SUP, Kitesurfen, Kajak und Co. – was koordinative ­Fähigkeiten mit Gesundheit, Leistungsfähigkeit und ­Verletzungsprophylaxe zu tun haben. Und wie man sie vor allem jetzt im Sommer draußen effektiv trainieren kann.

Christof Domenig
Christof Domenig

Wenn wir an Koordination denken, kommt uns meist zuerst das Gleichgewicht in den Sinn. Doch Koordination ist viel mehr als bloßes Balancieren. „Koordination bedeutet, dass verschiedene Bewegungsabläufe im Körper optimal aufeinander abgestimmt sind“, erklärt unser SPORT­aktiv-Doc, der Sportmediziner Robert Fritz. Koordination umfasst eine ganze Reihe an Teilfähigkeiten, die wir oft nicht bewusst wahrnehmen, im Alltag aber permanent nutzen – und die wir nicht nur für den Sport gezielt trainieren sollten. Neben Gleichgewichtsfähigkeit gehören Reaktionsfähigkeit, Rhythmisierungs- und Orientierungsfähigkeit (im Raum), Kopplungsfähigkeit (etwa: Arme und Beine sinnvoll koordinieren), kinästhetische Differenzierungsfähigkeit (Kräfte und Bewegungen fein dosieren) und Umstellungsfähigkeit (schnell auf neue Anforderungen reagieren) dazu. „Gerade im Sommer lässt sich all das wunderbar draußen trainieren – und es macht auch noch richtig Spaß“, so Fritz.

Doch zunächst ein kleiner Test für zu Hause: „Stell dich auf ein Bein. Wenn du das nicht einige Sekunden halten kannst, dann ist es höchste Zeit, etwas für deine Gleichgewichtsfähigkeit zu tun. Wer es schafft, schließt als nächstes die Augen. Geht auch das, versucht man zusätzlich mit einem Arm eine Acht in die Luft zu malen. Neben dem Gleichgewicht aktiviert man so auch das visuell-motorische System. Und wer das beim Zähneputzen morgens und abends macht, integriert Koordinationstraining ganz einfach in den Alltag.“ Auch ein MFT-Board oder anderes Wackelbrett zu besitzen, um es immer wieder zu nutzen, ist optimal.

Koordinationswunder Wassersport
Eine gute Nachricht: Viele koordinative Fähigkeiten werden bei Sportarten automatisch mittrainiert. Speziell auch bei sommerlichen Aktivitäten am Wasser – was auszunutzen wir allen nur ans Herz legen können. „Stand-up-Paddeln ist ein tolles Beispiel“, meint Fritz. „Es ist für fast alle zugänglich, ungefährlich, weil man einfach ins Wasser fällt, zugleich fordernd für den Gleichgewichtssinn und die Reaktionsfähigkeit.“ Wer damit erst anfängt, kann auf den Knien beginnen und sich langsam steigern. Noch koordinativ anspruchsvoller wird es beim Kitesurfen oder Windsurfen. Hier ist das Gehirn stark involviert, weiß Fritz, weil man nicht nur die Bewegungen des eigenen Körpers, sondern auch Kite bzw. Segel kontrollieren muss. „Die Verbindung zwischen visuellen Reizen, Gleichgewicht und Reaktionsgeschwindigkeit ist hier besonders intensiv“, so Fritz. 

Beim Schwimmen sind ebenfalls viele koordinative Aspekte gefragt: „Die Rhythmisierungsfähigkeit, etwa beim Atemzyklus, ist essenziell. Auch die Kopplung von Arm- und Beinbewegungen stellt hohe Anforderungen, besonders beim Brustschwimmen. Dazu kommt die Umstellungsfähigkeit bei Wenden. Schwimmen ist also viel mehr als Ausdauersport – es ist ein tolles Koordinationstraining im Wasser.“ Wer sich im Boot bewegt – etwa beim Kajakfahren oder im Ruderboot – und dabei nicht gerade auf die Einer-, sondern auf die Team-Variante setzt, übt zusätzlich das präzise Timing mit einem oder mehreren Partnern. Gleichzeitiges Paddeln oder Rudern, Ausbalancieren des Bootes und Reaktion auf Wasserbewegung – das trainiert nicht nur den Körper, sondern auch das Zusammenspiel mit anderen.

