Schriftsteller Egyd Gstättner, als Kärntner praktisch mit den Bretteln aufgewachsen, macht sich so seine ­Gedanken. Über die Folgen der ­Piefke-Saga – und über die Komfortschiene beim ­„Natursport" Skifahren.


„Ich reise ab!" Ein Mann sitzt im Sessel eines Sessellifts, hoch über der Piste. Er bewegt sich nicht. Auch der Sessellift bewegt sich nicht. Der Mann ist allein. Er ist vereist. Er ist halb erfroren. Es ist stockdunkle Nacht. Und das Letzte, was er hervorbringt, ist ein gehauchtes: „Ich reise ab!"
Der Mann heißt Karl Friedrich Sattmann und ist die Hauptfigur in Felix Mitterers legendärem (und anfangs skandalumwittertem) Fernseh-Vierteiler „Die Piefke-Saga". Ich habe gehört, dass der ORF die Serie ursprünglich abgelehnt hat und erst der Norddeutsche Rundfunk – offenbar mit mehr Selbstironie gesegnet als der österreichische Staatsfunk – diesen zu einer Kooperation bei der Produktion überreden musste.

Mittlerweile wurde die Piefka-Saga in allen Kanälen und Sendern zu allen Tages- und Nachtzeiten rauf und runter gespielt: Karl Friedrich Sattmann ist im letzten Augenblick doch noch gerettet und aufgetaut worden, er hat seinem geliebten Gastland die vielen Malheurs verziehen und ist, samt Familie, im Jahr darauf doch wiedergekommen ... Sattmann und auch ich stammen ja aus einer Zeit, in der wir noch mit Schleppliften skisozialisiert worden sind! Alpines Schlepperunwesen! Wie oft ich so einen Bügel ins Kreuz geschleudert bekommen habe, weil der Skiliftboy gerade einen Schluck Jagatee genommen hat oder eine rauchen gegangen ist. Oder mit einem Skiliftgirl geratscht hat. Und dann hat der Rustikus noch schadenfroh gegrinst!

DIE LEHREN AUS DER PIEFKE-SAGA
Die schmerzhaften Hämatome, verursacht von den Eisenstangen der automatischen Drehkreuze, deren Elektrik im entscheidenden Augenblick wieder einmal doch nicht funktioniert hat. Oder die brutalen Folterinstrumente, die damals unter dem Begriff „Skischuhe" verkauft wurden: Romantische, aber barbarische Zeiten waren das ... Die Piefke-Saga sorgte für heftige Proteste, anfangs waren auch die Eingeborenen beleidigt („wasch wüll denn der Flachlandtiroler?"), und Mitterer flüchtete nach Irland. Eine flache graue Insel – kein Schnee, keine Berge, keine Gipfel! Das Gegenteil einer Skination!

Aber dann haben die Alpenmenschen doch dazugelernt. Nehmen wir nur die Skihandschuhherstellung her: Heute verwenden Bergsportspezialisten die Wolle von Tiroler Bergschafen als natürliche Isolierung. 4-Weg-Stretch und Ziegenleder machen den Handschuh zum edelfunktionellen Bergbegleiter für Karl Friedrich. Oder die „recovery-socks" für den beschleunigten Abtransport von Schlackstoffen und Laktaten. Karl Friedrich, ein Must today! Und hätte er damals bereits die Clima­heat-TechRock-Fleecejacke mit Polartec Highloft, „atmungsaktiv und aus Top-Materialien hergestellt, die für angenehme Wärme bei minimalem Gewicht sorgen", gehabt – Karl Friedrich wäre nie und nimmer auf die Idee gekommen, abzureisen!

