Ganz oben bleiben! „Skidurchquerungen" im Hochgebirge, wie die klassische Haute Route, sind viel mehr als bloß mehrtägige Skitouren. Sie sind die Königsdisziplin im Winter. Naturfreunde-Experte Peter Plundrak verrät, wer sich eine solche Tour zutrauen kann, wie man sich ihr nähert – und was er selbst auf seinen Skihochtouren empfindet.

Von Peter Plundrak


Jede Skitour ist großartig. Man ist der Natur nahe, im weglosen Gelände, abseits der Menschenmassen. Man kann herrlich abschalten und den eigenen Körper, die kalte Luft, den Wind und die Sonne spüren. Das alles gilt für eintägige Skitouren genauso wie für mehrtägige, hier gibt es für mich keinen Unterschied.

Aber eine Skidurchquerung oder Skihochtour, wie es eben zum Beispiel die Haute Route ist: das ist die Königsklasse! Das ist viel mehr als normale mehrtägige Skitouren: Gletscherskitouren (und das sind per Definition eben „Skihochtouren") entführen uns in eine andere Welt, in die Welt oberhalb der Baumgrenze.

Riesige Gletscherflächen sind von felsigen Bergen eingerahmt. Die bizarren Formen der Gletscher, mit ihren teils riesigen Spalten und Seracs sind für mich nicht nur ein Naturschauspiel, sondern sie machen mir auch jedes Mal bewusst, wie mächtig die Natur ist und wie winzig und unbedeutend wir Menschen sind. Mit ihrer immer auch vorhandenen Bedrohlichkeit sind Gletscher somit auch Orte der Besinnung und der Demut gegenüber der Natur.

Wenn man auf einer Skihochtour die Gipfel erreicht, ist bei schönem Wetter der Ausblick schier unendlich weit. So weit sehen zu können, wie die Erdkrümmung es zulässt, diese Belohnung für den Aufstieg gibt es nicht jedes Mal. Aber wenn, dann fühlt es sich an, wie auf einer Wolke zu schweben und herunter zu sehen.

Auch die Abfahrten sind auf diesen „Königstouren" etwas Besonderes. Sie enthalten oft steile Flanken in den felsigen Passagen, die kraftraubend sind und doch ein rassiges Abfahrtsgefühl vermitteln; aber auch gemütliche, mäßig steile und breite Gletscherflächen, die man genussvoll und scheinbar ohne Kraftaufwand herunterschweben kann. Wohlgemerkt nur scheinbar: Wie viel Kraft wirklich notwendig ist, merkt man spätestens, wenn der Schnee schon etwas schwer geworden ist und man längere Distanzen in einem Zug durchfahren will.

Noch ein Gedanke: Skidurchquerungen im hochalpinen Gelände führen immer sehr weit weg vom Alltagsstress im Tal. Man taucht für mehrere Tage in eine Welt ein, in der man die Natur in ihrer Schönheit, aber manchmal eben auch in ihrer Bedrohlichkeit hautnah erlebt. Es ist eine Welt ohne Telefon, Internet, Zeitung und TV – und eine ohne die kleinen und großen, oft selbstgemachten Sorgen des Alltags.

KÖRPERLICHE ANFORDERUNGEN
Natürlich benötigt es Fähigkeiten und Kenntnisse, um eine Skihochtour sicher zu absolvieren. Auch in allen anderen Bereichen des Lebens ist es so: Niemand startet mit der Königsdiszi­plin! Man muss Erfahrungen sammeln und sich an große Aufgaben herantasten. Doch niemand sollte sich grundsätzlich abgeschreckt fühlen, nach dem Motto: „Das schaff ich nie."

Beginnen wir mit der Frage der Fitness: Wie körperlich fordernd eine solche Unternehmung ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Mehrtages­skitouren im Mittelgebirge sind sicher weniger fordernd als solche im Hochgebirge, wo die Luft dünner ist. Die Tourlänge (überwundene Höhenmeter und horizontale Entfernung) spielt eine wichtige Rolle. Und auch wenn sich alle Sonne wünschen, ist es viel fordernder, stundenlang im Frühling in der prallen Sonne unterwegs zu sein, als bei kühlen Temperaturen und bedecktem Himmel.

