Sie nennen sich beide „höchste Marathons" ihrer Länder: Der „Zugspitz Rock the Top" in Deutschland und der „Pitz Glacier Adventure Trail" in Österreich. Welcher ist härter? Schöner? Schneller? Ein Ländermatch.

Von Klaus Höfler


Hat mir wer Beton in die Laufschuhe gegossen? Irgendwie ist nach fast 40 Kilometern die Spritzigkeit in den Beinen nicht nur verloren gegangen – sie hat sich in eine tonnenschwere Trägheit verwandelt. Die Erdanziehung scheint hier, zweitausend Meter über dem Meeresspiegel mitten in den Ostalpen, besonders stark zu sein. Die Schritte sind kurz geworden, die Muskeln müde. Und das Gelände? Wird immer steiler. Zwar sind es nur noch drei Kilometer bis ins Ziel. Diese schrauben sich aber weitere 500 Höhenmeter in den Himmel. Als wären die bisher absolvierten 3.000 nicht schon genug gewesen. „Jetzt hast es gleich g'schafft", feuert mich ein freundliches Gesicht bei der letzten Verpflegungsstation bei der Knorrhütte an. Dieses „es" ist im konkreten Fall der Marathon auf die Zugspitze, dem mit 2.962 Metern höchsten Gipfel Deutschlands. „Scott Rock the Top" übertitelt sich der Trailrun deshalb nicht unpassend, unterlegt mit dem stolzen Hinweis, der „höchste und härteste Marathon in Deutschland" zu sein.

Für Österreich trägt der „Pitz Glacier Adventure Trailmarathon" im Pitztal diese Auszeichnung. Auch dort fressen die zu absolvierenden Höhenmeter die Konditions- und Krafttanks in den Muskeln leer. Und doch gibt es Unterschiede. Liefern wir uns also dem Vorwurf des Äpfel-mit-Birnen-Vergleichs aus – und lassen bei einem hochsubjektiven Ländermatch die beiden Trailrun-Superlativstrecken gegeneinander antreten.

FRÜHE FÜHRUNG ÖSTERREICH
Der deutsche Kandidat reißt gleich zu Beginn einen 0:1-Rückstand auf. Sich „härtester Marathon Deutschlands" zu nennen und dann die ersten 37 Kilometer ausschließlich über österreichischen Boden verlaufen zu lassen, ist, na ja, sagen wir: kreativ! Sich tiefer ins Tirolerische vorzugraben als im Richtung Süden immer enger werdenden Pitztal, das geht dagegen kaum. Ganz hinten, in Mandarfen, überkommt einen leicht das Gefühl, dass hier die Welt zu Ende ist. Ein alpiner Kessel, der eine geniale Kulisse für einen Trailrun abliefert.

Und der „Glacier Adventure" lässt einen gleich zu Beginn wissen, dass er es ernst mit einem meint: Auf den ersten fünfeinhalb Kilometern geht es gnadenlose 2.400 Höhenmeter die Nordseite des Mittagskogels bergauf, wobei die letzten Meter bis zur Scharte noch dazu durch recht grobschlächtiges Geröll führen. Oben wird man dafür mit einer sensationellen Aussicht belohnt. Man kann nicht nur bis zur Zugspitze rüberwinken, sondern ist mit 3.070 Metern hier auch um ein paar Meter höher als der höchste deutsche Marathonpunkt: 2:0 für Österreich!

Und es geht in ähnlicher Tonlage weiter, denn das erste Drittel beim „Rock the Top" ist zwar nett, kann aber mit der Pitztaler Konkurrenz nicht mithalten. Nach dem Start in Ehrwald warten gleich einmal tausend Höhenmeter durch den Wald hinauf auf den Grünen Ups und runter zum westlichen Wendepunkt in Lähn. Nach 22 Kilometern folgt dann die erste echte Härteprüfung: der Anstieg zur Biberwierer Scharte. Knapp über 1.000 Höhenmeter geht es in nicht enden wollenden Serpentinen einen Schuttkegel hinauf. Am Ende steht man auf 2.000 Metern Seehöhe – und drückt sich zur Belohnung ein lauwarmes Gel zwischen die Lippen.


STEIGEISEN AUSPACKEN
Beim „Pitz Alpine Glacier Trail" werden die Läufer nach acht Kilometern mit einem Treffen mit dem Namenspatron belohnt. Auch wenn es nur eine kurze Traverse übers ewige Eis ist: Die Querung des Gletscherfelds gehört in die Kategorie „extravagant". Das kann nicht jeder Lauf bieten. Auch der Trail auf die Zugspitze nicht. 3:0 für Pitz! Dafür hat man also vorschriftsmäßig die Grödel mit in den Laufrucksack gepackt. Am Checkpoint rauf mit den Schmalspursteigeisen und drüber über den Gletscher, bevor es auf der anderen Seite von der Braunschweigerhütte – der höchstgelegenen Unterkunft auf dem Europawanderweg Nr. 5 (2.759 m) – durch unwegsames, steiles Gelände wieder zurück Richtung Mandarfen geht.

