Kein anderer Ort in den Alpen steht mehr für Luxus und Dekadenz als St. Moritz. Kann man aber an der Wiege des Wintertourismus auch als „Normalsterblicher“ Ski fahren? Und hält das Skigebiet hoch oben, was die Preise im Tal versprechen? 

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Alle Wege führen nach St. Moritz, könnte man sagen. Über bekannte Alpenpässe wie Maloja-, Julier-, Albula-, Bernina- oder Ofenpass winden sich die Straßen in das Hochtal, wo der Inn entspringt. Drei- und Viertausenderrahmen das Plateau auf rund 1800 Metern mit seinen vielen Seen ein. Um die Reichen und Schönen möglichst komfortabel herzubringen, gibt es in Samedan, wenige Kilometer außerhalb von St. Moritz, sogar einen Flughafen für Privatjets. Hier hat der Wintertourismus seinen Ausgang genommen. Der Legende nach hat der Hotelier Johannes Badrutt 1864 mit einer Gruppe von Engländern gewettet, dass in dem damals kleinen Ort auch im Winter stets die Sonne scheint und dass er ihnen den Urlaub zahlen wolle, wenn es ihnen nicht gefällt. Sie blieben von Weihnachten bis Ostern ...

„Aber heute habt ihr Pech“, sagt Ruedi, ein rüstiger 70er, der heute unser Guide auf der Corviglia ist, dem Hausberg der Skifahrer von St. Moritz. Es schneit. „Nach drei Wochen durchgehend wolkenlosem Himmel“, sagt Ruedi auf dem Weg zur Standseilbahn Chantarella, die direkt im Ort startet, zwischen Designer-Boutiquen und Fünfsternhotels. Ende Jänner ist auch nicht die Primetime hier, darum ist die Bahn auch nur spärlich gefüllt. „Viele Gäste fahren aber auch gar nicht Ski“, gibt er zu. Die Reichen und Schönen beginnen den Tag lieber mit einem Glas Laurent-Perrier-Champagner und einem Blini mit Crème fraîche und Kaviar bei Nina Glattfelder, die das gleichnamige Geschäft im Zentrum des Orts in dritter Generation führt.

Inzwischen sind wir die zwei Sektionen der Bahn nach oben gefahren und auf der Bergstation Corviglia angekommen. Auf 2483 Metern bläst der Wind, die Luft ist dünn, aber die Pisten leer. Nach ein paar Aufwärmschwüngen auf blauen Pisten zieht uns Ruedi durchs Gebiet. Steilere Hänge, herrlicher Schnee, Ziehwege, Carvingschwünge, Tiefschneepassagen. Nahezu einsam sind wir unterwegs, denn die Pisten sind vor allem vormittags so gut wie leer. Die Promis erholen sich im Tal von der Partynacht. In den Wintern vor Corona wurde rauschend gefeiert. Die Hochzeit des griechischen Reederei-Sprösslings Stavros Niarchos zum Beispiel, der Daria Schukowa, die Ex-Frau von Roman Abramowitsch geheiratet hat. Einer der Gäste: David Beckham. „Um 2 Uhr nachts haben wir noch Kaviar  nachgeliefert“, erzählt Nina Glattfelder.

Unser Frühaufstehen und die ersten Fahrten nahe am White-out haben sich aber gelohnt. Denn kurz vor Mittag bricht sich die Sonne Bahn – wie es sich hier eben gehört. Auf dem Weg zur Piste „Paradiso“ offenbart sich jetzt die ganze Pracht der Natur. St. Moritzersee, Silvaplanasee, Silsersee im Tal, gegenüber die mächtigen Gipfel von Piz Rosatsch und Piz Palü und vor uns der markant spitz aufragende Piz Julier. Natürlich, all das hat seinen Preis. Wer sich spontan zu einem Skitag in der Region St. Moritz entschließt, muss mit Tageskartenpreisen von knapp 100 Euro rechnen. Wer länger im Voraus bucht, kann das Corviglia-Vergnügen aber schon um rund 50 Euro haben – zu Preisen also, die auch in den heimischen Skigebieten längst üblich sind. 