Auch beim Übernachten spielt die Seehöhe eine Rolle: Im Tal regeneriert der Körper leichter und ­besser als in ungewohnter Höhe auf einer Berg­hütte. Wer das nicht gewohnt ist, sollte schon ein paar Tage vor der eigentlichen Tour anreisen, um sich zu akklimatisieren. So beugt man Kopfweh und Leistungseinbrüchen vor.

Was man vor einer Skitourendurchquerung auch bedenken sollte: Da man von Hütte zu Hütte geht, kann man in der Regel nicht einfach einen Ruhetag einlegen, wenn die Kräfte nachlassen. Tourengehern, die noch nie mehrtägig im Hochgebirge unterwegs waren, rate ich als „Einstiegsdroge" zu einer Tourenwoche mit einem fixen Stützpunkt, von dem aus Tages­skitouren unternommen werden. Für solche Tourenwochen gibt es auch in Österreich großartige Möglichkeiten, wie etwa in der Silvretta mit Stützpunkt auf der Jamtal-Hütte, in den Stubaier Alpen mit Stützpunkt auf der Franz-Senn-Hütte oder in der Glocknergruppe mit Stützpunkt am Lucknerhaus.

ALPINISTISCHE FÄHIGKEITEN
Bezüglich der skitechnischen und alpinistischen Anforderungen gibt es ebenfalls eine ganze Bandbreite bei Skihochtouren. Wie hoch der Anspruch ist, hängt wiederum von zahlreichen Faktoren ab – von der Steilheit der zu befahrenden Hänge; von Hindernissen wie Spaltenzonen und Randkluften am Gletscher; oder von Kletterpassagen im Fels, der Ausgesetztheit von Graten usw. Auch hier ist zu betonen: Der Unterschied bezüglich der nötigen alpinistischen Kompetenz besteht nicht zwischen ein- und mehrtägiger Tour, sondern der Anspruch steigt im hochalpinen Bereich: Wenn Touren über Gletscher und in Passagen führen, wo im Fels geklettert wird, oder wenn Grate begangen werden und entsprechend gesichert werden muss.

Zu den allgemeinen Kompetenzen, die zum selbstständigen Gehen von Skitouren nötig sind (Tourenplanung, Routen- bzw. Spurwahl, Orientierung im Gelände, Schnee- und lawinenkundliches Beurteilungsvermögen etc.) kommen jene alpinistische Kenntnisse und Erfahrungen hinzu, die man beim Begehen von Hochtouren braucht.

HOCHTOUREN MIT BERGFÜHRER ...
Wer nicht über sehr gute alpinistische Kenntnisse und entsprechende Erfahrungen verfügt, sollte sich unbedingt einem Bergführer anschließen. Dieser bringt das nötige alpinistische Wissen und Können in die Tour mit ein. Als Teilnehmer reicht es dann, „bloß" entsprechend körperlich fit zu sein und jene Anforderungen zu erfüllen, die man von einem durchschnittlich erfahrenen Skitourengeher erwartet.

Der Bergführer wird sich auch um die Vermittlung jener alpinistischen Grundlagen kümmern, die jeder Teilnehmer auf der Tour braucht. Gleiches gilt auch für geführte Touren der alpinen Vereine, wo meist ehrenamtliche Tourenführer tätig sind. Als staatlich geprüfte Instruktoren und Lehrwarte oder auch als Übungsleiter verfügen diese ebenfalls über eine entsprechende Ausbildung und die nötige Tourenerfahrung.

Dennoch würde ich allen, die überhaupt noch nie ein Seil in der Hand gehalten oder noch nie Steigeisen angelegt haben, raten, diese „Erstkontakte" keinesfalls auf ihrer ersten großen Skidurchquerung zu planen, sondern lieber mit „Einfacherem" zu beginnen, zum Beispiel einer Skibesteigung des Großvenedigers oder des Rauriser Sonnblicks. Übrigens: Beide genannten Touren entsprechen hinsichtlich ihrer alpinistsichen Anforderungen gut dem, was einem dann etwa auch auf einer „Haute Route" abverlangt wird.

