Dieser Typ schaltet schnell, wenn’s was Neues gibt: Mike „The Bike“ Kluge ist so was wie eine personifizierte Zeitreise durch die Welt des Radsports: von der längsten Bremsspur auf dem Schulhof über drei WM-Titel bis zum Bike mit Brennstoffzelle.
Mike, du bist gerade in Kapstadt. Schön für dich!
Danke! Ich komme immer bei meinem Freund Leo Hillinger unter, den ich hier kennengelernt habe. Er ist Winzer in Österreich, ebenfalls leidenschaftlicher Biker und hat in Kapstadt ein Domizil. Die Tage fahre ich bei der Cape Town Cycle Tour mit, das größte Radrennen der Welt. In den besten Zeiten standen hier 37.000 Teilnehmer am Start. Früher gab es eine eigene MTB-Wertung. Ich glaube, da halte ich noch den Streckenrekord.
Wie ging das los – mit dir und den Rädern?
Als Junge habe ich mir aus alten Teilen Räder zusammengebaut, um schneller in die Schule zu kommen. Dort war ich Rekordhalter für den längsten Bremsstreifen auf dem Pausenhof. Mein Vater wollte meine Energie in konstruktive Bahnen lenken. Er meldete mich 1977 bei zwei Hobbyrennen an und die habe ich beide gewonnen.
Du hast deine größten Erfolge im Cyclocross gefeiert. Rennen in Herbst und Winter, bei Minustemperaturen durch den Schlamm. Warum macht man das?
Mich hat es gereizt, weil es so vielseitig ist. Es ist kalt. Du trainierst morgens, wenn es noch dunkel ist. Das macht nicht immer Spaß. Aber das Quälen verändert sich. Dein Körper gewöhnt sich daran und du spürst, wie du immer besser wirst. Plötzlich kommst du einen Berg in einer Pace hoch, bei der du vor einem Monat noch die Augen verdreht hast. Das treibt dich an, noch mehr zu investieren.
1985 wurdest du Amateur-Weltmeister im Cyclocross. Was braucht man, um das zu schaffen?
Du musst im Training an die absolute Grenze gehen, damit du im Rennen weißt, wie sich das anfühlt. In den Rennen wiederum erkennst du deine Schwachstellen. Mein Trainer hat gesagt: „Du wirst an deinen Schwächen geschlagen. Wenn dein Gegner sieht, dass du keine Linkskurven fahren kannst, wird er dich genau dort angreifen. Wenn du schwach am Anstieg ist, wird man es dort versuchen.“ Natürlich ist
es toll, Dritter oder Fünfter zu werden. Aber Erster zu sein, ist besonders. Es lädt dich mit einem Selbstbewusstsein auf, das dir noch mehr Energie zur Verfügung stellt.
Als Junge habe ich mir aus alten Teilen Räder zusammengebaut, um schneller in die Schule zu kommen.
In Mladá Boleslav wurdest du 1987 erneut Weltmeister im Cyclocross. Es heißt, das war eine aufregende Reise?
Wir hatten minus zehn Grad, die Straßen waren überfroren. Auf einer Trainingsfahrt kam uns ein Lkw entgegen, der riesige Baumstämme geladen hatte, die sich in einer Kurve lösten. Ein paar Sekunden später an dieser Stelle hätten uns die Stämme erschlagen. Nachts bin ich dann aufgewacht, weil meine Handschuhe brannten, die auf dem Nachtspeicherofen zum Trocknen lagen. Unsere Betreuer halfen uns beim Löschen, kamen allerdings von der Bar und hatten Wodka getrunken. Einer ist gestolpert, mit dem Kopf auf meine Bettkante und hat das Zimmer vollgeblutet, das wir dann noch gewechselt haben. Am nächsten Tag wurde ich trotz zweier Reifendefekte mit 15 Sekunden Vorsprung Weltmeister. Das war ein wilder Ritt …
Trotz deiner Erfolge wurdest du auf der Straße nicht für die Olympischen Spiele 1984 und 1988 nominiert. Was war da los?
