man aber unglaublich viel lernen kann.

Die Ski
Plattformen wie Willhaben sind jetzt im Herbst voll von Kellerfundstücken und Juwelen. Man findet sämtliche Teile in großer Auswahl und ganze Skitourensets von teuer (weil fast neu) bis fast geschenkt (weil aus der Steinzeit). Wir zielen zum Schnuppern nicht auf reine Skitourenski ab, sondern denken auch an mögliche Pistenfahrten und ergattern zwei Allmountain-Ski: einen Damenski Atomic Vantage (aus dem Fundus eines ÖSV-Trainers, wie sich bei der Preisverhandlung herausstellt), gebraucht, aber top in Schuss um wohlfeile 75 Euro. Und einen zehn Jahre alten Blizzard Magnum (Neupreis laut Schnellrecherche damals mehr als 1000 Euro) samt Marker-Duke-Tourenbindung um gesamt schlappe 69 Euro. Vorweg: Beide Ski sind alt, aber tadellos. Einer der Vorbesitzer hat sogar noch ein Skiservice machen lassen.

Die Bindungen
Die Wahl fiel auf die mittlerweile aus der Mode kommenden Rahmenbindungen, die Marker Duke FR 16 und eine Marker Baron (gebraucht 160 Euro), beide mit ein paar Jahren auf dem Buckel. Die sind zwar bei Weitem nicht so leicht und ideal wie die modernen Pin-Bindungen, aber dafür kann man sie mit herkömmlichen Alpinschuhen (und auch im Pisteneinsatz) verwenden. 

Die Schuhe
Um eben nicht teure Tourenschuhe kaufen zu müssen, obwohl sie auch am Gebrauchtmarkt zu finden sind, wohl in unterschiedlichen Odeurs, wollen wir mit den herkömmlichen Alpinschuhen starten. Logisch, dass sie ohne vor- und zurückschwenkenden Geh-Mechanismus nicht die Top-Funktion der Spezialschuhe bieten, „aber für ein paar Schritte ausprobieren reicht es allemal“, wurde uns von Skitourenfreunden mit etwas Erfahrung geraten. Knallt man die Schuhe bergauf nicht wie im Pistenmodus voll zu, sondern lässt sie ganz oder mit nur eingehakten Rastern halb offen, sollte das etwas Bewegungsspielraum ermöglichen. 

Die Felle
Um nicht die Katze im Sack zu kaufen, haben wir die Felle nicht gebraucht gekauft, sondern nagelneu und regulär beim Sporthändler unseres Vertrauens. Kostenpunkt: rund 130 Euro pro Paar.
 
Die Infos
Dann wurden einschlägige Websites besucht, stundenlang YouTube-Videos studiert und viele Tutorials gegen das gefährliche Halbwissen gelesen. Tenor: Als geschickter Bastler kann man sich an die Sache wagen. Sind wir zwar nicht, aber „Fortes Fortuna adiuvat“, wie es im Renn-Latein heißt. Das Glück ist mit den Tüchtigen.

Das Low-Budget-Bastelprojekt: Wir haben eine Alpinausrüstung für die erste Tour umgebaut

Jetzt wird es ernst: die Bastelarbeit
In der Bastelwerkstatt wird aufgebaut: Ski, Bindung, Akkuschrauber, Holzleim, Maßband, Schere, Stift, Papier, Cutter, Staubsauger. Und wir brauchen den Schuh und die Sohlenlänge. Als wichtigste Utensilien erweisen sich zunächst Handy und PC-Drucker, denn als schwierigstes Unterfangen stellt sich das Finden der richtigen Bindungsschablone im Internet heraus. Nach zwei Fehlversuchen ist die richtige Schablone in Large und Small gefunden, in richtiger Skalierung (!) ausgedruckt, zusammengeschnipselt und mit Klebeband am Ski fixiert. Neun Schrauben müssen in exakter Position im Ski verschraubt werden, um die Bindung in Position zu halten. Profis und Werkstätten verwenden natürlich fixe Montageschablonen aus Metall. Empfohlen wird fürs Bohren ein spezieller Bindungsbohrer mit stumpfem Anschlag, mit dem die richtige Bohrtiefe (etwa 9,5 mm) leicht gefunden wird. So was haben wir nicht. Mit einem herkömmlichen 4-mm-Bohrer und etwas Gefühl (danke, Fortuna!) gelingt es aber, die Bohrungen im Holzkern des Skis zu setzen. Die Bohrlöcher werden mit Bindungsleim bzw. Holzleim gefüllt. Dann wird die Bindung aufgesetzt und mit den Holzschrauben der Bindungplatte vorsichtig fixiert. Das professionelle YouTube-Video des Montagevorganges dauert 14 Minuten, es wurde im Play-Pause-Play-Pause-Modus einen ganzen Tag lang abgearbeitet. Uff. 