... ODER SELBST GEPLANT
Spätestens, wenn man mehrtägige Skihochtouren selbst durchführen möchte, beginnt es wirklich anspruchsvoll, aber für erfahrene alte Hasen auch richtig interessant zu werden. Die Spannung entsteht dann schon bei der Planung. Üblicherweise startet man mit einem intensiven Studium von Landkarten und von Tourenbeschreibungen – man versucht also, sich ein Bild über Routenverlauf, Anspruchsniveau und die Schwierigkeiten auf den Tagesetappen zu machen. In den Wochen vor der Tour werden auch Informationen über Wetterverlauf sowie Schnee- und Lawinenverhältnisse gesammelt.

Zu jeder Tourenplanung gehört auch das Ausarbeiten von alternativen Routen; und bei mehrtägigen Touren unbedingt auch die Entwicklung eines „Plan B", der in Kraft tritt, wenn die geplante Tour undurchführbar wird. Auch die Planung von „Fluchtrouten", die gewählt werden, um die Tour notfalls abbrechen zu können, ist wichtig.

Zur Planung gehört es auch, Schlafplätze auf den Hütten vorab zu reservieren. Dies ist in der Regel problemlos möglich, wenn man die Reservierung rechtzeitig (mehrere Wochen vor der Tour) durchführt. Selbstverständlich hat man bei mehrtägigen Touren immer das Problem, dass man die aktuelle Wetter- und Lawinensituation erst sehr kurzfristig vorher verlässlich weiß und daraus der geplante Ablauf geändert oder die Tour im Extremfall sogar abgebrochen werden muss. Jeder Hüttenwirt hat Verständnis für Absagen oder Verschiebungen, die sich dadurch ergeben. Es versteht sich aber von selbst, dass man die Hüttenwirte von der Änderung oder der Absage verständigt!

NICHT ZU VIEL EINPACKEN
Die Tour naht, es geht ans Packen. Dringend zu empfehlen ist es, nicht zu viel einzupacken. Gerade Anfänger tendieren auf mehrtägigen Skitouren oft dazu, „Zimmer-Küche-Kabinett" mitzunehmen, was sich aber später rächt. Schließlich muss man den Rucksack über mehrere Tage tragen! Selbst halte ich es so, dass mein Rucksack bis auf kleine Ergänzungen nur das enthält, was ich auch auf einer Tagesskitour mithaben würde. Auch Wechselkleidung minimiere ich, da man die heutigen Stoffe auch mehrere Tage tragen kann, ohne zur Geruchsbelästigung für andere zu werden.

Bei ausgeschriebenen Touren von alpinen Vereinen oder Veranstaltern bekommt man eine Ausrüstungsliste, nach der man sich gut richten kann. Hat man individuell einen Bergführer engagiert, bespricht man am besten mit ihm vorab die nötige Ausrüstung. Es gilt, die Ausrüstung innerhalb der Gruppe abzustimmen, um zu vermeiden, dass Wichtiges vergessen wird, ohne andererseits zu viel mitzuschleppen.

VERHALTEN AUF DER TOUR
Der ersehnte Tag ist da! Zunächst ist auf Skihochtouren wichtig, sehr früh zu starten, da mit Erwärmung am Tag auch die alpinen Gefahren steigen. Am Gletscher ist grundlegendes Wissen über das richtige Verhalten nötig, da hier objektive Gefahren – Stichwort Gletscherspalten – dazu kommen. Um mit solchen Gefahren umgehen zu können, ist auch ­Wissen über die richtige Verwendung des Seils am Gletscher und das Beherrschen der nötigen Rettungstechnik notwendig, um im Falle des Falles rasch und wirkungsvoll reagieren zu können. Dass man den Umgang mit Pickel und Steigeisen gewohnt sein soll, versteht sich sowieso. Auf Skihochtouren müssen oft auch Kletterpassagen überwunden oder Schnee- bzw. Felsgrate begangen werden. Außer dem Beherrschen der Seil- und Sicherungstechnik ist damit natürlich auch meistens absolute Trittsicherheit und Schwindel­freiheit erforderlich.