Vor den Spielen 1984 hatte ich eigentlich bei jeder großen Rundfahrt eine Etappe gewonnen. Wenn ich im Frühling meine letzten Cyclocross-Rennen gefahren bin, haben die anderen aber schon Punkte auf der Straße gesammelt. Und nach denen wurde nominiert. Straßenfahrer wurden bestraft, wenn sie Cross gefahren sind. Heute feiert man Tour-Stars wie Wout van Aert, Mathieu van der Poel oder Tom Pidcock, allesamt Cyclocross-Weltmeister. Mir war klar, dass man beides machen kann, weil die Disziplinen voneinander profitieren. Aber damals, im konservativen Radsport, war das nicht vermittelbar. Na ja – ich freue mich darüber, diese Jungs zu beobachten!
1989 wurdest du MTB-Profi. Wie kam das?
Ich hatte mir eine Auszeit genommen, war eine Zeitlang in Kalifornien. Eines Tages kam ein Anruf, ob ich am MTB-Weltcup in meiner Heimatstadt Berlin teilnehmen wolle. Ich bin ins Fahrradgeschäft in Laguna Beach und dachte mir: Sehen ganz cool aus, diese Mountainbikes! In Berlin wurde ich Zweiter, also bot man mir an, im Weltcup zu fahren, in Länder wie Australien, USA oder Südafrika zu reisen. Ein Jahr später gewann ich dann tatsächlich den Gesamtweltcup im Cross Country.
Du hast in Kaprun bei einem Downhill-Weltcup triumphiert. Wurdest 1992 in Leeds Cyclocross-Weltmeister der Profis. Woher kam diese Vielseitigkeit?
Mountainbiken und Cross-Fahren sind sich schon sehr ähnlich. Beim MTB hast du noch etwas mehr mit Topographie zu tun. Teilweise fährst du bergab schneller, die Räder sind stabiler und natürlich gefedert. Aber dafür ist das Crossfahren eine gute Schule. Abwechslungsreiches Gelände, und damals hatten wir auch noch diese Cantilever-Bremsen. Die haben im Regen nicht gebremst, wenn du es gebraucht hast – sondern, wenn sie Lust hatten. Ich bin Autorennen gefahren und wusste, wie wichtig es ist, eine Kurve perfekt anzubremsen. Deshalb war ich 1992 als erster Fahrer mit hydraulischen Felgenbremsen unterwegs. Mein Wissen aus dem Crossfahren und dem Motorsport hat mir geholfen, mein MTB nahezu perfekt einzustellen und technische Vorteile zu nutzen.
Wie entstand die Idee, mit „Focus“ eine eigene Marke zu gründen?
Oft hieß es vom Sponsor: Du musst schon die Originalteile nutzen. Ich sagte: Die bringen mir aber Nachteile. Ich wollte endlich ohne Vorgaben an meinem eigenen Bike schrauben.
1999 hast du Focus verkauft und deine aktive Karriere beendet. War das genauso geplant?
Das hat einfach gut zusammengepasst. Im Jahr 2000 ist dann meine Freundin Ute am Strand zusammengebrochen. Sie litt an einem Herzklappenfehler, ist in meinen Armen gestorben. Ich bin in ein Loch gefallen. Ohne Firma, Karriere, Freundin – es war eine Zeit, in der ich einen neuen Sinn für mein Leben suchen musste.
Ich dachte: Sehen ganz cool aus, diese Mountainbikes. Ein Jahr später gewann ich tatsächlich den Gesamtweltcup im Cross Country.
Und das war dann doch wieder das Radfahren?
Sieht so aus. Man kann mit dem Fahrrad einkaufen, verreisen, Sport machen. Es ist eine total sinnvolle Beschäftigung. Ich liebe den Fahrtwind! Momentan genieße ich die Trails auf den Weingütern rund um Kapstadt, die über Abschnitte des Cape Epic führen. Aber ich fahre auch gerne Rennrad auf Mallorca oder bin im Schwarzwald mit dem E-Bike unterwegs.
Man liest, du arbeitest an einem Wasserstoffantrieb?
Wir sind mit Ingenieuren dran, noch ist es allerdings nicht gelungen, eine kleine Brennstoffzelle mit geeigneter Leistung zu entwickeln. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass wir eines Tages auf Wasserstoffbikes sitzen.
Wenn du ein Bike wählen dürftest: welches wäre das?
Lustig, ich habe gerade mein perfektes Bike konzipiert. Es soll alle wichtigen Vorteile in sich vereinen, wird was von einem Crosser und einen E-Antrieb haben. Wer mehr wissen möchte, kann mich gerne kontaktieren. Ich bin noch auf der Suche nach einem Industriepartner …