Carbonplatten im Schuh, spezielle Geometrien und Ökologie: Wir haben uns drei aktuelle Haupttrends im Bereich der Laufschuhe herausgegriffen und bei Herstellern Hintergründe erfragt. 

Christof Domenig
Christof Domenig


Als Eliud Kipchoge sich im Mai 2017 in Monza an den Versuch machte, unter optimierten Bedingungen die 2-Stunden-Marke im Marathon zu knacken, staunte die Laufsportwelt auch über dessen Schuhe. Die „Nike Vaporfly 4%“ hatte mit ihren dicken Sohlen schon optisch nichts mit dem zu tun, was man über viele Jahre unter einem Wettkampfschuh verstand. Und sie hatten Carbon in den dicken Mittelsohlen. Bei seinem 1:59:40-Lauf in Wien im Oktober 2019 schließlich, zweieinhalb Jahre später, hatte der Hersteller mit den „Alphafly Next%“ genannten Schuhen das revolutionäre Konzept mit gleich drei Schichten Carbon auf die Spitze getrieben.

Im Spitzensport fallen seither Rekord um Rekord. Konsequenterweise zeigt heute jeder Laufschuhhersteller einen „Carbonschuh“ als Technologie-Flaggschiff in seinem Portfolio. Und während die Fachwelt sich einig ist, dass die speziellen Schuhe Spitzenläufern messbare Vorteile bringen, so ist das beim Breitensportläufer alles andere als gewiss. Fakt ist aber auch, dass man bei den Citymarathons auch schon etliche 4-Stunden-Marathonis mit dicken Carbonracern am Werk sieht. Den Laufschuhtrends auf der Spur kommt man am Carbonschuh aktuell wohl nicht vorbei.

Trend 1: Die Carbonklasse
Was hat es mit dem High-Tech-Werkstoff in den schnellsten Laufschuhen aller Zeiten auf sich? Kurz erklärt: In der Zwischensohle werden mit Carbonfasern verstärkte Platten eingebaut, um eine höhere Steifigkeit der Schuhe und mehr Rebound beim Abdruck zu erreichen – und damit schneller zu werden. Fragt man bei Laufschuh-Herstellern nach, bekommt man dazu jedoch eine einheitliche Antwort: Die Carbonplatten in den Laufschuhen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern als Paket. Geometrie und Abrollbewegung, die Dämp- fung mit sehr stark energierückgewinnenden Schäumen und das sehr steife und leichte Carbon spielen zusammen und sind ebenso wichtig, erklärt etwa Philipp Hagel, Product Manager Running von On.

Warum die Carbon-Wettkampfschuhe der frühen Generation für reine Freizeitläufer nicht sonderlich geeignet waren und nach wie vor sind, erklärt Hagel so: „Diese Schuhe sind auf einen sehr vorfußorientierten Laufstil optimiert. Die Masse der Läufer rollt aber über den Mittelfuß oder die Ferse ab.“ Das trifft auch auf den schnellsten On-Schuh, den Cloudboom Echo, zu. Aber: Hersteller arbeiten daran, die neuen Konstruktionsprinzipien für ein breiteres Zielpublikum aufzubereiten, so Hagel. "Alle Hersteller benutzen dieselben Zutaten für ihre Carbonschuhe“, sagt Andreas Moll, Director Product Marketing von Asics. „Der große Unterschied ist, wie man die Zutaten kombiniert.“

Typisch für die Carbonracer? Ist einmal die Rockerkonstruktion, also eine gebogene Sohle. Weiters eine große Sohlendicke, die sich aus dem Einsatz von hochmodernen Schäumen ergibt. Diese sorgt für die Dämpfung und die Energierückgewinnung. Daraus ergibt sich auch eine eigene Laufgeometrie.
Dave Kemp von Brooks sieht den Topschuh des US-Herstellers, den Brooks Hyperion Elite 2, durchaus auch für Hobbysportler als interessant an. „Der Schuh ist dafür entwickelt, weniger schnell zu ermüden. Die zusätzliche Geschwindigkeit in Verbindung mit einem Schuh, der Läufern hilft, auch bei Ermüdung stabil zu bleiben, ist auf jeden Fall etwas, was für Hobbysportler interessant sein kann.“
Salomon, das noch ohne Carbon im Schuh auskommt, steigt 2022 auch ins „Plattenthema“ ein, erklärt Sascha Stöfelmayer. Mit einer Fiberglas-Platte beim kommenden Wettkampf-Topschuh, dem Salomon S/Lab Phantasm CF. „Von der Performance gibt es fast keinen Unterschied, es ist aber von der Verarbeitung her einfacher und zudem langlebiger.“

Trend 2: Rocker und „High Stack“
Für Breitensportler Interessantes zeigt sich aber derzeit vor allem in der Klasse unter den teuren Carbonschuhen. Entwicklung-Erkenntnisse aus den „Wunderschuhen“, die aber nur mit entsprechender eigener Performance auszunutzen sind, fließen in den allgemeinen Laufschuhbau ein. 
Wobei man sich die Entwicklung nicht als Einbahnstraße vorstellen darf – von den Racern zu den Schuhen für die Masse. Vielmehr geht es um Entwicklungen, die parallel ablaufen. 

