Seit vielen Jahren befasst er sich mit Füßen und Fußproblemen von Läufern, aber selbst für einen erfahrenen Orthopäden wie ihn wird es immer schwieriger, bei der Wahl der richtigen Laufschuhe den Durchblick zu behalten. Der Grazer Mediziner Dr. Ernst Bernhard Zwick über die entscheidende Schnittstelle zwischen Laufstrecke und Körper – und über die vielen Fehler, die man sich schon bei der Auswahl eintreten kann.


Reinschlüpfen, zuschnüren, herumgehen. Ehrlich, was ist eigentlich heutzutage daran so schwierig, einen guten Laufschuh zu finden?
Einen guten Laufschuh zu finden, ist nicht schwierig – den richtigen zu finden, das ist die große Kunst. Und diese Kunst wird immer komplizierter. Früher wusste zumindest ein halbwegs erfahrener Läufer: Ok, dieses Modell passt perfekt zu mir, der Schuh ist auch von der Bauweise her immer gleich – den kann ich ung’schaut nehmen. Heute werden Laufschuhe immer mehr zu Accessoires, der Wechsel der Modelle passiert immer schneller und sogar die Stammprodukte verändern sich. Für mich in der Praxis bedeutet das: Um genau beraten zu können, welcher Schuh zum Lauftyp passt, müsste ich jedes halbe Jahr einen Tag investieren, um in allen Kollektionen nachzuschauen, was die einzelnen Schuhe können und für wen sie geeignet sind.

Entscheidend für Dr. Bernhard Zwick ist, dass sich jeder Läufer, jede Läuferin seöbst eine "orthopädische Kompetenz" aneignet. / Bild: Thomas PolzerViele Hersteller bieten dafür im Internet jede Menge Information über ihre Laufschuhe an.
Natürlich, da kann ich zum Beispiel eingeben, ob ich einen breiten oder schmalen Fuß habe, ob ich über- oder unterproniere – und dann werden mir 15 Paar Schuhe gezeigt, die in Frage kommen. Aber was jeder Schuh tatsächlich kann, weiß ich wieder nicht.

Die Lösung heißt also: Ich brauche in jedem Fall die fachkundige Beratung in einem Laufshop?
Theoretisch ja. Allerdings haben mittlerweile auch die meisten Laufschuhverkäufer das Problem, dass sie vom raschen Wechsel der Kollektionen überfordert werden. Zudem hat kaum ein Verkäufer die Zeit, um eine halbe Stunde oder länger bei einem Kunden zu testen, welcher Schuh der richtige ist. Eigentlich aber fängt das Problem damit an, dass die meisten Hobbyläufer selbst nicht über ihre Füße Bescheid wissen.

Dumm gefragt: Was gibt es da viel zu wissen?
Nun, zum Beispiel so einfache Dinge wie: Hab ich einen breiten oder einen schmalen Fuß? Brauch ich einen geraden oder einen gebogenen Leisten? Wie knickt mein Fuß wenn ich auftrete – nach innen oder nach außen? Wie verlaufen Fußachse und Beinachse? Wie steht es um die Beweglichkeit meines Sprunggelenks? All das sollte man doch über seine Füße und Beine wissen, wenn man sie laufend strapaziert!

Ok, und was ist aus Ihrer Sicht die logische Konsequenz?
Dass jeder, der in der Woche 30 km und mehr läuft, mindestens einmal seine Füße orthopädisch begutachten lässt! Denn nur ein geschulter Orthopäde kann beurteilen, ob etwa eine angeborene Fehlstellung vorliegt oder ob es im Laufe der Zeit zu Fehlhaltungen gekommen ist. Vor allem aber hat jeder Läufer dann zu seinen Füßen alle Daten und Werte, die ihm und vor allem auch dem Verkäufer bei der Laufschuhauswahl enorm helfen. Jetzt braucht man nur noch dazufügen, welche Belastung die Schuhe aushalten müssen, also wie viele Wochenkilometer gelaufen werden, welcher Untergrund hauptsächlich genutzt wird und schließlich das Körpergewicht – und schon weiß ein versierter Verkäufer ziemlich genau, welche drei, vier Modelle in Frage kommen.

Ein Laufbandtest, wie er so oft empfohlen wird, ist also gar nicht notwendig?
Doch. Der Idealfall ist, wenn der Verkäufer nach Auswertung aller orthopädischen und laufrelevanten Daten am Laufband noch die Feinjustierung vornimmt, also aus den paar verbliebenen Schuhen das perfekte Paar ermittelt. Hat ein Läufer keine orthopädische Anamnese, dann sollte er die alten Laufschuhe mitnehmen und mit ihnen dem Verkäufer „vorlaufen“. Der kann dann nämlich auch an der Abnützung der Schuhe leichter erkennen, welcher Lauftyp man ist.

Das Ganze klingt nach einem ziemlichen Aufwand, der den meisten Hobbyläufern sicher übertrieben vorkommen wird. Weil sie ,eh bloß joggen‘, um sich fit zu halten.
Diese Hobbyläufer müssen bloß einmal erfahren, welche Probleme ein falscher Schuh tatsächlich verursachen kann. Die wenigsten haben nämlich eine Ahnung, was sie sich da antun können. Und da red ich gar nicht davon, dass falsche Schuhe den ganzen Spaß am Laufen verderben können. Nein, falsche Schuhe können richtig großen Schaden am Bewegungsapparat anrichten. Oder anders gesagt: Mit den falschen Laufschuhen ist es nur eine Frage des Belastungsvolumens, wann man in einen Überlastungsschmerz hineinläuft.