Ein wichtiger Punkt ist die Orientierung: Neben der bereits vorab durchgeführten Tourenplanung ist die Verwendung von genauen topo­grafischen Karten (Maßstab 1:25.000, Höhenschichtlinien alle 20 m) eine wichtige Voraussetzung dafür. Ein GPS-Gerät kann bei der Orientierung helfen – allerdings nur, wenn man gut damit umgehen kann, die richtigen Landkarten auch am Gerät verfügbar sind und idealerweise auch die Tourenplanung in Form von Routen oder Tracks am Gerät abgespeichert ist. GPS-Handy-Apps wiederum sind nur dann hilfreich, wenn sie auch offline funktionieren und die Landkarte anzeigen können. Denn im Hochgebirge hat man meist keinen Internet-Empfang. Generell gilt: Ein GPS-Gerät kann niemals eine Landkarte ersetzen, sondern stellt nur ein zusätzliches Hilfsmittel dar.

MUT ZUM ABBRUCH
Sollte bei einer Skihochtour die Sicht schlecht werden, gilt im Zweifel: Abbruch der Tour! Und zwar rechtzeitig, jedenfalls noch bevor ein vollständiger Orientierungsverlust eintritt. Bei solchen Entscheidungen ist es auch wichtig, nicht nur die momentane Situation zu betrachten, sondern auch die erwartbare Entwicklung der nächsten Stunden mit einzubeziehen. Bei der heutigen Treffsicherheit der Wetterberichte sollte eigentlich niemand mehr vom Eintreffen einer Kaltfront überrascht werden.

Ebenfalls zu bedenken ist auf Skitouren, bei denen auf Berghütten übernachtet wird, dass man keinen täglichen Zugriff auf den aktuellen Lawinenlagebericht hat. Zwar bemühen sich die Hüttenwirte meist redlich, aktuelle Informationen zur Verfügung zu stellen, die Situation auf den einzelnen Hütten ist jedoch stark unterschiedlich, und der Empfang von Internet am Handy auf Berghütten nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel. Für Gruppen, die ohne organisierte Führung unterwegs sind, ist es daher unerlässlich, die nötigen Kenntnisse und Erfahrungen zu haben, um die Entwicklung der Schnee- und Lawinensituation zwischendurch auch selbst beurteilen zu können.

NICHT NUR DER SPUR FOLGEN
Ich denke, man hat nun einen Eindruck davon, warum mehrtägige Skihochtouren zu den Königsdisziplinen des Bergsports zählen. Das nötige Wissen ist komplex und kann genauso wie die Erfahrung nur über Jahre Tourenpraxis erworben werden. Kurse, in denen Grundlagenwissen vermittelt wird, werden von alpinen Vereinen wie den Naturfreunden oder von Alpinschulen angeboten.

Für Neueinsteiger ist es wichtig, zunächst mit erfahrenen, besonnenen und kundigen Kameraden unterwegs zu sein. Für alle, die nicht das Glück haben, einen Routinier zu kennen und von ihm mit auf Tour genommen zu werden, sind heute zahlreiche organisierte Unternehmungen buchbar. Alpine Vereine wie die Naturfreunde bieten zahlreiche Touren in allen Anspruchsklassen an, auch bei Bergführerbüros sind Touren buchbar – und für individuelle Tourenwüsche kann man einfach einen Bergführer engagieren.

Um sich zum selbstständigen Skibergsteiger zu entwickeln, reicht es dann aber nicht, einfach der Spur des Guides zu folgen. Jeder gute Berg- und Tourenführer wird gern alle Fragen beantworten. Für mich trifft das jedenfalls absolut zu. Ich habe in meinem Leben schon viele großartige Skihochtouren erleben dürfen. Die Erfahrungen daraus mit anderen zu teilen und mein Wissen an weniger routinierte Bergsportler weiterzugeben, das macht mir heute fast genauso viel Freude wie die Touren selbst!

Peter Plundrak / Bild: privat

Der Experte

PETER PLUNDRAK, 52, aus Sollenau (NÖ), ist staatlich geprüfter Instruktor für Skihochtouren, Hochtouren und ­alpines Klettern und Skitourenreferent der Naturfreunde Niederösterreich. Er ist jährlich auf Skihochtouren unterwegs, bevorzugt in den Westalpen.


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