Streng genommen waren die Anfänge des Rennradfahrens – mangels asphaltierter Straßen – Gravel-Touren. Heute boomen die Schotter-Räder wie nie zuvor.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Gravelbikes sind Grenzgänger. Dort, wo sich die Grenzen von grobstolligen Mountainbikes und schnellen Rennrädern überschneiden, dort platzieren sich seit einigen Jahren Gravel­bikes­­ als die überstrapazierte Eier legende Wollmilchsau. Leicht und effizient genug, um auf harten Untergründen mühelos Meter zu machen, gleichzeitig robust und sicher genug, um in moderatem Gelände zu überzeugen. 

War es zu Beginn des Gravel-­Booms bei vielen Herstellern noch üblich, Querfeldeinrahmen mit breiteren Reifen und eventuell längeren Gabeln zu tunen, sind moderne Gravelbikes spezifisch entwickelte Bikes. Die Geometrie der Räder und damit auch ihre Sitzposition orientiert sich weg vom übertrieben sportlichen Charakter der Straßenräder, setzt in der Regel eher auf Langstreckenkomfort und Sicherheit. Fahrradfahren in seiner reinsten Form, einfach drauflosfahren, neue Wege entdecken und keinen Gedanken an den Untergrund, der da kommen mag, verschwenden – dieser Grundgedanke steckt in allen modernen Gravelbikes. 

Doch so wie Mountainbikes längst nicht mehr nur Mountain­bikes, Rennräder längst nicht mehr nur Rennräder sind, haben sich auch unter den Gravelbikes Spezialisten für unterschiedliche Einsatzbereiche herauskristallisiert. Hier jeder Spielart einen Namen zu geben, wäre, wie es KTMs Head of Development Thomas Pressl treffend ausdrückt, „ein Fass ohne Boden“. So manche Diskussion in Oberösterreich endete da in gut zwei Dutzend möglichen Unterkategorien. „Als vor einigen Jahren diverse Individualisten den täglichen Weg in die Arbeit am Crosser absolvierten, wurde dies noch belächelt, jetzt nennt sich der Trend eben Gravel“, schmunzelt Pressl und betont gleichzeitig die aus den Ursprüngen in sämtliche Spielarten des Gravels übernommene Tradition der Vielseitigkeit. 

Diese bleibt dabei bei so gut wie allen Modellen oberste Priorität, und mit einem zweiten Laufradsatz plus Reifen lässt sich das Gros der Räder auch relativ einfach an sehr konträre Einsatzbereiche wie Rennradtouren auf glattem Asphalt (leichter Laufradsatz plus 30 mm Slicks) und harten Geländeeinsatz (robuste Laufräder plus voluminöse Offroad-Reifen) anpassen. Dennoch hat manches Modell seine Stärken eher in Einsatzbereich X, ein anderes seine in Szenario Y.

Fahrradfahren in reinster Form: Einfach drauflosfahren und keinen Gedanken an den Untergrund verschwenden.

Lukas Schnitzer

Priorisierung der Vielseitigkeit
Viele Hersteller haben mittlerweile mehrere Gravelbikes im Programm. Dabei decken die Räder ein Spektrum ab, das sich ungefähr wie folgt umschreiben lässt: vom robust bereiften Endurance-Rennrad hin zum auf Speed ausgelegten Gravel- Racer; vom klassischen Allrounder über Adventure-Bikes mit gehobener Reifenfreiheit und Bikepacking-Spezialisten bis hin zu schwer geländegängigen „Monster-Crossern“ an der Grenze zum XC-Hardtail. Echte Kategorien zu definieren, ist ob der Vielfalt schwierig. Das Gros der Bikes lässt sich aber dennoch grob in hochsportlich ausgelegte Gravel-Racer auf der einen Seite und abenteuerhungrige, besonders vielseitige Gravel-Allrounder auf der anderen Seite unterteilen. Nach diesen Gesichtspunkten haben wir auch die Bikes, die wir im Anschluss an die Story in unsere „Top 6“-Auslage stellen, unterschieden. 