Sicherheit im Alltag
Der medizinische Wert von Koordination geht über den Sport weit hinaus. „Wer im Alltag stolpert, braucht Reaktionsschnelligkeit und Balance, um sich abzufangen. Wer das nicht trainiert, fällt – und verletzt sich eventuell schwer“, so Fritz. Besonders im Alter nimmt die Sturzgefahr zu, doch auch junge Menschen profitieren von besserer Koordination. „Ob über eine Gehsteigkante stolpern oder am Teppich hängen bleiben – es braucht Schnellkraft und Reaktion. Das ist keine Altersfrage, sondern eine Trainingsfrage.“

Koordinative Fähigkeiten können in jedem Alter erlernt werden. Zwar stimmt es, dass Kinder besonders empfänglich sind für neue Bewegungsmuster, doch auch Erwachsene können ihre Koordination sehr effektiv verbessern – wenn sie sie regelmäßig fordern. „Es gilt wie bei Muskelkraft oder Ausdauer: Use it or lose it“, betont Fritz. „Wer den Gleichgewichtssinn nicht nutzt, verliert ihn. Wir tragen stabile Schuhe, gehen auf ebenen Böden – wir haben kaum noch Anlass, Koordination im Alltag zu brauchen.“

Der Körper liebt neue Reize. Wer Abwechslung in sein Training bringt, profitiert in jeder Hinsicht.

Weg von der Monotonie
Auch für ambitionierte Ausdauersportler ist Koordination ein wichtiger Faktor. Wer nur auf Asphalt läuft oder in der Ebene dahinradelt, läuft Gefahr, sich einseitig zu belasten – das erhöht nicht nur die Verletzungsgefahr, sondern bremst auch die Leistungsentwicklung. „Der Körper liebt neue Reize. Wer Abwechslung reinbringt, profitiert in jeder Hinsicht“, erklärt Fritz.

Wichtig: Dass der Wechsel dosiert erfolgt. „Wer sonst nur auf Asphalt läuft, kann nicht plötzlich jeden Tag am Trail laufen. Der Körper braucht Zeit, um sich an neue Reize anzupassen.“ Deshalb empfiehlt der Sportmediziner gezielte, langsame Umstellung: mal auf einer Wiese laufen, mal eine unebene Strecke wählen. Oder als Straßenradfahrer einmal aufs Mountainbike und ins Gelände wechseln. 

Selbst erfahrene Sportler profitieren von einem gezielten Techniktraining. Fritz empfiehlt, dabei auch auf professionelle Anleitung zurückzugreifen: „Ich selbst nehme immer noch regelmäßig Stunden bei einem Mountainbike-Coach.“ Noch ein Gedanke: Gerade mit E-Bikes, die viel Gewicht mitbringen, ist das Handling koordinativ nicht zu unterschätzen, speziell beim Bergabfahren.

Tipps vom Sportmediziner

  • Zähneputzen im Einbeinstand – für Geübte: mit geschlossenen Augen und Armkreisen
  • MFT-Platte/Wackelbrett im Büro oder Wohnzimmer 
  • Wassersport ausprobieren – egal ob SUP, Schwimmen oder Kajak
  • Traillaufen statt Asphalt (langsam umstellen)
  • Reizwechsel im Training – für Körper und Geist
  • Techniktraining mit Coach – z. B. im Mountainbiken

Gehirntraining inklusive
Ein Punkt, der oft übersehen wird: Die Koordination zu üben ist auch ein wertvolles Gehirntraining. „Wer koordinativ trainiert, muss visuelle Reize verarbeiten, den Raum einschätzen, schnell reagieren – das fördert die neuronale Vernetzung“, erklärt Fritz. „Das Gehirn liebt diese Aufgaben und bleibt dadurch jung.“ Bei Sportarten wie Mountainbiken, SUP oder Kitesurfen sind Augen-­Hand-Körper-Koordination und ständige kognitive Entscheidungen gefragt. Im Gegensatz zum Long Jog auf Asphalt, der entspannen mag, aber aus koordinativer Sicht eher monoton ist, bleibt das Gehirn hier ständig aktiv.

Egal in welchem Alter und auf welchem Niveau: „Wer seine koordinativen Fähigkeiten trainiert, bleibt länger fit, reduziert sein Verletzungsrisiko und steigert seine Leistungsfähigkeit“, so fällt diesmal die Bilanz unseres SPORT­aktiv-Docs aus. Der Sommer bietet dafür ebenso ideale wie motivierende Bedingungen – vom See über den Fluss bis hin zum Lauf- und Mountainbike-­Trail. 

Dr. Robert Fritz
Dr. Robert Fritz

Der Sport- und Ernährungsmediziner ist einer der Gründer und medizinischer Leiter einer Unit der „Sportordination“ in Wien und einer der bekanntesten Sportärzte in Österreich. Als „SPORTaktiv-Doc“ beleuchtet er kompetent in jeder Ausgabe ein Sport- oder Ernährungsthema.


Web: www.sportordination.com