DEUTSCHLAND HOLT AUF
Und drüben auf der Zugspitze? Auch da passiert man eine Hütte des deutschen Alpenvereins, die Coburger Hütte, bevor es weiter zum malerischen Seebensee und auf die Ehrwalder Alm geht. Das war's dann aber mit der Idylle. Was sich im Winter unter dem Namen „Panorama-Abfahrt" als schwarz markierte Piste von der Issentalkopfbahn-Bergstation über zwei Kilometer elegant ins Tal hinunterschlängelt, ist im Sommer in die andere Richtung eine Quälerei der Sonderklasse. Die Wadeln und Oberschenkel brennen mittlerweile lichterloh. Der Panoramaabfahrt ist das egal. Immer noch eine Kurve weiter geht es, immer noch ein bisserl steiler wird es, bevor endlich der Sicherheitszaun erreicht ist und sich das Gelände wieder beruhigt und niederlegt. Aber nur kurz.

Es wird zunehmend wieder hochalpin. Über das Feldernjöchl läuft man entlang schöner Singletrails in Begleitung eines atemberaubenden Gipfelpanoramas sowie über eine kurze, stahlseilversicherte Klettersteig-Passage zum „Gatterl". Einen spektakuläreren Ort für einen Grenzübergang gibt es nicht. Zwischen den 2.400 Meter hohen Gatterlköpfen und dem hohen Kamm informiert eine schönbrunngelbe Tafel über den Beginn des deutschen Staatsgebiets. Das hochverdiente 1:3!

DIE MUSKELN SIND GAGA
Durch eine karge Steinwüste führt ein nur schwer erkennbarer Wanderweg Richtung Knorrhütte. Die zu Testzwecken ausgeführten Trailrunningschuhe des Hauptsponsors Scott scheinen tatsächlich wie gemacht für die schroffen Felsbrocken, die sich einem hier, auf dem legendären Zugspitzplatt, ohne Pause in den Weg legen. Guter Grip, stabiler Halt und eine angenehme Dämpfung, die es dringend braucht – denn die Muskeln sind längst gaga. Dabei warten jetzt noch die letzten Kilometer ...

Drüben im Pitztal büßen die Läufer dagegen gerade ihre letzten Sünden ab. Der steile, die zweite Runde einleitende Anstieg von Madarfen hinauf zum Rifflsee hat schon ausreichend Kraft geschluckt; die Strecke zurück zum Plodersee, vor allem aber der nicht enden wollende Abschnitt entlang des Fuldaer Höhenwegs nach hinten zum Taschachhaus saugen die letzten Reserven aus den Ober- und Unterschenkeln. Dazu begleitet einen das Wissen, dass man das ganze Tal wieder zurück hinaus nach Mandarfen laufen muss. Da braucht es nach all den Gletscher-Strapazen einen starken Kopf. Nicht umsonst gibt es mittlerweile eine abgeschwächte Variante des Glacier-Trails, bei der man sich den Mittagskogel-Anstieg – und damit 500 Höhenmeter in des Gesamtbilanz – ersparen kann und stattdessen eine Doppelrunde hinauf zum Rifflsee zu absolvieren hat.

EIN ZWEITES CORDOBA
Das alles kann aber das Schlusskapitel des Marathons auf die Zugspitze nicht toppen. Auch wenn es noch einmal richtig steil wird, die Geröll- und Steinmassen längst jede Form von Vegetation verscheucht haben, es durch Restfelder von Altschnee geht und die Quälerei einfach kein Ende nehmen will: Das Finale des „Scott Top the Rock" ist grandios – egal, ob es ganz rauf zum Gipfelkreuz geht oder das Wetter die Läufer „nur" bis zur SonnAlpin-Station durchlässt. Die Zugspitze schafft den Anschlusstreffer – nicht mehr. 3:2 für Österreichs höchsten Marathon. Cordoba lebt!

Klaus Höfler / Bild: Pitz Alpine Glacier Trail / Sportograf

Unser Mann fürs Grobe
KLAUS HÖFLER ist Redakteur der Kleinen Zeitung und begeisterter Freizeitsportler. Als SPORT­aktiv-„Mann fürs Grobe" ist er ständig unterwegs auf der ­Suche nach ­ungewöhnlichen sportlichen Herausforderungen.

Den P42 „Pitz Alpine Glacier Trail" (42,3 Kilometer, 3.100 Höhenmeter) hat Höfler bereits 2015 in 8:15 Stunden absolviert (9. Platz); den „Scott Rock the Top"-Zugspitzmarathon (43,5 Kilometer, 3.965 Höhenmeter) 2016 in 9:11 Stunden (111. Platz).

Das nächste Zugspitz-Marathon-Wochenende findet am 22./23. Juli 2017 statt; die nächste Auflage des „Pitz ­Alpine Glacier Trail" vom 4. bis 6. August 2017.


Weitere Infos:www.zugspitz-trailrun-challenge.com / www.pitz-alpine.at


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