Demut, Freude, Selbstkritik nach einem wilden Trailrun über 335 Kilometer und 24.000 Höhenmeter im Aostatal in Norditalien: „Ich kam mit einem Messer zum Pistolenduell und schaffte es nicht, meine Ziele zu realisieren.“
Einen Tag nach seinem Zieleinlauf beim Tor des Géants, 78:24:51 Stunden nach seinem Start am Sonntag (14.9.) wirft Florian Grasel einen gelassenen, fast nüchternen Blick auf seine Extremleistung. Sicher, der Mann aus Bad Erlach, CEO seiner eigenen IT-Firma und zweifacher Familienvater (#lifworktrailbalance) ist Unternehmungen dieser Art gewohnt, schon 2018 wurde er Neunter beim UTMB, 2022 gewann er mit Laufpartner Tom Wagner ein 250 Kilometer-Rennen rund um den Eiger, 2024 war er erneut mit Wagner Zweiter beim PTL rund um den Mont Blanc. Beim TOR wollte er auf das Podest – und wurde überrascht.
„Schon nach den ersten 50 Kilometern hatte ich das Gefühl, mit einem Messer in einen Kampf gegen Faustwaffen-Träger gezogen zu sein. Ich bin viel gelaufen, auch den PTL – aber das war etwas völlig anderes: dort geht es mehr um Abenteuer und Bergsteigen. Der TOR ist ein echter Lauf – mit viel Powerhiking, aber eben auch mit konstantem, hartem Laufen. Ein Rennen in dieser Form und Härte habe ich noch nie erlebt.“
Wenn das Ziel ein Platz unter den ersten Drei ist, dann ist Rang zehn gewissermaßen eine Enttäuschung – dennoch ist Grasel der erste Österreicher, der in diesen Bereich einer Ergebnisliste vordrang, dennoch ist es eine Sensationstat. Doch der Niederösterreicher ist reflektiert und selbstkritisch, und als IT-Manager mit Fehleranalysen vertraut.
„Mit Sicherheit habe ich das Reglement nicht zur Genüge studiert. Der TOR folgt ganz eigenen Regeln. Ich dachte, Support sei wie bei vergleichbaren Events nur bei den großen Verpflegungsstellen, den so genannten Life Bases, erlaubt. Stattdessen hatten viele Läufer ihre Crew an jeder Hütte, an jedem kleinen Verpflegungspunkt. Meine ganze Strategie war aber auf Abschnitte von 50 km und/oder acht bis zwölf Stunden Lauf zwischen ebendiesen Life Bases ausgelegt – ich hatte alles bei mir, habe meine Trinkflaschen selbst gemischt, während andere nur neue Flasks bekamen und sofort weiterliefen. Das hat mich komplett aus dem Konzept gebracht.“
Die Strategie während des Rennens anzupassen ging fast verhängnisvoll in die Hose, auch wenn Grasels Vater Johann unterstützte, wo er nur konnte – in den Bergen ist es nicht einfach Dinge wegzulassen oder hinzuzufügen. Und kleinere Fehler summierten sich: an einem heißen Tag durchzupushen, um nicht in der Nacht im technischen Terrain unterwegs zu sein, auf Zusatzgewand zu verzichten und in der Nacht deswegen zu frieren, keine Ruhe zu finden, weil keine Ohrstöpsel eingepackt waren, und so weiter. „Diese Kleinigkeiten haben mich beinahe aus dem Rennen geworfen.“
„Der TOR ist brutal, weil er nicht nur aus Laufen besteht – es geht um Logistik, Strategie, Ausrüstung, Erfahrung und mentale Stärke. Die Spitzenläufer haben alles auf 10–12 km-Abschnitte abgestimmt, haben sogar überlegt, wann sie die Stöcke weglassen. Das ist ein anderes Level an Vorbereitung. Am Ende habe ich mich trotzdem durchgebissen, meinen Rhythmus wiedergefunden und das Ziel erreicht. Ich habe den Drachen getroffen – und ich habe viel gelernt. Beim nächsten Mal komme ich auch mit einer richtigen Waffe.“
„Ich verlasse den TOR mit einem Gefühl der Demut, aber auch der Zufriedenheit und des Stolzes – ich hatte ein Messer bei mir, habe aber die Flinte nicht ins Korn geworfen.“