Wie kann sich ein Laie das besser vorstellen?
Ein Beispiel: Ein Läufer mit einer Überpronation, der also im Sprunggelenk nach innen knickt, läuft mit einem Schuh, der an der Außenseite verstärktist. Dadurch werden nicht nur die Fußgelenke, sondern auch die Knie bei jedem Schritt noch stärker nach innen gedrückt. Die Fuß- und Beinachse verschiebt sich noch mehr – und der Läufer wundert sich dann, warum er plötzlich arge Knieschmerzen bekommt. Und solche Beispiele gibt es viele. Faktum ist: Falsche Schuhe verstärken bestehende Fußprobleme und führen irgendwann zu mehr oder weniger fatalen Folgen. Fazit: Allen Laufsportlern, die wissen wollen, welchen Laufschuh sie brauchen, muss einmal ein Orthopäde diagnostizieren, ob eventuell Fehlstellungen oder -haltungen bestehen.

Viele Läufer experimentieren mit speziellen „Sporteinlagen“, wie sie ja schon in Supermärkten angeboten werden.
Das ist völliger Unsinn! Im besten Fall sind solche Einlagen bloß rausgeworfenes Geld. Denn eine Einlage hat nur einen Sinn, wenn sie eine speziell definierte Aufgabe erfüllt. Im schlechten Fall aber können falsche Einlagen wieder die ohnehin schon bestehenden Schäden verstärken.

Kommen wir zum Thema „Dämpfung“: Viele Hersteller gehen jetzt weg vom Dämpfen, hin zum „Natural Running“. Ist das der richtige Weg?
Absolut! Wo liegt denn beim Laufen die Hauptbelastung: Am Übergang zwischen Mittel- und Rückfuß! Und genau dort wirkt eine Dämpfung überhaupt nicht. Gedämpft wird an der Sohle, an der Ferse – und das macht einen Schuh nur instabiler. Das wiederum bewirkt, dass Bein- und Fußmuskulatur bei jedem Schritt noch mehr Haltearbeit verrichten muss – also noch mehr belastet wird. Bei einem Schuh ohne Dämpfung reagiert auch unsere Fußmuskulatur ganz normal und natürlich. Darum sind aus Sicht des Orthopäden diese neuen Laufschuhe ohne Dämpfung genau der richtige Weg.

Apropos Orthopäde: Wer sind eigentlich Ihre Hauptklienten aus dem Laufvolk?
Sicher nicht die Vielläufer, wie man vielleichtglauben könnte. Nein, die häufigsten Patienten sind die sogenannten „Dreißiger“, also die, die pro Woche rund 30 Kilometer laufen. Das sind zwar Läufer, aber keine Athleten. Das sind die, die sich, salopp gesagt, mit ihrem Sport „orthopädisch weh tun“. Und sich auch sonst damit wenig Gutes tun …

Hoppla, was heißt „auch sonst wenig Gutes“?
Naja, die meisten dieser Dreißiger-Läufer sagen doch: „Ich renn nur, um fit zu bleiben.“ Tatsächlich habe ich in meiner Tätigkeit als Mediziner, der sich intensiv mit Functional Fitness beschäftigt, erkennen müssen: Diese Leute laufen in Herzfrequenzbereichen, wo sie nicht hingehören; sie laufen immer im gleichen Trott und sie regenerieren auch nicht richtig. Mit einem Wort: Sie haben keinen Plan! Und ihr einziger Nutzen, den sie aus dem Laufen ziehen, ist, dass sie 45 bis 60 Minuten kein Handy benutzen und endlich einmal Zeit für sich haben.

Um diese „Baustelle“ kümmern wir uns ohnehin auch noch. Aber können wir hier zum Abschluss allen Hobbyläufern die wichtigsten Ratschläge in Sachen Laufschuhe mit auf den Weg geben?

  • Punkt 1: Lauft nie zu lange mit einem Paar Schuhe! Wer Schuhe zu Ende läuft und dann wieder mit Topschuhen beginnt, mutet seinen Füßen große Materialschwankungen zu. Daher: Nach 500 km sollte parallel schon ein zweites Paar verwendet werden. Und nach rund 700 km ist ein Schuh fertiggelaufen.
  • Punkt 2: Verwendet die Schuhe, die zum Untergrund passen! Ich sehe haufenweise Leute, die mit normalen Laufschuhen im Gelände unterwegs sind und sich wundern, dass sie mit den verschmierten Sohlen keinen Halt haben.
  • Und Punkt 3 – und damit mein wichtigster Rat: Ich wünsche mir, dass sich alle Läufer eine orthopädische Kompetenz aneignen! Wer Läufer ist, muss einfach wissen, welchen Fuß er hat – und welcher Schuh dementsprechend zu ihm passt!



Univ. Doz. Dr. Ernst Bernhard ZwickDER EXPERTE
Univ. Doz. Dr. Ernst Bernhard Zwick betreibt als Facharzt für Orthopädie eine Praxis in Graz; Grundlage der Behandlung ist die patientenspezifische Funktionsoptimierung des Stütz- und Bewegungsapparates, die Verhütung bzw. Ergründung orthopädischer Beschwerden und die ganzheitliche Behandlung angeborener oder erworbener Form- oder Funktionsfehler der Knochen, Gelenke, Muskeln und Sehnen.
Mit Dr. Robert Kocher, Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, hat Dr. Zwick eine sanfte und innovative Diagnosemethode entwickelt, um die Funktionen des Bewegungsapparates optimal zu analysieren und individuell angepasste Trainings- bzw. Behandlungsprogramme erstellen zu können. Kocher & Zwick betreuen bereits Athlet/- innen aus 13 Nationalteams verschiedener Sportarten.

Weitere Infos findest du auf www.dr-zwick.at


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