Nicht nur beheizte Handschuhe, beheizte Skischuhe, beheizte Socken sind heute eine Selbstverständlichkeit, lieber Karl Friedrich, sondern natürlich auch beheizte Sitze auf den Sesselliften. Von der Rolltreppe in der Talstation und vom berührungslosen Kartencheck ganz zu schweigen.
Meistens sind die Sessellift­sessel auch noch mit Kunststoffglas umschalt. „Bubble"-Hauben, die ihre sechs, sieben, acht Passagiere vor allem wettermäßigen Unheil abschirmen wie eine Gluckhenne. Die Zukunft gehört sowieso den Fauteuil-Liften. Und natürlich der Gondelbahn, der Autobahn unter den Bergaufverkehrswegen, der ­Grande Dame unter den Sportler-Transportern. Bereits in naher Zukunft, im Teil 5 der Piefke-Saga, werden die Böden der Gondeln mit Perserteppichen ausgelegt und im Stil altenglischer Salons eingerichtet sein, mit rustikal-alpinen Motiven verquickt, wie etwa Kachelofen oder ein offener Kamin, Panflötenbeschallung und dezenter Zirbengeruch ...

HOCHKULTUR BEIM APRÈS-SKI
Vor dreißig Jahren weinte sich Tobias Moretti, mit dem Motorrad von der Alpenhanfplantage dahergeknattert, nachdem er Tochter Sabine Sattmann nach allen Regeln der Ski- und Erlebnismelklehrerkunst beglückt hatte, im breitesten Knacklauttirolerisch im Bett von Mutter Elsa Egyd Gstättner. Der Klagenfurter ist freier Schriftsteller und Hobbysportler. / Karikatur: Petar PismestrovicSattmann aus: „Elsa, ich sage dir, icccchhhh bin eine männliccchhhe Nutte!"

Heute schlägt Moretti im Salon des Thermenhotels am offenen Kamin, ein Gläschen Port neben sich, beim Kultur-Gastspiel, wenn nicht gar Hochkulturgastspiel, ein Bein über das andere und liest noch ein bisschen unfrisiert (leger), aber jedenfalls im Kammerschauspielerdeutsch eine Thomas-Bernhard-Erzählung vor, die von niemand Geringerem als von Goethe handelt. „Was ich dichtete, ist das Größte gewesen zweifellos, aber auch das, mit welchem ich die deutsche Literatur für ein paar Jahrhunderte gelähmt habe", soll Goethe gesagt haben, schrieb Bernhard, liest Moretti. „Es tut mir leid um alle die Schwachen, die der Größe nicht entsprechen können, weil sie den Atem nicht haben! Meinem Faust sind alle auf den Leim gegangen. So habe ich die Deutschen, die dafür wie keine andern geeignet sind, hinters Licht geführt. Aber auf was für einem Niveau!"

„Ah!" – wonneseufzen die Deutschen da in ihren Norwegerpullis und Recovery-Socks und räkeln sich wohlig in ihren Hochlandfauteuils, während hinter Moretti das Holz im Feuer knistert. „Ah! Endlich österreichische Hochkultur! Ah! Endlich Après-Ski-Weltliteratur! Jetzt fehlt nur noch der Millirahmstrudel!" Nein! Lachen Sie nicht! Ich meine die Schilderung des alpintouristischen Status quo weder ironisch noch sonstwie abwertend! Literatur am Berg ist eine gute Sache! Und man engagiert ja nicht nur Moretti, man engagiert ja auch mich. Ob Arlberg oder Turracher Höhe, Zell am See oder Lienzer Dolomiten: Die Hoteliers und ich – wir sind Bergkameraden! Sozusagen. Bargeldlos! Wir tun eben füreinander, was wir können! Und bei mir gibt's auf den Zauberbergen sogar noch mehr zu lachen als bei Thomas Bernhard! Der Unterschied ist nur: Statt Millirahmstrudel bitte lieber Maronimousse an Kastanienreis! Aber die Naturkulturtouristiker lesen mir ohnehin jeden Wunsch von den Augen ab! Am liebsten würde ich gar nicht mehr abreisen ...

AUS ERSTER QUELLE
Meine „Arbeit", meine „Leistung" ist also (wie auch bei allen anderen Künstlern) mein Auftritt zur Freude der Gäste am Berg. Mein „Honorar", die „Gegenleistung", ist, dass ich anschließend ein Wochenende lang selber Gast bin. Und daher weiß ich um den Luxus heutiger Skiurlaube aus erster Quelle Bescheid.

