Bahnradfahren als Alternative zum Schlechtwetter-Training auf Rolle und Ergometer? SPORTaktiv-Redakteur Christoph Lamprecht wagte den Selbstversuch im neuen Pariser Heiligtum der „Grande Nation“.

Von Christoph Lamprecht


Vier Uhr früh! Diese Uhrzeit kenne ich seit Ende meiner Studienzeit eigentlich nur noch vom Hörensagen – dem Wecker ist das egal. Und meine morgendliche Verwirrung weicht bald einer kribbelnden Vorfreude: Yes, heute geht’s nach Paris!

Am Flughafen Graz-Thalerhof recherchiere ich während des Check-ins nochmals im Internet-Terminal, was da eigentlich genau auf mich zukommt: Der französische Sportbrillen-Hersteller Bollé, seines Zeichens Ausstatter mehrerer Profi -Radsport-Teams, hat zur Präsentation seiner neuen Helmmodelle The One und Messenger eingeladen.

The One – Aerohelm und Kopfschutz mit Belüftung in einem – soll von einem geladenen Tross internationaler Sportjournalisten beim Bahnradfahren im Vélodrome National de Saint-Quentin-en-Yvelines getestet werden. Prompt liefert mir mein unausgeschlafenes Gehirn beim Wort „Helmtest“ in Verbindung mit einer Radbahn-Steilwand vor allem spektakuläre Sturzbilder. Schau ma mal ...

Sozusagen zum Einstimmen lässt auf der Fahrt vom Flughafen Charles-de-Gaulle zum Bollé-Hauptquartier in Suresnes der Pariser Verkehr keinen Zweifel daran aufkommen, dass man hier mit dem Fahrrad zwar deutlich schneller unterwegs sein könnte – ein entsprechender (Kopf-)Schutz aber bei jeder Ausfahrt zur Überlebensausstattung gehören sollte.

DAS BAHNRAD

Erklär mir ... das Bahnrad / Bild: BMC

1. BAHNRÄDER verfügen nur über einen (starren) Gang. Somit fallen Freilauf und Schaltung am Lenker weg.

2. DAS TRETLAGER liegt im Vergleich zu Straßenrennrädern etwas höher, um das Aufsitzen der Kurbel in den Kurven zu vermeiden.

3. BREMSEN sucht man beim Bahnrad vergeblich. Um Auffahrunfälle zu vermeiden, weicht man in der Regel nach oben aus.

4. SITZPOSITION: Um die Räder besonders wendig zu machen, ist der Radstand im Vergleich zu Straßenrädern etwas verkürzt, der Fahrer sitzt tendenziell stärker gebeugt.

5. BEI DEN REIFEN kommen gemäß UCI-Richtlinie ausschließlich 27”-Schlauchreifen zum Einsatz.

6. DAS GEWICHT spielt bei Bahnrädern, die vor allem stabil sein sollen, eine untergeordnete Rolle.


Nach der Präsentation der neuen Helmmodelle (und bestens gestärkt vom Mittagessen) fährt man uns – das sind rund 35 Journalisten und Bollé-Mitarbeiter – zum Vélodrome National im Westen von Versailles. Schon die Kulisse ist beeindruckend und für einen „Höhenangsthasen“ wie mich erschreckend zugleich. „Stören dich die Kurven“, fragt mich schmunzelnd ein deutscher Kollege, der meinen skeptischen Blick bemerkt hat. „Ist kein Problem, die Kurven einer Radbahn sind genormt und haben bloß eine Neigung zwischen 30 und 60 Grad.“ Na, dann ist ja alles gut.

Während die erste Gruppe von uns auf die Bahn gelassen wird, steigt meine Nervosität und zugleich die Gewissheit, dass ich mich wohl besser in der Mitte des Ovals halten werde. Und um meine Anspannung zu überspielen, frage ich mit Händen, Füßen und schlechtem Oberstufen-Französisch bei unserem Instruktor nach, ob wir denn auf der Bahn immer nur gegen den Uhrzeigersinn fahren dürfen. „Oui, naturellement“, lautet die eindeutige Antwort. Und der Mann muss es wissen, immerhin ist er der Trainer des französischen Bahnrad-Nationalteams ...