Vergnügen ist das Stichwort. Die Sonnenstrahlen entfachen die Euphorie jetzt so richtig. Weg von den leichten Hängen, rauf auf die „Drei Blumen“, die „Trais Fluors“, wie es im rätselhaft romantischen Rätoromanisch heißt. Knapp unter 3000 Metern geht’s los. Schwarze Piste, aber nicht zu schwarz, griffiger Untergrund, zehn Zentimeter Pulverauflage. Muss ich mehr sagen? Hier sieht man auch, wie weitläufig schon dieses eine Engadiner Skigebiet ist. Und wie vielfältig. Vom kompletten Anfänger einmal abgesehen ist für jeden ausreichend vorhanden. Bei den Kosten sind die Schweizer flexibel. Höhepunkt ist der Ausstieg aus dem Glüna-Sessellift knapp unter 3000 Metern Seehöhe. Ringsum Felswände und ein einsames, endlos scheinendes Pistenband. Mehr Freiheit lässt sich im gesicherten Skiraum kaum erleben. An so einem Tag möchtest du das Erlebnis endlos ausdehnen. Darum fahren wir auch bis zur Mittelstation der Standseilbahn ab, fahren auf Ski, bis es wirklich nicht mehr geht. 

Natürlich, für einen Tagesausflug ist es zu weit nach St. Moritz. Da muss man gar nicht in Ostösterreich wohnen. Überraschenderweise gibt es auch in St. Moritz selbst halbwegs leistbare Unterkünfte für ein paar Tage. „Und wer bei uns in der Region wohnt und an jedem Tag Ski fährt, bekommt das Ticket für 45 Franken“, sagt Hotelier Dominik Zurbrügg. Eines seiner drei Häuser ist das Monopol mitten im Zentrum, mit Blick über das burgähnliche berühmte „Badrutt’s Palace Hotel“, eines der teuersten Häuser der Schweiz. Wer im Monopol absteigt und auf der Dachterrasse über das Tal blicken will, der muss 290 Euro für das Doppelzimmer pro Nacht parat haben. Dafür wohnt man im stylishen Boutiquehotel mit gehobener, italienisch angehauchter Küche. Deutlich günstiger sind Zimmer in seinen anderen beiden Häusern, dem „Edelweiss“ und der „Post“ im wenige Kilometer entfernten Sils Maria zu haben. In der „Post“ gibt es das Vierer-Familienzimmer auf zwei Etagen um 360 Euro oder sogar das Selbstversorger-Appartement für 6 Personen zum selben Preis. „Teuer wird es halt, wenn du das Hotel verlässt“, so ehrlich ist Zurbrügg. Aber selbst im Nobelort gibt es Supermärkte mit christlichen Preisen.

Man muss es ja nicht so machen wie die Hochzeitsgesellschaft aus Indien, die im Jänner 2020 die Korken in St. Moritz knallen hat lassen. „Die“, sagt unser Guide Ruedi, „haben mit 800 Leuten gefeiert, mit einer eigenen Party-Zeltstadt drunten beim See. Einen Tag lang haben sie auch die Einheimischen verköstigt“, erinnert er sich. „100 Millionen Euro sollen die in nur einer Woche hier ausgegeben haben“. Kaviar statt Carving sozusagen. Wer also ein einmaliges Skierlebnis sucht, danach zwischen Luxusboutiquen flanieren will und neben Winterluft auch einmal ein wenig Flair der großen Glitzerwelt schnuppern will, der kann sich einen Kurzausflug ins Engadin durchaus einmal gönnen. Naturliebhabern sei das besonders ans Herz gelegt, denn die Landschaft ist tatsächlich atemberaubend und die Natur der eigentliche Star, die das Bling-Bling rund um Pelz und Polo und Palace-Hotel ­locker in den Schatten stellt.