Sicherheitstechnisch genauso wichtig wie die korrekte Montage der Bindung ist die korrekte Einstellung der Auslösehärte, der sagenumwobene Z-Wert. Nach zwei Stunden Internetrecherche, dem Ausprobieren einiger Apps und ein paar Telefonaten kam Licht in die Angelegenheit und man lernt so einiges über das Skimaterial, das man sonst so bedenkenlos verwendet. Z-Wert studiert, gefunden, eingestellt und fertig. Dabei die Bindung auch noch ein wenig geölt. Dutzendfach werden mit den Schuhen das Einsteigen und der Auslösevorgang im Trockenbetrieb im Keller wiederholt und der (faszinierende) Klappmechanismus der Rahmenbindung getestet. Sollte klappen. Nach eingehendem Studium der Anleitung ist die Montage bzw. das Zurechtschneiden der Felle auf der Belagsseite dagegen ein Kinderspiel. Die erste Tour kann kommen.

Praxis: das erste Mal
Nicht falsch verstehen: Erfahrene Skitourengeher und Profis würden das wohl als „Schneeschuhwandern“ bezeichnen und uns als „Flachlandtiroler“ verlachen, für uns fühlt es sich aber wie Skitourengehen an. Zwei Mal in Pistennähe und auf Forststraßen bzw. Wegen haben wir unser Equipment ausprobiert. Auf Anhieb volle Faszination! Die Felle halten, die (mehr oder weniger) offenen Schuhe erlauben genug Spielraum, der Gehmechanismus der Bindung funktioniert schon auf den ersten Schritten tadellos und die ausklappbare Steighilfe ermöglicht auch steilere Passagen problemlos. Die Allmountain-Ski sind zwar echt schwer, aber wir sind nicht in Eile und bergab haben wir keine Probleme. Wir verwenden normale Stöcke, den normalen Skihelm und unsere Alpinkleidung mit Rucksack. Dass „richtiges“ Touren-Equipment wohl noch besser ist, ist uns klar, es vermittelt aber auch so einen lustmachenden Ersteindruck.

Die allererste Route führte uns im sehr flachen, ungefährlichen Gelände eines Skiliftparkplatzes von 1600 auf knapp 2000 Meter Seehöhe. Da ist von Sonnenschein bis Schneesturm schon alles dabei, vom Schwitzen bis zum Frieren. Man muss also echt viel Kleidung mithaben, das ist beim ersten Mal genauso klar wie, dass man in anderem Gelände auch ums Notfall-Equipment wie LVS, Schaufel und Sonde nicht herumkommt. Fürs erste Schnuppern hat es gereicht. Der erste Funke ist geflogen. Fortsetzung folgt garantiert.

Das Low-Budget-Bastelprojekt: Wir haben eine Alpinausrüstung für die erste Tour umgebaut

Lisi Steurer, Berg- und Skiführerin in Lienz im Interview

Lisi, wie bewertest du als Profi unseren Amateur-Bastelansatz?
Grundsätzlich finde ich es positiv, wenn man sich intensiv mit der Materie beschäftigt und mit dem Skitourensport beginnen will. Auch vom Nachhaltigkeitsgedanken wäre es an sich zu begrüßen, wenn weniger weggeworfen wird. Aber Vorsicht! Schablonen, Bindungen und Z-Werte sind ein heikles Thema, da braucht man Erfahrung, das kann nicht jeder. Alpinschuhe und Skitourenschuhe kann man etwa bei der Auslösehärte nicht vergleichen, das sehen wir bei den Freeride-Bindungen immer wieder. Unbedingt beim Experten überprüfen lassen!

Was empfiehlst du blutigen Anfängern?
Bevor ich drei Tage im Bastelkeller investiere – das kostet ja auch etwas, nämlich Zeit – gehe ich zum Verleih und hole mir vom Fachmann eine topmoderne Ausrüstung zum Schnuppern. Der schult mich ein und gibt mir auch gleich die Sicherheitsausrüstung wie LVS-Gerät, Schaufel und Sonde. Die sollten auch auf der ersten Einsteigertour schon dabei sein. In diesem Zusammenhang sind natürlich die Einsteigerkurse der alpinen Vereine eine unbedingte Empfehlung. Oder man kann sich auch einen Guide nehmen.

Wie weit käme man generell mit Alpinausrüstung?
Mit dem Alpinschuh ohne geeignete griffige Sohle hast du dort nichts mehr verloren, wo man ein paar Schritte im Schnee oder auf Eis gehen muss. Sobald das Gelände anspruchsvoller wird, wirst du selber merken, dass es viel besseres und viel leichteres Equipment gibt. Fürs erste Schnuppern neben der Skipiste, auf der Waldwiese oder auf der Forststraße wird es schon reichen – Achtung, Haftungsfragen und Regeln vor Ort bedenken – , aber sonst führt an guter Ausrüstung einfach kein Weg vorbei. Im Handel gibt es mittlerweile relativ günstige Einsteigersets. Bei der Bekleidung kann man etwas tricksen, aber bei der technischen Ausrüstung ist sparen sicher nicht die beste Idee.