Und da schieben mir auch schon die Helfer meinen fahrbaren Untersatz daher. Auch wenn ich während des Studiums als Fahrradbote schon auf dem einen oder anderen „Fixie“ Platz genommen hatte, irritieren mich beim ersten Aufsitzen der starre Gang und die fehlenden Bremsen doch ziemlich. Bitte, damit soll ich jetzt im Pulk, Schulter an Schulter mit den anderen Neulingen, im Renntempo diese Teufels-Kurven bewältigen?

Video: Impressionen vom Velodrome National Saint Quentin en Yvelines


SPEED! SPEED! SPEED!

Aber wer will sich in der Kollegenrunde schon als Warmduscher outen? Also rolle ich nach einer kurzen Gewöhnungsphase ans Material rauf auf die Bretter der Bahn. ,Fährt sich ja gar nicht einmal so schlecht‘, denke ich mir, während ich auf der „Angsthasen-Route“, also unten im Flachen, ordentlich Geschwindigkeit aufbaue. Das bleibt nicht unbemerkt. Bald ordnet sich einer der Nachwuchs-Rennfahrer, die uns begleiten, vor mir ein, und gibt mir mit Gesten (weil’s sprachlich nicht klappt) zu verstehen, dass ich die Kurven doch auch einmal höher anfahren solle. Ich tue aber sicherheitshalber so, als ob ich ihn nicht verstehe.

„J’ai peur“, rufe ich dem jungen Instruktor leicht verzweifelt zu, als er auf der nächsten Runde wieder von hinten heranbraust, kurz vor der Kurve an mir vorbeizieht und deutet, dass ich seiner Spur folgen soll. „Speed“ ru er nach hinten, und weil ich nicht wirklich schneller werde, nochmals: „Speed! Speed! Speed!“

Derart angetrieben trete ich tatsächlich in die Pedale, so stark ich kann und bleibe bald deutlich über der blauen Linie – der Markierung zwischen Angsthasen-Radeln und echtem Bahnfahren. Mit dem Tempo schnellt auch der Spaßfaktor in die Höhe, verschwunden sind Gedanken wie: Und was passiert eigentlich, wenn ich doch bremsen muss ...?

Nach ein paar pfiffigen Runden im (für mich) Vollspeed kann ich mir plötzlich den Adrenalin-Kick bildlich vorstellen, den die Profis beim Sprint Mann gegen Mann oder bei der Mannschaftsverfolgung, immer dicht Schulter an Schulter, haben müssen. Schließlich erstrampeln richtige Bahnfahrer (wenn auch nur über kurze Distanzen) Spitzenwerte von 2.000 Watt und erreichen Geschwindigkeiten von rund 70 km/h – während zumindest ein halbes Auge stets beim Gegner bleibt. Was der ungeübte Beobachter meist unterschätzt, ist die taktische Komponente – so zählt beispielsweise beim Bahnsprint nicht die benötigte Zeit, sondern bloß, dass man schneller als sein Gegner ist. Was sich wiederum im nervenaufreibenden Wechsel von Lauern und Angreifen manifestiert.

Auf dem Heimflug beschägtigt mich prompt der Gedanke, wo ich daheim dieses Bahnradeln-Abenteuer fortsetzen könnte, um an kalten Tagen einmal abseits von Rolle oder Ergometer mein Trainingspensum am Bike abzuspulen. Leider ergibt die erste Recherche gleich eine schlechte Nachricht für alle Nicht-Wiener: Den (genormten) Bahnradsport kann man bei uns nur im Ferry-Dusika-Hallenstadion im 2. Wiener Gemeindebezirk ausüben. Die Halle verfügt über eine 250 Meter lange Radbahn und erfüllt mit ihrer 45-Grad-Neigung alle Kriterien für offizielle Radsportveranstaltungen des UCI.

Trainingszeiten im Dusika-Stadion werden ausschließlich vom Radsportverband vergeben. Und wer einen Einführungskurs besuchen oder unter Aufsicht von Profibetreuern trainieren möchte, wendet sich am besten direkt an den Landesradsportverband Wien.

Ein spannendes Erlebnis ist das Bahnfahren allemal, auch für jeden Hobbyradler. Und zum Spaß kommt der Nutzen des intensiven Sprintens gegen Konkurrenten, denn gemächliches Dahinrollen gibt es auf der Bahn definitiv nicht. Hochintensive Action und spaßiges Krafttraining in einem – Intervalltraining deluxe sozusagen.


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