Ein Rennen gelaufen zu sein, bei dem der Sieger in Weltrekordzeit die Ziellinie überquert, dürfte ein „Once-in-a-lifetime-Erlebnis“ sein. Mir ist das am 1. Dezember passiert, beim „10K“ im Rahmen des Valencia-Marathons. Ein Event, der aber viel mehr zu bieten hat als nur ein schnelles Pflaster.
Joshua Cheptegei aus Uganda brauchte 26:38 Minuten für die 10.000 Meter: Récord mundial! Ich hab mir rund eine halbe Stunde mehr Zeit gelassen: Um Eindrücke zu sammeln, vor allem aber, um das Privileg, am 1. Adventsonntag mit 32.000 anderen Läufern bei milden 20 Grad durch die weihnachtsdekorierte drittgrößte spanische Stadt zu laufen, auszukosten. Privileg auch deshalb, weil der Event seit Langem ausverkauft war: Von den 32.000 aus aller Welt liefen 25.000 den vollen Marathon, die restlichen 7000 waren 10-Kilometer-Läufer. Beide Starterfelder waren streng limitiert; der Halbmarathon in Valencia findet als eigener Event im Oktober statt. Das muss man zunächst wissen, wenn man die Starterzahl mit den heimischen Citymarathons vergleicht, wo ja die „echten“ Marathonläufer nur eine Minderheit sind. 2020, wenn der Valencia-Marathon dann zum 40. Mal stattfindet, wird auch der 10K nicht mehr ausgetragen. Stattdessen werden 30.000 ausschließlich den ganzen Marathon in Angriff nehmen. Neben einer schnellen Strecke (Marathonsiegerzeit heuer: 2:03:52, drei Frauen liefen unter 2:18 Stunden) ist in Valencia auch das Eventgelände hervorzuheben: Prädikat äußerst sehenswert. Um es zu beschreiben, muss man ein bisschen ausholen: Der Rio Turia hat einst in der 800.000-Einwohner-Stadt immer wieder für schwere Überschwemmungen gesorgt, bis der Fluss in den 1960er-Jahren umgeleitet wurde. Im alten Flussbett wurde nach langem Tauziehen (auch eine Stadtautobahn war im Gespräch) dann eine herrliche Grünanlage angelegt.
Am östlichen Ende des Turia Parks wurde schließlich ab den 1990er Jahren die „Cietat de les Arts i les Ciencies“ (CAC), zu Deutsch: „Stadt der Künste und der Wissenschaften“ gebaut. Die kunstvoll gestalteten mächtigen Gebäude in Weiß und mit viel Glas stammen vom valencianischen Stararchitekten Santiago Calatrava sowie von Felix Candela, sind mit künstlichen Wasserflächen umgeben und bilden beim Marathon die prachtvolle Kulisse des Start-Ziel-Bereiches. So stand ich also am 1. Dezember noch im Dunkeln kurzbehost im Startblock und schaute fasziniert dem nervösen Treiben zu. Rechtzeitig vorm Startschuss um 8 Uhr setzte erst die Morgendämmerung ein und von bombastischer Musik begleitet, setzten sich kurz darauf 32.000 Beinpaare in Bewegung. Was heißt Gänsehaut auf Valencianisch (der zweiten offiziellen Sprache neben Spanisch in der autonomen Gemeinschaft)? 25.000 auf der rechten Straßenhälfte, 7000 auf der linken. Die Felder teilen sich kurz nach der Startlinie endgültig, weil die Marathonmeute zuerst in Richtung Hafen unterwegs ist und erst am Ende auf die Strecke durch die Altstadt einbiegt, die die 10K-Läufer 2019 letztmalig laufen durften.
Obwohl nicht einmal mit dem halben Tempo des Siegers unterwegs, vergingen meine 10 Kilometer durch die Altstadt dann gefühlt viel zu schnell. Was jedoch Jäger ihrer persönlichen Bestzeit vielleicht wissen sollten (und was dem Vernehmen nach auch für den ganzen Marathon gilt): Die Strecke ist, gemessen an der Zahl der Läufer, nicht sehr breit, das Feld dröselt sich relativ spät auf, sodass man durchaus längere Zeit Probleme damit haben kann, sein eigenes Tempo zu laufen. Mir war das jedoch völlig egal – ich freute mich über der Stimmung, die Musikgruppen am Straßenrand und die Anfeuerung der Valencianer, die auch „Hintendrin statt nur dabei“-Läufern wie mir großzügig zuteil wurde. Die letzten Meter vor dem Ziel gehören zu den besten überhaupt – sagen auch erfahrene, weitgereiste Marathonläufer: Man rennt auf einem blauen, für den Marathon übers Wasser gebauten Steg durch eine begeisterte Menge. Wer da mit Scheuklappen drübersprintet, statt Atmosphäre aufzusaugen, bei dem geht’s wohl um den Weltrekord. Ja, apropos: Joshua Cheptegei konnte sich nur sechs Wochen über seinen 10- km-Straßen-Weltrekord freuen, am 12. Jänner war Rhonex Kipruto aus Kenia noch einmal 14 Sekunden schneller. Und wo? Wieder in Valencia, lustigerweise. Würde ich zum Saisonfinale 2020 einen vollen Marathon planen, der 40. Maratón Valencia am 6. Dezember mit 30.000 auf der 42,195-km-
Strecke wäre ein ganz heißer Tipp.
Joshua Cheptegei nach seinem 10-km-Weltrekord. Im großen Bild das „Ziel überm Wasser“.