Rahmen und Gabel sind für ­Julian Pfeiffer von BH Bikes die wichtigsten Komponenten am Gravel. Grundlegende Eigenschaften wie Geometrie, Gewicht, Reifenfreiheit und Co. entscheiden sich schließlich bereits hier. Immer mehr Gravelbikes kommen serienmäßig auch mit elektronischen Schaltgruppen, was für den BH-Mann nicht nur einen Trend, sondern einen echten Benefit darstellt. 

Unabhängig von der Kategorie empfiehlt KTMs Thomas Pressl auch auf solide Laufräder mit qualitativ hochwertigen Naben, eine möglichst große Übersetzungsbandbreite, möglichst wartungsarme Bremsen (hydraulische Discs) und, plant man Touren, auch auf diverse Möglichkeiten zur Schutzblech-, Träger- und Packtaschen-Montage zu achten. Federgabeln und federnde Hinterbau-Konzepte stehen ebenfalls zur Wahl und versprechen maximalen Komfort – für jene, die danach suchen. Dem Durchschnitt werden aber voluminöse Reifen mit niedrigem Luftdruck sowie eventuell flexende Rahmenkonstruktionen genügen.

Haupt-Merkmale der Allrounder ...
Bei oben angesprochener Ausprägung der Stärken zeichnen sich Allrounder durch in der Regel entspannte Geometrien für viel Laufruhe und eine relativ aufrechte, langstreckentaugliche Sitzposition aus. Die Rahmen setzen je nach Budget auf Carbon oder Aluminium, wer etwas sucht, der findet auch Stahl oder Titan als Werkstoff. Robustheit geht dabei über maximale Gewichtseinsparung, die Reifenfreiheit liegt meist zwischen 42 und 47 mm in 700c. Soll das Bike viel in sehr grobem Gelände bewegt werden, kann es sich lohnen, hier nach noch mehr Reserven zu suchen, teils bieten Hersteller auch die Möglichkeit, MTB-Bereifung in bis zu 29 x 2,4“ zu montieren. Die Möglichkeit auf 650b- oder 27,5“-Laufräder bieten ebenso einige Hersteller, es bleibt aber eine Nische. Am Gros der Allrounder drehen sich wohl 700 x 42- bis 45-mm-Pneus. Steht das Pendeln im Fokus, gibt es auch Modelle mit serienmäßiger Beleuchtung und Fendern, fürs Bikepacking eignet sich in der Regel jedes Gravel, solche mit vielen Ösen für diverse Transportlösungen und hohem maximalen Systemgewicht eignen sich hier aber ganz besonders.
 

... und der Race-Gravelbikes
Racer zeichnen sich durch aggressivere, ans Rennrad angelehnte Geometrien mit mehr Agilität aus. Grob umrissen verschmelzen hier die Attribute eines leichtfüßigen Rennrads mit jenen eines Gravels. Carbon ist das Rahmenmaterial der Wahl, da das Gewicht in der Regel im Fokus steht, auch aerodynamische Attribute finden sich an vielen Rädern. Laufräder sollen möglichst leicht sein, die Rahmen sollten aber dennoch genügend Freiheit für Reifen bis zumindest 42 mm bieten. Je nach Untergrund werden in der Regel aber 35- bis 40-mm-Reifen, betrieben mit niedrigem Luftdruck, empfohlen. 

Neben echten Race-Gravels wie dem BMC Kaius rücken auch ans Querfeldeinrad angelehnte Varianten sowie Anyroad-Bikes in die engere Auswahl von Gravel-Racern. Hier setzt oft die Reifenfreiheit Grenzen. Versteht man sich eher als sportiver Racer denn abenteuerlicher Entdecker und setzt entsprechende Erwartungen in sein Gravel, sind Race-Varianten gegenüber Allroundern vermutlich vorzuziehen.