Beispiel Asics: Dort gibt es Schuhe mit mehr oder weniger stark ausgeprägter Rockerkonstruktion im Programm, wie sie für die Carbonschuhe typisch sind. Aber eben ohne Inserts. „Das vermittelt ein wenig davon, wie das Laufgefühl in den Carbonlaufschuhen ist: Mit kürzeren Bodenkontaktzeiten, schnellerem Abrollen oder ein wenig mehr Vorwärtsschub“, erklärt Andreas Moll.

Die jüngste Errungenschaft im On-Sortiment kommt ebenfalls  mit einer starken Sohlenbiegung und vor allem mit den dicksten On-Sohlen aller Zeiten: der Cloudmonster. „Für den allgemeinen Läufer gilt es die Abrollbewegung zu unterstützen und die Dämpfung dort zu haben, wo sie wichtig ist: im Mittelfuß und Fersenbereich“, erklärt Philipp Hagel. Der Cloudmonster habe aber auch ein On-eigenes Speedboard, „das die Funktion des Energyreturns und Rebounds unterstützt, sowie einen aggressiven Rockershape. Und er bietet das ‚Wow-Gefühl‘, da passiert etwas im Schuh. In der Dämpfung wie in der Vorwärtsbewegung.“
Bei Salomon wird heuer das Thema „Platten“ richtig breit gespielt – aber nicht mit Carbon, sondern wie bereits erwähnt mit anderen Materialien. „Als einziger Anbieter auf dem Markt wollen wir dieses Thema heuer an alle Outdoor-Zielgruppen richten: von Road über Trail bis hin zu Outdoor“, sagt Sascha Stöfelmayer. Ziel sei es stets, Vortrieb und Geschwindigkeit zu generieren. Im Trailrunning geht es aber auch um eine Schutzfunktion.

Und Brooks? „Wir sehen eine große Veränderung, die durch die Superschuhe ermöglicht wird“, erklärt Dave Kemp. Um das Brooks-typische „Fit Feel and Ride“-Gefühl zu erzeugen, benötige es eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Die Mittelsohlenschäume seien dabei ein wichtiger Faktor. „Läufer können jetzt das Beste aus zwei Welten suchen: einen leichten, reaktionsschnellen Schuh, der aber gleichzeitig viel Dämpfung und Schutz bietet.“

Trend 3: Ökologisierung
Noch ein ganz anderer großer Trend lässt sich am Laufschuhmarkt aber beobachten: jener zu nachhaltigen Laufschuhen, der sich quer durch die Hersteller zieht. Das ist bei Laufschuhen auch deshalb von Bedeutung, weil sie überwiegend aus vielen unterschiedlichen hochmodernen Kunststoffen bestehen und ein sinnvolles Recycling am Ende des Produktzyklus bisher kaum möglich war. 

On hat dafür im Vorjahr ein Abo-Modell entwickelt, das heuer startet: Man kauft sich einen Schuh nicht mehr, sondern abonniert ihn. Der Cloudneo wird im kommenden Sommer der erste sein, der dem „Cyclon“ genannten Projekt entspringt. Ist der Schuh zu Ende gelaufen, geht er zurück an den Hersteller und wird aufbereitet. Damit das Recycling aber funktioniert, besteht er aus einem speziellen Material, der Rizinusbohne. Noch Zukunftsmusik: eine Zwischensohle aus Kohlenstoff-Emissionen.
Salomon hat mit dem Index seit dem Vorjahr ebenfalls einen Laufschuh im Programm, der nicht auf der Deponie landet, sondern zu Skischuhen verarbeitet wird. Lokale Produktion ist ebenfalls ein Thema, mit dem sich der französische Hersteller beschäftigt: Seit Oktober werden drei Schuhmodelle in Frankreich produziert. Brooks hat mit dem Ghost 14 ein klimaneutrales Modell, daneben hat man sich als gesamtes Unternehmen ambitionierte Klimaziele gesetzt.