Auch wenn ich selbst auf die freundliche Unterweisung in die Kunst des Stillleben-Malens, auf die Yoga-Kurse, auf das Spüren fachkundiger Hände des „Telak" im Hamam, auf Vollmondtouren oder Nachtrodeln und sogar auf die „Morgenstund-Trilogie" verzichte und mich damit begnüge, nach einem meisterhaften Aufguss in der Panorama-Zirbensauna in der Dämmerung bei Frost und Eiswind im kuschelig beheizten, weihnachtlich hell erleuchteten See meine Runden zu schwimmen, wonneseufzend der Naturgewalt entstiegen im flauschigen Bademantel, das prasselnde Kaminfeuer des Panorama-Ruheraums zu betrachten, ein Schälchen Nüsse mit Dörrobst zu verzehren, ein Schlückchen Erdbeermilch zu nehmen, mich in der Whirlpoollandschaft zu verlieren, Lebensweisheiten von Henry David Thoreau von den Wänden des Spa-Bereichs zu lesen, mich am Wasserbett zu räkeln und dort Körper, Geist und Seele wieder aufzuwärmen – bevor ich mich mit meiner lieben Frau an die Bar oder in die Raucher-Lounge begebe ... und all die Raffinessen des allmorgendlichen und allabendlichen Buffets zu würdigen, reicht der Platz hier längst nicht aus ...

DER BUTLER AUF DER PISTE
Sind die altenglischen Salons noch die Ausnahme und der nahen Zukunft überlassen, so ist der Butler am Skiberg seit Jahren schon Wirklichkeit geworden! Gut, auf der Turracher Höhe heißt er nicht „James", sondern „Hias", und seine offizielle Bezeichnung ist „Pistenbutler". Oder auch „Pistenbutlerin", wenn Getraud statt dem Hias Dienst am Berg hat.

Im Sommer, in der schneefreien Zeit, da verdingt sich der Hias als „Almbutler", der, in „stilvolles Alm-Outfit" (whatever this may be ...) gekleidet, ein luxuriöses Verwöhn-Service inmitten der Natur herbeizaubert. Er begleitet die Gäste zu den schönsten Plätzen auf der Alm, organisiert Sonnenaufgangstouren, Picknicks an einem der wildromantischen Seen und ein unvergessliches Gipfelfrühstück von indisch gewürzter Suppe (Mulligatawny soup), Schellfisch aus der Nordsee (North Sea haddock), Hühnchen (chicken) und Obst (fruit) bis zu Sherry, Weißwein, Champagner und Portwein ...

Im Winter wiederum heißt es für den Pistenbutler Hias – nachdem er morgens den Talstation-Kamin eingeheizt und die ersten Skigäste mit steirischen Äpfeln gestärkt hat: ab aufs Butler-Mobil und mitten hinein ins Skigebiet. Hier wird an verschiedenen Stellen gehalten und flugs eine kleine Service-Bar aufgebaut, um müde und verschnupfte Skihelden mit Traubenzucker und Taschentüchern erstzuversorgen, Kinder mit Süßigkeiten und Himbeerwasser zu verwöhnen und deren Eltern auf Wunsch mit einem Gläschen Prosecco. Ohne Prosecco gibt es heutzutage ja sowieso nirgendwo mehr irgendeine Form menschlichen Lebens ...

ALLE JAHRE WIEDER
Der Pistenbutler tut beim „Skiing for one" wirklich alles für seine Herrschaft! Na ja, ob er sich mit imaginären Gästen bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, sei dahingestellt. Aber seiner Kundschaft zuliebe fragt Butler Hias jedes Jahr – zunehmend lallend: „The same procedure as last year? ­Olles gleich wias letzte Joahr?" Und die Gäste erwidern stets: „The same procedure as every year, Hias!" Ich fühlte mich von Winter zu Winter wohler hier im exquisiten Skihimmel, nur die Erfüllung eines allerletzten Wunsches trennte mich von perfekter Bequemlichkeit: „Hias, könnten Sie bitte dieses Jahr für mich Ski fahren gehen?" Und der Pistenbutler antwortete mir nonchalant und mit einem Augenzwinkern „Well, I'll do my very best" (deutsch: „Gut, ich werde mein Bestes geben"). Wer wird da noch abreisen wollen?